Zeitschrift für Palliativmedizin 2018; 19(02): 61-62
DOI: 10.1055/s-0044-102270
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Hospiz- und Palliativkultur in stationären Pflegeeinrichtungen: kein Kann, ein Muss!

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Publication Date:
26 February 2018 (online)

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Michaela Hach
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Gabriele Müller-Mundt

Die Begleitung und Versorgung hochbetagter Menschen mit chronischen Erkrankungen und Demenz in der letzten Lebensphase gewinnt in Pflegeeinrichtungen zunehmend an Gewicht. Knapp die Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner verstirbt im Verlauf eines halben Jahres nach dem Einzug. Pflegeeinrichtungen sind zunehmend Orte des Sterbens geworden, ein Großteil dieser Menschen wird jedoch in einer Palliativsituation nicht wahrgenommen und dementsprechend auch nicht behandelt und begleitet.

Vieles wurde in den letzten Jahren dafür getan, Menschen – in ihrem Wunsch auch im Hilfe- und Pflegefall in ihrem zu Hause bleiben zu können –, zu unterstützen (z. B. durch die Pflegestärkungsgesetze). Dies veränderte jedoch auch den Zeitpunkt eines eventuellen Einzugs in eine Pflegeeinrichtung, wodurch diese sich schon heute, aber in Zukunft sicher noch verstärkt mit den Bedürfnissen und Bedarfen Schwerstkranker und Sterbender auseinandersetzen müssen.

Eine würdevolle Pflege und Versorgung, die sich nach dem individuellen Unterstützungsbedarf und dem Versorgungswunsch der Bewohner und Bewohnerinnen in Pflegeeinrichtungen ausrichtet, braucht verbindliche Rahmenbedingungen, wozu neben zukunftsweisenden Versorgungskonzepten auch eine entsprechende Personalentwicklung und -bemessung sowie eine dafür auskömmliche Finanzierung gehören. Für die Unterstützung des „Leben bis zum Schluss“ und „Sterbens in Würde“ mangelt es in den Pflegeeinrichtungen jedoch oft bereits an hinreichenden personellen, aber auch fachlichen Ressourcen. Hier ist die Gesellschaft gefragt, für eine Gleichbehandlung und Versorgungsgerechtigkeit für alle schwerstkranken und sterbenden Menschen Sorge zu tragen.

Auf der einen Seite werden spezialisierte Hospiz- und Palliativeinrichtungen, in denen Wünsche und Bedürfnisse der Gäste zu allen Tages- und Nachtzeiten entsprechend beachtet und befriedigt werden können, gefördert. Andererseits scheint die Gesellschaft zu akzeptieren, dass in Pflegeeinrichtungen schwerstkranke und sterbende Menschen mit vielerorts engsten Personalsituationen, vielen Hilfskräften mit oft nicht ausreichenden deutschsprachigen und qualifizierten Kenntnissen, hoher Fluktuation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und entsprechend engen Zeitfenstern, begleitet und versorgt werden sollen.

Auch der bereits eingeschlagene Weg, Pflegefachpersonen zu entlasten, indem einige Tätigkeiten der Begleitung und Versorgung auf Betreuungskräfte übertragen werden, ist im Hinblick auf die Begleitung von sterbenden Bewohnerinnen und Bewohnern wenig sinnvoll. Die palliative Versorgung und Sterbebegleitung konzentriert sich im Wesentlichen nicht auf „manuell-technische Tätigkeiten“, sondern orientiert sich vielmehr an dem Bedarf an Zuwendung, Kommunikation, Begleitung, individuell angepasster und bedürfnisorientierter Pflege sowie lindernden Maßnahmen. Gerade dieses scheitert nicht selten an engen institutionellen Vorgaben in Pflegeeinrichtungen. Zunehmende Standardisierung von Versorgungsabläufen und Einengung der pflegerischen Handlungskompetenz, lassen wenig Spielraum für situatives Handeln und sukzessive Klärung von Pflege- und Behandlungswünschen sowie der Beratung zu individuellen Entscheidungen und deren Umsetzung.

Auch die ärztliche Versorgung ist für eine gelingende Begleitung der Bewohner und Bewohnerinnen, v. a. in der letzten Lebensphase von Relevanz. Nicht selten fehlen regelmäßige Hausbesuche, eindeutige Therapiezielklärungen und ein zeitnah angepasstes Behandlungsregime, welches dem wechselnden Bedarf und den Bedürfnissen von sterbenden Bewohnerinnen und Bewohnern gerecht wird.

Im Hospiz- und Palliativgesetz (HPG, 2015) wurde die Sterbebegleitung als Aufgabe der beruflichen Pflege und der Pflegeeinrichtungen herausgestellt, jedoch ohne diese näher inhaltlich und strukturell „festzuschreiben“. Erste Impulse hierfür wurden bereits 2012 im Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) und dem Deutschen Hospiz- und Palliativverband (DHPV) „Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen im hohen Lebensalter in Pflegeeinrichtungen" gesetzt. Exemplarisch sei ferner auf das „Konzept zur Hospizkultur und Palliativversorgung in Pflegeeinrichtungen in NRW – Umsetzungsmöglichkeiten für die Praxis“ von 2016, herausgegeben vom Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes NRW (MAGS), verwiesen.

Eckpfeiler einer nachhaltigen Entwicklung sind demnach ein verbindliches Konzept für die Palliativversorgung, die Qualifizierung aller in Pflegeeinrichtungen Tätigen und die Benennung eines Verantwortlichen, der für die Umsetzung einer „Hospiz- und Palliativkultur“ in der Einrichtung Sorge trägt. Auch der mit dem Hospiz- und Palliativgesetz neu eingeführte § 132g SGB V, der in Deutschland eine Möglichkeit eröffnet, Advance Care Planning (ACP) – zu Deutsch „Behandlung im Voraus planen“ (BVP) u. a. in Pflegeeinrichtungen zu etablieren, ist für eine Entwicklung von Hospizkultur und Palliativkompetenz in Pflegeinrichtungen von großer Bedeutung. Nur in Pflegeeinrichtungen in denen eine solche Kultur bereits entwickelt ist, werden Behandlungsentscheidungen der Bewohner und Bewohnerinnen im Sinne einer Palliativversorgung auch entsprechend beachtet und umgesetzt werden können.

Die mit dem HPG neu eingeführte „Besonders qualifizierte und koordinierte Palliativmedizinische Versorgung“ (BQKPMV) und die bereits vielerorts etablierte „Spezialisierte ambulante Palliativversorgung“ (SAPV) können ebenfalls zu einer verbesserten palliativmedizinischen Versorgung der Bewohner und Bewohnerinnen beitragen. Auch die Förderung der Zusammenarbeit und die Inanspruchnahme von ehrenamtlicher Hospizbegleitung sowie die Vernetzung und Teilhabe an lokalen Hospiz- und Palliativnetzwerken sind für die nachhaltige Etablierung einer Hospiz- und Palliativkultur in Pflegeeinrichtungen von zunehmender Bedeutung.

Ein „hohes Alter“ und „Leben im Heim“ sind primäre „Prädiktoren“ für eine unzureichende Palliativversorgung. In die Diskussion zur Verteilungsgerechtigkeit und die Entwicklung von Lösungswegen, um einer Zwei-Klassen Sterbekultur in Deutschland entgegen zu wirken, sollten wir uns daher künftig verstärkt einbringen.

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