intensiv 2016; 24(06): 306-307
DOI: 10.1055/s-0042-113674
Kolumne · Rechtsticker
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kolumne · Rechtsticker

Tobias Weimer
1   WEIMER I BORK – Kanzlei für Medizin- & Strafrecht, Frielinghausstr. 8; 44803 Bochum, URL: info@kanzlei-weimer-bork.de   URL: www.kanzlei-weimer-bork.de
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Heidi Günther
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Publication Date:
07 November 2016 (online)

KOLUMNE

Prost Mahlzeit!

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(Paavo Blåfield)

Der Mensch ist, was er isst.

(Ludwig Feuerbach (1804–1872), deutscher Philosoph und Anthropologe)

Essen und Trinken gehören zu den Aktivitäten des täglichen Lebens – in der Pflege gern als ATLs bezeichnet und ein wichtiger Bestandteil der Pflegeplanung. Für die meisten Menschen, zumindest wenn sie irgendwann einmal Patient sind, die allerallerwichtigste ATL. Nur mühsam zu toppen von der Atmung an sich.

Wie wahrscheinlich in fast jedem Krankenhaus dieses Landes wird auch bei uns über Patientenbefragungen akribisch erhoben, wie zufrieden der Patient von erster ambulanter Vorstellung über stationäre Aufnahme, Behandlung und Betreuung bis zur Entlassung war oder auch nicht. Unter anderem und im Besonderen auch mit dem Essen an sich.

Nun ist es so, dass unsere Küche nicht gerade als Gourmetküche beschrieben werden, sie sich aber durchaus im Rahmen einer Krankenhausküche sehen bzw. schmecken lassen kann. Dennoch wird stets und ständig die Frage „Wie waren Sie mit den Mahlzeiten zufrieden?“ mit „mäßig“ bis „schlecht“ beantwortet. Auf einer Skala von 1 bis 10 wird oft gerade einmal eine 5–6 erreicht. David Wagner schreibt in seinem Buch „Leben“: „Sich über das Essen zu beklagen, gehört zur Krankenausfolklore.“ Da ist offensichtlich etwas dran.

Ich frage mich manchmal, wenn unsere Patienten sich über das Essen ereifern, was diese Leute sich täglich zu Hause selbst kredenzen. Bei uns kann zum Frühstück zum Beispiel zwischen fünf verschiedenen Brotsorten oder Brötchen gewählt werden. Also, wenn ich großes Glück habe, könnte ich mich zu Hause zwischen Knäckebrot und Mischbrot entscheiden. Und ob ich immer Wurst, Frischkäse und/oder Schnittkäse im Kühlschrank habe, ist hier noch die Frage. Mit Obst und Joghurt sieht es bei mir schon etwas besser aus. Aber nur selten bis nie habe ich Lust, mir am frühen Morgen schnell mal einen Obstsalat zusammenzuschnippeln. Gut, unser Kaffee ist jetzt nicht so der Hit, aber zu Hause beschäftige ich auch keinen Barista, der meinen schaumgekrönten Kaffee noch mit lustigen Verzierungen versieht.

Wenn ich mir dann mal Mittag machen sollte, dann bestimmt nicht mit Suppe oder Salat, Hauptgang und Dessert. Das gibt es in unserer Familie außer an irgendwelchen Feiertagen allerhöchstens, wenn unsere Mutter die Familie zusammentrommelt.

Wie überall wird auch bei uns auf alle möglichen Allergien, Stoffwechselerkrankungen, Unverträglichkeiten, religiösen Bestimmungen, persönlichen Lebenseinstellungen und Animositäten eingegangen. Diabetisches Essen – selbstverständlich. Keine Frage, bei uns gibt es Mahlzeiten frei von Laktose, Gluten und Fruchtzucker. Der Moslem kann sich Mahlzeiten ohne Schweinefleisch bestellen und für den Katholiken gibt es am Freitag Fisch, und schon ist auch zumindest an diesem Tag für den Pescetarier (kein Fleisch, aber Fisch) das Essen gesichert. Für die Vegetarier steht immer eine ganze Menüfolge zur Verfügung. Somit können sich auch Frutarier und Rohköstler ihre eigene Speisefolge zusammenstellen. Kleine Kompromisse müssen Frutarier da sicherlich eingehen. Bei Nachfrage könnte ich nur begrenzt Auskunft darüber geben, ob die Pflanze gelitten hat und der Apfel oder die Nuss von selbst vom Baum gefallen sind.

Nur für Menschen, die glauben, an Orthorexia nervosa – einer in der wissenschaftlichen Medizin nicht anerkannten Erkrankung – zu leiden, sieht es bei uns schlecht aus. Bei diesen Menschen steht nicht das Essen im Vordergrund, sondern die Qualität. Selbst die sogenannten Öko-Produkte sind hier noch unzureichend. Das würde sicherlich das Budget unseres Küchenchefs sprengen. Dieses liegt übrigens durchschnittlich bei 4,78 € pro Patient und Tag in deutschen Krankenhäusern.

Gott sei Dank werden in unserer Küche offensichtlich keine Lebensmittelimitate verarbeitet. Denn darüber möchte sogar ich nicht nachdenken und dank der Lebensmittelkennzeichnungspflicht können wir ja nachlesen, woraus der Analogkäse im Labor gefertigt wurde. Und wenn sich jemand fragt, wie sie ihn immer so schön gelb hinbekommen – ich kann helfen! Das liegt an der Wahl zwischen E104 (Chinolingelb) oder aber E110 (Sunsetgelb). Also, Vorsicht bei Surimi, Formschinken und Lachsersatz!

Um noch einmal auf den Ausspruch von Herrn Feuerbach zurückzukommen: Was sagen meine Essgewohnheiten eigentlich über mich aus? Ich esse sehr schnell, gern auch mal im Stehen oder nebenbei. Im Allgemeinen bin ich auch nicht sehr anspruchsvoll und den üblich verdächtigen Fast-Food-Restaurants nicht abgeneigt. Dennoch nehme ich jede Gelegenheit mit, in der ich mal sehr gepflegt und in Ruhe essen kann. Und damit bin ich eine Mischung aus Schnellschlinger und Zweckesser. Dazu noch als Omnivor (Allesesser) angeblich mit einer höheren Neigung zu Vorurteilen und Befürworter autoritärer Strukturen.

Wäre ich der genießende vegetarische Gourmet, würde ich nicht an Althergebrachtem festhalten, flache Hierarchien bevorzugen, dafür aber mit dem militanten Missionierungsimage leben müssen. Tja, man kann eben nicht alles haben!

In diesem Sinne, Ihre

Heidi Günther
hguenther@schoen-kliniken.de