Fortschr Neurol Psychiatr 2017; 85(12): 722
DOI: 10.1055/s-0043-121943
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Angst vor Schlangen und Spinnen ist angeboren

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Publication Date:
06 December 2017 (online)

Schlangen und Spinnen rufen bei vielen Menschen Angst und Ekel hervor. Auch in den Industrieländern ist die Furcht vor diesen Tieren weit verbreitet, obwohl dort kaum einer mit ihnen in Kontakt kommt: Etwa 1−5 % der Menschen sind von einer echten Phobie gegenüber diesen Tieren betroffen. Bisher war umstritten, ob diese Abneigung angeboren oder erlernt ist. Wissenschaftlerinnen am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig und der Uppsala University haben nun herausgefunden, dass sie in uns angelegt ist: Bereits bei 6 Monate alten Babys wird eine Stressreaktion ausgelöst, wenn sie Schlangen oder Spinnen sehen – in einem Alter, in dem sie noch sehr immobil sind und kaum Gelegenheit hatten, zu lernen, dass diese beiden Tiergruppen schlecht seien.

„Als wir den Kleinen Bilder einer Schlange oder Spinne zeigten statt etwa einer Blume oder eines Fischs gleicher Farbe und Größe, reagierten sie mit deutlich vergrößerten Pupillen“, so Stefanie Hoehl, Erstautorin der Studie. „Das ist bei gleichbleibenden Lichtverhältnissen ein wesentliches Signal dafür, dass das sogenannte noradrenerge System im Gehirn aktiviert wird, das mit Stressreaktionen in Verbindung steht.“ Selbst die Kleinsten sind also beim Anblick dieser Tiergruppen bereits gestresst.

„Wir gehen daher davon aus, dass die Angst vor Schlangen und Spinnen einen evolutionären Ursprung hat. Bei uns, und auch bei anderen Primaten, sind offensichtlich von Geburt an Mechanismen im Gehirn verankert, durch die wir sehr schnell Objekte als ‚Spinne‘ oder ‚Schlange‘ identifizieren und darauf reagieren können.“ Diese offensichtlich angeborene Stressreaktion prädestiniere uns wiederum sehr stark dafür, Spinnen und Schlangen als gefährlich oder eklig zu erlernen. Wenn dann noch weitere Faktoren hinzukommen, kann sich daraus eine echte Angst oder gar Phobie entwickeln. „Eine starke, panische Abneigung der Eltern oder auch die genetische Veranlagung zu einer überaktiven Amygdala, die wichtig für die Bewertung von Gefahren ist, können hier schnell aus einer erhöhten Aufmerksamkeit gegenüber diesen Tieren eine echte Angststörung entstehen lassen.“

Das Interessante dabei: Aus anderen Studien ist bekannt, dass Babys Bilder von Nashörnern, Bären oder anderen Tieren, die uns theoretisch ebenfalls gefährlich werden können, nicht mit Angst assoziieren. „Wir vermuten, dass die gesonderte Reaktion beim Anblick von Spinnen oder Schlangen damit zusammenhängt, dass potenziell gefährliche Reptilien und Spinnentiere mit dem Menschen und seinen Vorfahren seit 40−60 Mio Jahren koexistieren – und damit deutlich länger als etwa mit den uns heute noch gefährlichen Säugetieren.“ Die Reaktionen, die die heute von Geburt an gefürchteten Tiergruppen auslösen, konnten sich damit über einen evolutionär sehr langen Zeitraum im Gehirn verankern.

Nach einer Mitteilung des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften