Senologie - Zeitschrift für Mammadiagnostik und -therapie 2016; 13(04): 166-167
DOI: 10.1055/s-0042-119675
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Historisches – Albert Salomon (1883–1976): Pionier der Mammografie und Verfolgter des Nationalsozialismus

Contributor(s):
Johannes Gossner
1   Abteilung für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Evangelisches Krankenhaus Göttingen-Weende
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Publication Date:
21 December 2016 (online)

Die Mammografie ist in der Diagnostik senologischer Erkrankungen im klinischen Alltag unentbehrlich. Die Erstbeschreibung von Röntgenaufnahmen der weiblichen Brust publizierte der Berliner Chirurg Dr. Albert Salomon 1913 in seiner Arbeit „Beiträge zur Pathologie und Klinik der Mammakarzinome“ [1].

Um die anatomische Ausbreitung und die daraus folgenden therapeutischen Konsequenzen verschiedener Tumorentitäten zu untersuchen, fertigte er von 108 Mastektomiepräparaten Röntgenbilder an. Er analysierte diese Aufnahmen und stellte Ihnen den makroskopischen Tumorbefund sowie die histologischen Befunde gegenüber. Im Vergleich zwischen dem Röntgenbild und dem anatomischen Präparat beschrieb er in dieser Arbeit die noch heute gültigen klassischen Bildkriterien bösartiger Befunde mit unscharfer Berandung, spikulären Ausläufern und Mikroverkalkungen, wie sie exemplarisch in  [Abb. 1] zu sehen sind, sowie das Erscheinungsbild pathologisch veränderter axillärer Lymphknoten [1].

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Abb. 1 Die erste publizierte Röntgenaufnahme eines Mammakarzinoms von Albert Salomon: für ein Karzinom typischer unscharfer Herdbefund mit spikulären Ausläufern in die Umgebung (mit freundlicher Genehmigung von Springer) [1].

Diese Vorarbeiten an Mastektomiepräparaten wurden dann in den 20er-Jahren wieder aufgegriffen. In einem Buchartikel über Tumoren der Brustdrüse aus dem Jahr 1927 beschreibt Dr. Kleinschmidt aus der Chirurgischen Universitätsklinik Leipzig die klinische Anwendung der Röntgenuntersuchung der Brust und publiziert zum ersten Mal die Aufnahme einer klinischen Mammografie [2].

Die Arbeit von Albert Salomon zeigt somit die individuell herausragende wissenschaftliche Arbeit deutscher Ärzte zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Aufgrund der erlittenen Verfolgung spiegelt sein Leben jedoch auch exemplarisch die wechselhafte Geschichte Deutschlands in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts wieder. Albert Salomon wurde am 26.1.1883 als Sohn des jüdischen Kaufmanns Wolf Salomon und seiner Frau Helene in Röbel an der Müritz, einer Kleinstadt im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin, geboren. Von 1900 bis 1905 studierte er Medizin an den Universitäten Berlin, Heidelberg, München und Würzburg. Zunächst begann er als Assistenzarzt am Krankenhaus Berlin-Friedrichshain unter den Chefärzten Prof. Wilhelm Braun (1871–1945) und Prof. Alfred Neumann (1865–1920). Dann setzte er seine Ausbildung am Jüdischen Krankenhaus Breslau unter dem Leiter Prof. Georg Gottstein (1868–1935) fort. 1909 kam er an die Chirurgische Universitätsklinik Berlin, die unter Leitung von Prof. August Bier (1861–1949) stand. Von 1916 bis 1919 diente er als Truppenarzt im 1. Weltkrieg und erhielt für seine Tätigkeit das Eiserne Kreuz 1. Klasse [3]. Nach Kriegsende habilitierte er sich 1921 zum Thema „Fortschritte der Wundbehandlung“ unter Prof. August Bier und wurde dann 1927 zum außerordentlichen Professor an der Friedrichs-Wilhelms-Universität ernannt [3],[4].

