Aktuelle Kardiologie 2018; 7(02): 110-115
DOI: 10.1055/s-0044-101082
Übersichtsarbeit
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Abrechnungsbetrug – die neue Hexenjagd auf einen renommierten Berufsstand

Accounting Fraud – A New Witch Hunt against a Prestigious Profession
Richard Beyer
BEYER Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München
,
Daniela Gabler
BEYER Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München
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Publication Date:
03 May 2018 (online)

Zusammenfassung

Wegen Abrechnungsbetrug ins Visier von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu gelangen, ist eine imminente Gefahr für jeden privat liquidierenden oder kassenärztlich niedergelassenen Kollegen. Die Rechtsprechung unterstellt, dass jeder Arzt die Regelungen und die Abrechenbarkeit bis in die kleinste Verästelung kennt bzw. kennen muss. Auch die Auslegung der Abrechnungsziffern hat der Arzt eigenverantwortlich vorzunehmen. Als problematisch muss hervorgehoben werden, dass bereits ab einer angenommenen Schadenssumme von nur 50,00 EUR ein staatsanwaltschaftlich zu ahndendes, relevantes Betrugsdelikt angenommen wird. Die Hürden zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens oder von Durchsuchungsmaßnahmen sind in Deutschland niedrig. Ein Anfangsverdacht, d. h. die bloße Wahrscheinlichkeit, basierend auf der kriminalistischen Erfahrung der Ermittlungsbehörden, dass ein Abrechnungsbetrug begangen worden sein könnte, ist hierfür ausreichend. Allzu rasch wird ein Beschuldigter so zum Spielball der Ermittlungsbehörden und steht nahezu rechtsschutzlos da. Ein Ermittlungs- oder Gerichtsverfahren wegen Abrechnungssachen stellt eine existenzielle Bedrohung für jeden Arzt dar – bis hin zum Verlust der ärztlichen Approbation.

Abstract

Finding yourself the target of investigative procedures by the public prosecutorʼs office is an immanent risk for every private or statutory health insurance physician. The law assumes that every physician is and must be familiar with all regulations respecting the invoicing of services, down to the most minute details. Physicians are also expected to interpret the medical accounting codes at their own responsibility. What makes this particularly problematic is that even a putative loss amounting to just 50.00 EUR may already be classified as fraud requiring investigation by the public prosecutorʼs office. The obstacles which would mitigate against opening investigative proceedings or initiating search procedures are low in Germany. An initial suspicion, i.e. a mere balance of probability that accounting fraud might have been committed, is sufficient. All too quickly, the suspect becomes a mere pawn of the investigative authorities and is left with almost no legal protection. Investigative or court proceedings for putative accounting irregularities represent an existential threat for every physician – and can even lead to the loss of their license to practice medicine.

Was ist wichtig?
  • Von politischer Seite besteht der eindeutige Wille, Abrechnungsbetrug im Gesundheitssystem vehement und effektiv zu verfolgen. In der öffentlichen Debatte wird oft die Ärzteschaft als betrügerisch und somit verantwortlich für systemimmanente wirtschaftliche Probleme hingestellt. Der juristische Laie, der in der Regel keine Kenntnisse darüber hat, wann bereits die strafrechtlichen Voraussetzungen des Abrechnungsbetrugs erfüllt sind, bildet sich dabei seine Meinung aus den zum Teil hetzerischen Berichten in den Medien.

  • Ein gesetzlich zu verfolgender Anfangsverdacht, der staatsanwaltschaftliche Ermittlungen in Richtung Abrechnungstricksereien rechtfertigt, liegt bereits vor, wenn kriminalistische Erfahrungen es als möglich erscheinen lassen, dass eine verfolgbare Straftat vorliegt – d. h. bei der bloßen abstrakten Wahrscheinlichkeit, dass eine Straftat begangen wurde. Eine geschätzte Schadenssumme von 50 EUR wird dabei als ermittlungstechnisch verfolgungswürdig angesehen.

  • Für die Ermittlung der Schadenshöhe werden Rechtsgrundsätze aus dem Sozialrecht auf das Strafrecht übertragen. Die sog. „streng formale Betrachtungsweise“ führt dazu, dass die Leistung in ihrer Gesamtheit nicht als abrechenbar gilt.

  • Nahezu absurd erscheinen die berufsrechtlichen Konsequenzen, wenn man sie in Relation zu anderem beruflichen Fehlverhalten setzt: sie können den Verlust der ärztlichen Approbation bedeuten. Zusätzlich ist bei Abrechnungsbetrug mit Disziplinar- oder Zulassungsentziehungsverfahren zu rechnen. In jedem Fall werden die Kostenträger hohe Schadensersatzsummen vom Beschuldigten einfordern. Jedem Betroffenen ist zu raten, Vorsicht walten zu lassen, wenn gegen ihn der Betrugsvorwurf erhoben wird, da existenzielle Konsequenzen drohen.