Deutsche Zeitschrift für Akupunktur 2000; 43(2): 116
DOI: 10.1055/s-2000-8113
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Karl F. Haug Verlag in MVH Medizinverlage Heidelberg GmbH & Co. KG

Akupunktur und Wissenschaft

Raymund Pothmann
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Publication Date:
31 December 2000 (online)

Einführungsreferat zur Wissenschaftlichen Tagung der DÄGfA in Bad Kissingen, 1. Juni 2000

Wir müssen uns entscheiden, für die Qualität! Aber welche ist gemeint? Geht es um einen naturwissenschaftlichen Anspruch, den es für die Akupunktur sicherzustellen gilt, oder "nur" um qualitativ hochstehende ärztliche Versorgung? Und welche Zusammenhänge sind es, die vielleicht eine Zerreißprobe zwischen beiden Richtungen überstehen helfen können?

Wie die Geschichte der TCM erkennen lässt, und dies gilt letztlich für jede Medizinentwicklung, stand zu Beginn die Urerfahrung im zwischenmenschlichen Heilerleben. Die Zielrichtung war letztlich von Anfang an klar: das beste verfügbare Mittel war allerseits gewünscht. Natürlich gab es da geheimes Wissen, das persönlich und später auch in Codices niedergelegt von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Aber letztlich war das Heilergebnis immer auch das Korrektiv für qualifiziertes Behandeln jenseits eines theoretischen Lehrgebäudes, weniger nur die platte Hilfskonstruktion: wer heilt, hat Recht.

Das Erfahrungswissen der Volksmedizin wurde schließlich in den letzten abendländischen Jahrhunderten zunehmend komprimiert und schließlich entsprechend dem im Westen vorherrschenden kartesianischen Prinzip deduktiv hinterfragt. Als Nachteil der gesteigerten Objektivität musste eine zunehmende Entindividualisierung der Medizin in Kauf genommen werden. Der Erkenntnisgewinn ging auf Kosten der größeren Zusammenhänge im Verständnis des kasuistischen (Patienten-)Originals.

Gebettet auf die gewachsene Sicherheit der westlichen Medizin war es schließlich wieder möglich, sich auf alte Werte zu besinnen. Die Versachlichung der Medizin war nicht kompatibel mit der individuellen heilkundigen Anwendung derselben. Das Bedürfnis nach hermeneutischer Krankheitsbegleitung setzt sich wieder stärker durch, ohne allerdings ins finstere Mittelalter der volksmedizinischen Risiken zurückfallen zu müssen.

An dieser Schwelle stehen wir jetzt zu Beginn des dritten Jahrtausends und müssen beobachten, wie das kartesianische Pendel in Form der Evidence-basierten-Medizin (EBM) zurückzuschlagen droht. Ohne aber zwangsläufig der alten Dialektik von Hoch-"Schulmedizin" und "Paramedizin" zu verfallen. Erstmals kristallisierte sich ein quasi gemeinsames Paradigma heraus: Qualitätssicherung, und zwar auf allen Gebieten. Und das darf auch bei der individuellen Anwendung der besten Therapie gültig sein, ohne narzisstische Kränkung von (selbsternannten) Heilkundigen heraufzubeschwören. Es scheint sich tatsächlich eine Art Konsens herauszubilden, an der Wissenschafts- wie an der Behandlerfront, Qualität als oberstes Gebot gelten zu lassen. An dieser Entwicklung ist sicher die Cochrane Collaboration entscheidend beteiligt gewesen. Aber erst die komprimierte Verfügbarkeit von Wissen durch Datenbanken und Internet hat die Voraussetzungen dafür geschaffen, das beste Wissen auch näher an den Patienten heranzuführen.

Mitten in diese Dynamik hat sich die DÄGfA 1997 quasi unschuldig auf den Weg gemacht, die wissenschaftliche Durchdringung der Akupunktur mit bescheidenen Mitteln voranzutreiben. Und es gibt eine synergistische Entwicklung auf dem Akupunkturzeitschriftensektor, von umtriebigen (Chef-)Redakteuren vorangetrieben. Eine Situation, wie ich sie mir in dieser lebendigen Art immer schon gewünscht hatte. Langsam geht die Saat der Ermutigung, der Investitionen auf den verschiedenen Ebenen auf. Die Szene ist aufgewühlt und kreativ, in Qualitätszirkeln, Arbeitskreisen, universitären Verbund-Symposien und einer abgerundeten Ausbildung Zukunft zu schreiben.

Über 30 wissenschaftliche Fördervorhaben wurden zwischenzeitlich durch die DÄGfA angestoßen, kritisch gewürdigt, bearbeitet und begleitet, hunderttausende von Mark gezielt eingesetzt. Die ersten Früchte dieser im Arbeitskreis Wissenschaft der DÄGfA erarbeiteten Ansätze sollen erstmals auch gebündelt öffentlich präsentiert werden und den Reigen einer hoffentlich nicht mehr abreißenden Serie von spannenden Forschungsarbeiten auf dem großen Feld der Akupunktur einleiten. Dies nicht als Wiederauflage einer Elfenbeinturm-Wissenschaft, sondern als Signal, die eigene Qualität der TCM-Anwendung bis in den Alltag zu steigern, zum Nutzen unserer Patienten und um uns durch mehr Arbeitsfreude ein Stück vor der Falle des burn-out zu bewahren.

Raymund Pothmann

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