Am 7. April 1933 erließen die nationalsozialistischen Machthaber das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, in dem verfügt wurde, dass „nicht arische Beamte“ und solche „die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, dass Sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten“ in den Ruhestand zu versetzen sind. Ausgenommen waren sogenannte „Frontkämpfer“ des 1. Weltkrieges [5]. Trotz seines Einsatzes in Lazaretten des 1. Weltkrieges und der Auszeichnung mit dem Eisernen Kreuz wurde Albert Salomon am 8.9.1933 wegen „nicht arischer Abstammung“ die Lehrerlaubnis entzogen [6]. Danach eröffnete er eine Privatpraxis in Charlottenburg und übernahm 1935 die Leitung der Chirurgisch-Urologischen Poliklinik am Jüdischen Krankenhaus Berlin  [Abb. 2] [3],[7],[8]. Aufgrund seiner Teilnahme am 1. Weltkrieg wurde ihm noch nicht 1938 die Approbation entzogen wie anderen jüdischen Ärzten, sondern erst im folgenden Jahr.

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Abb. 2 Eintrag von Prof. Albert Salomon im Reichsmedizinalkalender 1937. Hier wurden alle nach der NS-Terminologie als „jüdisch“ eingestuften Ärzte mit einem Doppelpunkt vor dem Namen versehen [7].

Während der Progrome in der „Reichskristallnacht“ wurde er vom 10.11.1938 bis zum 29.11.1938 in das KZ Sachsenhausen deportiert [3],[9]. Die Haftbedingungen waren unmenschlich: laufende Misshandlungen, Hunger, Enge und schwere körperliche Arbeit. Nach Aussage seiner Frau Paula Salomon-Lindberg kam Albert Salomon schwer abgemagert und krank nach Hause. Er war zunächst so geschwächt, dass er mehrere Wochen bettlägerig war [9]. Der Familie wurde klar, dass sie Deutschland verlassen musste. Um der nationalsozialistischen Verfolgung zu entgehen, floh er mit seiner zweiten Frau Paula Salomon-Lindberg am 15.3.1939 mit gefälschten Ausweisen in die Niederlande. Dort wurde sein deutscher Medizinabschluss nicht anerkannt, sodass er als mittlerweile 56-jähriger habilitierter ehemaliger Chefarzt noch einmal mit einem Medizinstudium begann. 1943 wurden er und seine Frau im Durchgangslager Westerbork interniert, doch Ihnen gelang im November die Flucht aus dem Lager. Bis zum Ende des Krieges konnten Sie im Untergrund überleben. Nach dem Krieg konnte er 1946 das holländische Staatsexamen ablegen und eröffnete eine Privatpraxis in Amsterdam. Er nahm die holländische Staatsbürgerschaft an und starb am 7.5.1976 in Amsterdam [3].

 
  • Literatur

  • 1 Salomon A. Beiträge zur Pathologie und Klinik der Mammakarzinome. Arch Klin Chir 1913; 101: 573-668
  • 2 Kleinschmidt O. Brustdrüse. In: Zweifel P, Payr S, (Hrsg). Die Klinik der bösartigen Geschwulste. 1.. Leipzig: Hirzel; 1927: 5-90
  • 3 Fischer-Defoy C, Salomon Albert. Biografie auf Stolpersteine in Berlin. http://www.stolpersteine-berlin.de/de/biografie/4448 (letzter Zugriff 25.10.2016)
  • 4 Universitätsarchiv der Humboldt Universität Berlin, Med Fak. 1356, Blatt 243–253
  • 5 Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums Veröffentlicht im Reichsgesetzblatt vom 7.4.1933
  • 6 Schagen U. Ausgrenzung und Vertreibung an der Charité: Verfolgte Mitarbeiter 1933–1945. http://gedenkort.charite.de/menschen/ (letzter Zugriff 25.10.2016)
  • 7 Lautsch H, Dornedden H (Hrsg). Verzeichnis der Deutschen Ärzte und Heilanstalten. Reichs- Medizinal- Kalender für Deutschland Teil II. 58. Jg. Leipzig: Thieme; 1937
  • 8 Hartung-von Doentinchem D, Winau R (Hrsg). Zerstörte Fortschritte – Das Jüdische Krankenhaus in Berlin. 1.. Berlin: Edition Hentrich; 1989
  • 9 Felstiner ML. To paint her life: Charlotte Salomon in the nazi era. 1.. New York: Harper Perrenial Books; 1995