Diabetologie und Stoffwechsel 2017; 12(06): 447-448
DOI: 10.1055/s-0043-123791
Leserbrief
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Zum Beitrag: „Ist Diabetes heilbar durch bariatrische Chirurgie? Mechanismen der Verbesserung der diabetischen Stoffwechsellage durch chirurgische Adipositastherapie“

Helmut Kleinwechter
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Publication Date:
18 December 2017 (online)

Im oben genannten Artikel [1] untersucht Herr Kollege Weck auf der Basis von ihm für wichtig erachteter Studien die Frage der Heilbarkeit des (Typ-2-)Diabetes durch bariatrische Chirurgie. Seine klare, apodiktische Antwort lautet: „Nein“, heilbar sei der Diabetes nicht. Ich komme zu einem anderen Ergebnis und antworte „ja“, Diabetes kann und soll geheilt werden. Ein „Ja“ ist dann möglich, wenn Einigung über die Definition von Heilung des Diabetes besteht und darüber, wem gegenüber von Heilung gesprochen werden soll. Heilung ist mit und ohne bariatrische Chirurgie möglich.

Die Deutsche Diabetes Gesellschaft formuliert in ihrer aktuellen Satzung als Leitgedanke in der Präambel: „Diabetes erforschen, verhindern, behandeln und heilen“ [2]. Die American Diabetes Association (ADA) hat den Auftrag „… to prevent and cure diabetes and to improve the lives of all people with diabetes“ [3].

Weck stellt seinen Ausführungen eine Stellungnahme der ADA zur Frage der Remission und Heilung des Diabetes voran. Diese Stellungnahme wird unvollständig und nicht ganz fehlerfrei wiedergegeben. Zunächst: Es handelt sich nicht um ein Statement der ADA, sondern um ein im Auftrag der ADA erstelltes Konsensus-Statement von 12 Persönlichkeiten aus den Gebieten Endokrinologie, Diabetesschulung, Transplantation, Stoffwechsel, bariatrische/metabolische Chirurgie und Hämatologie/Onkologie. Die Autoren unterscheiden dabei:

  • partielle Remission

  • komplette Remission

  • prolongierte komplette Remission, operational als Heilung zu bezeichnen

Die genauen Definitionen der Remissionsgrade bzw. Heilung zeigt [Tab. 1]. Auf eine zusätzliche Aufnahme des oralen Glukosetoleranztests konnte sich die Gruppe nicht einigen.

Tab. 1

Definition von Diabetesremission und Heilung nach Konsensus-Statement [3].

Remissionsart

HbA1c

Nü-BZ (mg/dl/bzw. mmol/l)

Diabetesmedikamente, endoluminale Maßnahmen[1]

Dauer

partielle Remission

< 6,5 %

100 – 125

5,6 – 6,9

keine

≥ 1 Jahr

komplette Remission

< 5,7 %

< 100

< 5,6

keine

≥ 1 Jahr

prolongierte Remission/„Heilung“

< 5,7 %

< 100

< 5,6

keine

≥ 5 Jahre

1 z. B. Magenband, Endobarrier, Magenballon.


Die von Weck besprochenen Studien decken in keinem einzigen Fall die von ihm vorangestellten Definitionen der Remission ab, siehe [Tab. 2].

Tab. 2

Die von Weck besprochenen Studien im Abgleich mit der Konsensus-Definition der verschiedenen Remissionsgrade.

Studie

partielle Remission

komplette Remission

prolongierte Remission

Bemerkung

Christou

k.A.

k.A.

k.A.

rel. Risikoreduktion Diabetes 65 %

SOS

k.A.

k.A.

k.A.

Diabetesremission 10 Jahre 36 %

Mingrone

abweichend

abweichend

abweichend

def. Remission: NBZ < 5,6 mmol/l, HbA1c < 6,5 %, 37 – 63 % nach 5 Jahren

STAMPEDE

abweichend

abweichend

abweichend

def. Remission: HbA1c < 6 %, 23 – 29 % nach 5 Jahren

CROSSROADS

abweichend

abweichend

nur 1 Jahr

def. Remission: HbA1c < 6 %, 1 Jahr RYGB 60 %, ILMI 5,9 %

DSS

abweichend

abweichend

Nur 3 Jahre

def. Remission: Kombination aus HbA1c < 7 %, LDL-C < 2,6 mmol/l, sys RR < 130 mmHg, nur Diabetes 17 %

k.A. = keine Angabe.

