Z Gastroenterol 2017; 55(07): 688-689
DOI: 10.1055/s-0043-113712
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Jahrespressekonferenz der DGVS in Berlin: Gastroenterologen stellen Weißbuch vor – die Zahlen zeigen: Gastroenterologische Erkrankungen sind Volkskrankheiten

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Publication Date:
14 July 2017 (online)

Die nicht-malignen Krankheiten der Verdauungsorgane sind nach den Herz-Kreislaufstörungen die häufigsten Krankheiten der Deutschen. Jährlich werden rund zwei Millionen Menschen, die an einer Erkrankung des Verdauungssystems leiden, im Krankenhaus behandelt. Und mehr als 37 000 Menschen sterben jedes Jahr an Krankheiten der Verdauungsorgane – deutlich mehr als an Infektionskrankheiten, Diabetes, psychischen Störungen, Demenz oder den muskuloskelettalen und neurologischen Erkrankungen. Als Volkskrankheiten werden die gastroenterologischen Erkrankungen von Politik und Öffentlichkeit dennoch nicht wahrgenommen – und rangieren in Gesundheitspolitik und Wissenschaftsförderung entsprechend weit hinten. Zu diesem Schluss kommt die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) in ihrem neuen „Weißbuch Gastroenterologische Erkrankungen 2017“. Dieses wurde im Rahmen der Jahrespressekonferenz der DGVS am 30. Mai 2017 in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt. „Die Relevanz der gastroenterologischen Erkrankungen im Hinblick auf Mortalität, Morbidität und Kosten ist unbestritten und die deutsche gastroenterologische Forschung genießt international ein sehr hohes Ansehen“, so Professor Dr. med. Frank Lammert, Präsident der DGVS und gemeinsam mit Professor Dr. med. Markus M. Lerch Herausgeber des Weißbuchs. „Trotzdem ist bis heute eine Förderung beispielsweise durch koordinierte Projekte der Wissenschaftsförderung des Bundes, wie etwa die Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung oder die Integrierten Forschungs- und Behandlungszentren, ausgeblieben. Hier braucht es dringend ein Umdenken!“

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Pressekonferenz der DGVS mit Prof. Thomas Seufferlein, Prof. Frank Lammert, Moderatorin Anne-Katrin Döbler, Prof. Christian Trautwein und Prof. Irmtraut Koop (vlnr). Quelle: Juliane Pfeiffer

Mit dem erstmalig aufgelegten Weißbuch will die DGVS eine validierte Zahlengrundlage schaffen, auf deren Basis Diskussionen über die Gegenwart und Zukunft der gastroenterologischen Erkrankungen in Deutschland geführt werden können.

Neben dem neuen Weißbuch stellten DGVS-Experten auf der Pressekonferenz außerdem aktuelle Entwicklungen in der Behandlung gastroenterologischer Erkrankungen vor. So hätten etwa die Erkenntnisse rund um den Darmkrebs in den vergangenen Jahren deutliche Fortschritte gemacht, berichtete Professor Dr. med. Thomas Seufferlein aus Ulm. Durch neue Therapiekonzepte seien die Aussichten auf Heilung heute besser und selbst bei fortgeschrittenem Darmkrebs die Überlebenszeiten deutlich länger. Durch die Sequenzierung des Darmkrebsgenoms habe sich das Wissen um den molekularen Kontext von kolorektalen Karzinomen umfassend erweitert, woraus sich vielversprechende neue Ansätze für zukünftige individualisierte Therapien ergäben.

Professor Seufferlein wies auch auf die kürzlich in Kraft getretenen Änderungen hinsichtlich der Vorsorge hin: Seit dem 1. April 2017 erstatten die Krankenkassen einen neuen Test zur Früherkennung von Darmkrebs – der bisherige Guajak-Test, der verstecktes Blut im Stuhl anzeigt, wurde durch den weniger störanfälligen immunologischen Stuhltest iFOBT ersetzt. Und auch bei der Vorsorge läuft die Forschung weiter auf Hochtouren: In den nächsten Jahren sei damit zu rechnen, dass die ersten blutbasierten Tests zur Früherkennung von Darmkrebs zum Einsatz kommen könnten, so Seufferlein. Bis dahin bleibe der Goldstandard bei der Vorsorge die Darmspiegelung.

