Ernährung & Medizin 2017; 32(04): 145
DOI: 10.1055/s-0043-124002
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Haug Verlag in Georg Thieme Verlag KG Stuttgart

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19 December 2017 (online)

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Das vorliegende Heft befasst sich mit dem thematischen Schwerpunkt „Hormone als Steuersubstanzen des Lebens“, wobei die Frage im Mittelpunkt steht, welche Rolle Nährstoffe in diesem Kontext spielen. Angesichts der fundamentalen Bedeutung der Ernährung für eine Vielzahl hormoneller Regulationen konnten natürlich nur einige wenige Zusammenhänge exemplarisch dargestellt werden.

Ein besonders eindrucksvolles Beispiel für die engen Wechselwirkungen zwischen Ernährung und hormonellen Regulationen liefern die Schilddrüsenhormone, für deren Biosynthese so unterschiedliche Nährstoffe wie die Aminosäure Tyrosin als Substrat, das Spurenelement Selen als Bestandteil der enzymatischen Konversion und das Spurenelement Jod als essenzielle molekulare Komponente unerlässlich sind. Dementsprechend kann es bei Mangel oder Fehlernährung rasch zu schwerwiegenden hormonellen Entgleisungen kommen, die sich nicht nur metabolisch bemerkbar machen, sondern insbesondere auch das Verhalten und die Psyche in Mitleidenschaft ziehen.

Ernährungsbedingte Störungen im Bereich der Schilddrüsenhormone bleiben nicht auf deren periphere Wirkungen beschränkt, sondern bedingen auch zentrale Rückkopplungen auf die hypophysären stimulatorischen bzw. inhibitorischen Regulationen. Dies hängt mit der hierarchisch organisierten Netzwerkstruktur hormoneller Regulationen zusammen.

Ein anderes eindrucksvolles Beispiel sind neurohormonelle Regulationen.

Nervenzellen üben ihre zentralen und peripheren Funktionen eben nicht nur durch elektrische Mechanismen aus, sondern ganz wesentlich durch die Sekretion von Hormonen. Diese Neurohormone entfalten ihre Funktionen zwar in der Wechselwirkung mit peripheren Organen, dieselben Hormone vermitteln aber auch die Kommunikation zwischen den Nervenzellen des zentralen Nervensystems und werden dann als Neurotransmitter bezeichnet. Auf diese Weise sind viele menschliche Verhaltensweisen, wie z. B. Flucht oder Kampf, eng mit der Sekretion von Neurohormonen verknüpft, beispielsweise über die Katecholamine.

Auch für die Biosynthese von Katecholaminen ist wieder die Präsenz verschiedenster Nährstoffe unerlässlich. Ähnlich wie bei den Schilddrüsenhormonen ist die Aminosäure Tyrosin als Substrat erforderlich sowie Eisen für die enzymatische Konversion und Vitamin C als Redox-Komponente.

Möglicherweise haben sich die modernen Neurowissenschaften derzeit in eine gewisse Sackgasse manövriert, da sie den Nachbau der Steuerung des menschlichen Verhaltens mittels „Big Data“ und künstlicher Intelligenz z. B. in Robotern ausschließlich über elektrische Mechanismen versuchen. Möglicherweise ist jedoch die Dualität von elektrischen und chemisch-biologischen Mechanismen erforderlich, um so komplexe Phänomene wie menschliches Verhalten und Bewusstsein zu simulieren. Dies wiederum würde auf die Bedeutung der Verfügbarkeit entsprechender Nährstoffe hinweisen und auch den jeweiligen genetischen und epigenetischen Voraussetzungen Rechnung tragen.

Karlheinz Schmidt