Geburtshilfe Frauenheilkd 1999; 59(9): 458-464
DOI: 10.1055/s-1999-5970
ORIGINALARBEIT
Georg Thieme Verlag Stuttgart ·New York

Unterbauchschmerzen ohne Organbefund - ein Leitsymptom für somatoforme Störungen?

Chronic Pelvic Pain Without Clinical Evidence: A Symptom for Somatoform Disorders? E. R. Greimel,  M. A. Gartner,  M. T. Deutsch
  • Geburtshilflich-gynäkologische Universitätsklinik, Graz, Österreich
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
31. Dezember 1999 (online)

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Zusammenfassung

Fragestellung: Schmerzen im Unterbauch zählen zu den häufigsten Beschwerden in der gynäkologischen Praxis. Die Ursachen dieses Krankheitsbildes sind vielfältig und können sowohl im somatischen als auch im psychischen Bereich liegen. In dieser Studie wurde überprüft, inwieweit Unterbauchschmerzen ohne Organbefund dem Komplex der somatoformen Störungen zugeordnet werden können. Weiters wurde untersucht, welche psychosozialen Belastungsfaktoren bei Frauen mit dieser unklaren Schmerzsymptomatik vorliegen. Patientinnen und Methoden: Ein Kollektiv von 103 Patientinnen wurde medizinisch abgeklärt und nach Ausschluß von organischen Ursachen einer psychodiagnostischen Untersuchung unterzogen. Neben einer ausführlichen Schmerzanamnese wurden aktuelle und vergangene Belastungsfaktoren erhoben und anhand der klinisch-diagnostischen Leitlinien für somatoforme Störungen bewertet. Ergebnisse: Die Ergebnisse zeigten, daß 84 Patientinnen die Kriterien einer somatoformen Schmerzstörung nach ICD-10 erfüllten. Bei der überwiegenden Mehrheit (86 %) waren die Schmerzzustände von mehreren psychovegetativen Symptomen begleitet. Der Großteil der untersuchten Frauen wies Belastungsfaktoren in verschiedenen Lebensbereichen auf. Mehr als die Hälfte klagte über Partner- und Sexualprobleme, 38 % über familiäre Schwierigkeiten, 41 % waren mehrfach belastet. Etwa ein Drittel berichtete von Gewalterfahrungen und traumatischen Erlebnissen in der Kindheit, 20 % hatten frühe Verlusterlebnisse und 19 % stammten aus „broken home”-Familien. Bei nahezu allen Patientinnen lag eine Indikation zur psychologischen Behandlung vor. Jedoch waren nur 28 % einer solchen Behandlung zugänglich, während 72 % dieses Behandlungsangebot nicht in Anspruch nahmen. Schlußfolgerung: Durch wiederholte somatische Therapien werden Patientinnen in ihrer Überzeugung bestärkt, daß die Schmerzen organischen Ursprungs sind. Die Ergebnisse dieser Studie bestätigen die Notwendigkeit einer multidisziplinären Diagnostik und Behandlung bei Frauen mit rezidivierenden Unterbauchbeschwerden.

Abstract

Objective: Pelvic pain is a frequent problem in gynecologic practice. We studied underlying psychologic factors in patients with chronic pelvic pain. Methods: We analyzed underlying psychosocial factors in 103 patients with chronic pelvic pain. After medical evaluation all patients were interviewed by a clinical psychologist with a series of questions concerning current psychologic symptoms, partnership and family, sexuality, and significant life events. The data were used to categorize the patients according to the ICD-10 criteria of somatoform disorders. Results: 84 patients (82 %) met the ICD-10 criteria for a somatoform disorder. Psychologic evaluation revealed more than one psychophysiologic symptom (e.g., gastrointestinal complaints, sleeping disorders, headache) and various distressing factors in different areas in addition to pelvic pain. More than half of the patients reported problems with partnership and sexuality, 38 % had family problems, and 41 % had psychologic distress in several areas. About one third of the patients reported abusive behavior including sexual abuse within the family, 20 % had traumatic childhood experiences such as personal losses, and 19 % came from broken homes. Although psychologic intervention was indicated and recommended for almost all patients, only 28 % of patients participated while 72 % declined. Conclusions: One of the greatest obstacles to psychologic treatment is the patient's belief that the pain is physical as opposed to psychologic in origin. Chronic pelvic pain is a complex syndrome requiring physical as well as psychologic evaluation. The presence of psychologists at gynecology units is useful to establish a multi-disciplinary treatment plan.

Literatur

1 Diese Richtlinien wurden aus dem Buch Somatisierungsstörung und Hypochondrie, 1998 mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber entnommen [29].

Dr. Elfriede R. Greimel

Geburtshilflich-gynäkologische Universitätsklinik

Auenbruggerplatz 14

A-8036 Graz

Österreich