Über die dramatisch steigende Anzahl von Menschen mit einer nicht-alkoholischen Fettlebererkrankung (NAFLD) und die damit einhergehenden Folgen berichtete Professor Dr. med. Christian Trautwein aus Aachen. Derzeit leben in Deutschland rund zehn Millionen Menschen mit NAFLD – Tendenz steigend. Von diesen hätten etwa zwei bis drei Millionen eine Fettleberhepatitis. Dies werde in den nächsten Jahren nicht nur zu einem Anstieg der Leberzirrhosen und der hepatozellulären Karzinome führen, sondern durch die systemische Entzündungsreaktion auch die Zahl der kardiovaskulären Erkrankungen, der Kolon- und der Pankreaskarzinome ansteigen lassen.

Weil nur etwa 30 Prozent der Betroffenen es schafften, ihre Lebens- und Essgewohnheiten umzustellen und langfristig Gewicht zu reduzieren, komme einer zukünftigen medikamentösen Therapie eine wichtige Rolle zu. Therapeutika befänden sich derzeit in Phase II- beziehungsweise Phase III-Studien – mit einer ersten Zulassung von Medikamenten sei bereits 2018/2019 zu rechnen. „Diese Therapien werden die Gesundheitssysteme in Zukunft enorm belasten“, so Trautwein. „Aktuell wird davon ausgegangen, dass der Umsatz mit Medikamenten zur Therapie der Fettleberhepatitis im Jahre 2025 in der Größenordnung von mindestens 15 Milliarden US-Dollar liegen dürfte und damit noch deutlich über dem der HCV-Therapie liegen wird.“

Die aktuelle Diskussion um Nutzen und Risiken von Magensäureblockern griff Professor Dr. med. Irmtraut Koop aus Hamburg in ihrem Statement auf. In den vergangenen Jahren sind Verordnung und Verbrauch der Medikamente stark angestiegen. Die in einigen Studien beschriebenen Nebenwirkungen bei einer langfristigen Therapie müssten jedoch mit Vorsicht betrachtet werden, so die Expertin. Sie seien überwiegend in nur mäßig aussagekräftigen retrospektiven, beziehungsweise Kohortenstudien publiziert worden. Prospektiv erhobenen Daten sprächen eher gegen ein Risiko einer langfristigen PPI-Therapie. Weitere Studien müssten erst zeigen, inwieweit es sich bei den angegebenen Häufungen von Erkrankungen um Nebenwirkungen von PPI handelt oder ob nicht vielmehr Patientenalter, Begleiterkrankungen, Begleitmedikationen oder andere Ursachen eine Rolle spielen könnten. Die derzeit diskutierten potenziellen, aber eher unwahrscheinlichen Risiken von PPI sollten daher nicht dazu führen, dass Patienten mit gesicherter Indikation für eine säurehemmende Therapie verunsichert würden, so Professor Koop. Doch wie bei jedem anderen Medikament sollte bei einer dauerhaften Verordnung eine klare Indikation vorliegen. Patienten sollten einen PPI, der in der Apotheke frei käuflich ist, nicht länger als 14 Tage einnehmen, ohne sich mit ihrem Hausarzt hierüber abgesprochen zu haben.

Mit 22 Journalisten aus Publikums- und Fachpresse, darunter Vertretern von ARD/RBB, ÄrzteZeitung, MDR-Hörfunk, Deutsche Welle Fernsehen und Ärzteblatt, war die Pressekonferenz der DGVS gut besucht und bot die Gelegenheit zum aktiven Dialog zwischen Journalisten und Experten. Eine Möglichkeit, die für eine Fachgesellschaft wie die DGVS eine gute Chance bietet, Themen der Gastroenterologie auf die Agenda der Medien zu setzen und sich als Fachgesellschaft zu positionieren.

Juliane Pfeiffer