Die bisher einzige mir bekannte Studie, die einen Abgleich mit der Konsensus-Definition gesucht hat, wurde Ende 2014 veröffentlicht und schloss Patienten mit bariatrischer Chirurgie ausdrücklich aus. Aus methodischen Gründen konnte nur der HbA1c ausgewertet werden, dieser musste allerdings 2-mal das Remissionskriterium erfüllen. Es handelte sich um eine Analyse unter realen Bedingungen („community setting“) von 122 781 Erwachsenen, die bei der Kaiser Permanente Versicherung Nordkalifornien (KPNC) eingeschrieben waren [4].

Die kumulativen Inzidenzen lagen nach 7 Jahren für die

  • partielle Remission bei 1,47 % (95 %-CI: 1,40 – 1,54 %)

  • komplette Remission bei 0,14 % (95 %-CI: 0,12 – 0,16 %)

  • prolongierte Remission bei 0,007 % (95 %-CI: 0,003 – 0,02 %)

In der Gesamtgruppe betrug die Rate irgendeiner Remissionsart 1,6 % (95 %-CI: 1,53 – 1,68 %), war aber in der Gruppe mit neu entdecktem Diabetes und einer Diabetesdauer < 2 Jahren mit 4,6 % (95 %-CI: 4,3 – 4,9 %) deutlich höher. Nach Korrektur für demografische und klinische Variablen korrelierte das Erreichen der Remission mit einem Alter > 65 Jahren, afroamerikanischer Ethnizität, < 2 Jahre seit der Diabetesdiagnose, einem HbA1c < 5,7 % und fehlender Diabetesmedikation bei der Basiserhebung. Die Autoren stellen fest, dass eine Remission des Typ-2-Diabetes unter realen und nicht experimentellen Bedingungen (Studien) ohne bariatrische Chirurgie auftritt, aber sehr selten ist. Fasst man die Remissionsraten zusammen, so ist es offensichtlich, dass nach bariatrischer Chirurgie die Erfolgsraten höher zu veranschlagen sind.

Wann also ist ein Typ-2-Diabetes geheilt? Dazu halte ich die Konsensus-Definition der prolongierten Remission für zielführend. Sie kann für operatives und nichtoperatives Vorgehen gleichermaßen gelten, da auf einen oGTT verzichtet wird. Ob man die Grenze nun bei 5, bei 7 oder vielleicht bei 10 Jahren setzt, ist Vereinbarungssache. Jedenfalls hätte es den Vorteil, dass wir unseren Patienten Hoffnung machen könnten, dass bei Persistenz von Normoglykämie für einige Jahre sie von ihrem Diabetes geheilt sind. Verzichtet man auf diesen Ansatz, dann müsste man warten, bis die in prolongierter Remission befindlichen Patienten verstorben sind. Wem nützte es dann, wenn man feststellte, dass der Patient zwar tot ist, aber rückblickend von seinem Diabetes geheilt war. Heilung ist eine Botschaft des Arztes an seine lebenden Patienten.

Damit nicht genug. In jedem Fall einer kompletten Remission müssen wir uns Gedanken machen über die weiteren Kontrollen zu mikrovaskulären Komplikationen. Denn wer einmal als vormaliger Diabetespatient – wie auch immer – in eine Remission gelangt, dessen mikrovaskuläre Risiken sinken, teils erheblich. Dazu hat die Konsensus-Gruppe ebenfalls Vorschläge gemacht. Diese sind:

  1. Innerhalb von 5 Jahren einer kompletten Remission finden die gleichen Kontrollen wie bei manifestem Diabetes statt.

  2. Sind 5 Jahre mit kompletter Remission vorbei, können die Kontrollen je nach Status der spezifischen Komplikationen reduziert bzw. zeitlich gestreckt werden.

  3. Sind 5 Jahre mit kompletter Remission vorbei, so kann auf Kontrollen zu organspezifischen Komplikationen ganz verzichtet werden, wenn das Organ bislang nie von einer Komplikation betroffen war.

Heilung des Diabetes ist möglich. Es ist nicht nur der Auftrag an uns Ärzte, dies zu verwirklichen, sondern auch mit der Aussicht auf Heilung unseren Patienten Hoffnung zu machen. Dies setzt eine konsentierte Definition voraus. Haben unsere Patienten die Definition von Heilung verstanden, so werden sie auch verstehen, dass wir sie bei erfolgreicher Heilung von unnötigen diabetesspezifischen Kontrollen entlasten können. Es ist daher ein ethisches Gebot, Patienten nach wissenschaftlichem Erkenntnisstand berechtigte Hoffnungen auf Heilung ihrer chronischen Krankheit Diabetes zu machen. Es würde Patienten, Ärzte und Wissenschaftler beflügeln.