Fortschr Neurol Psychiatr 2016; 84(05): 302-305
DOI: 10.1055/s-0042-106366
Facharztfragen
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Fragen aus der Facharztprüfung Neurologie

H. C. Diener
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Publication Date:
14 June 2016 (online)

Wie hoch ist die Inzidenz von Schlaganfällen in Deutschland und mit wie vielen Schlaganfällen muss insgesamt pro Jahr in Deutschland gerechnet werden?
Antwort:

Die Inzidenz beträgt ca. 170 – 240 pro 100 000 Einwohner. Insgesamt gibt es damit pro Jahr in Deutschland etwa 200 000 Patienten, die einen Schlaganfall erleiden.

Kommentar:

Männer sind mit einer Inzidenz von 200 – 240 pro 100 000 Einwohner etwas häufiger betroffen als Frauen mit ca. 170 – 200 Schlaganfällen pro 100 000 Einwohner.

Wie hoch ist die 1-Jahres-Letalität bei Schlaganfällen?
Antwort:

Die 1-Jahres-Letalität liegt bei ca. 40 % aller Schlaganfälle, sodass etwa 80 000 Patienten pro Jahr in Deutschland innerhalb eines Jahres nach Schlaganfällen versterben.

Kommentar:

Auch hier sind Männer etwas häufiger betroffen als Frauen. Pro Jahr bleiben in Deutschland rund 75 000 Menschen aufgrund eines Schlaganfalls pflegebedürftig. Ein Schlaganfall kostet im Durchschnitt in der Akutphase ca. 20 000 Euro und ca. 100 000 Euro Lebenstherapiekosten, insbesondere durch die Kosten der Langzeitpflege.

Definieren Sie den Begriff der transient ischämischen Attacke (TIA).
Antwort:

Der Begriff der transienten ischämischen Attacke grenzt sich vom Schlaganfall durch das Kriterium der nur temporären Symptomatik ab, die nicht länger als 24 Stunden anhalten darf.

Kommentar:

Nach DRG-Kriterien darf eine klinische TIA jedoch als Schlaganfall gewertet werden, wenn in der Bildgebung morphologische Änderungen erkennbar sind, die zum Versorgungsgebiet passen, das mit der Symptomatik korreliert.

Wie hoch ist das Schlaganfallrisiko nach einer transienten ischämischen Attacke (TIA)?
Antwort:

Das 7-Tage-Schlaganfallrisiko nach einer TIA beträgt ca. 4 – 5 %, das Risiko innerhalb von 30 Tagen ca. 6 – 7 % und innerhalb der ersten 3 Monate nach einer TIA ca. 10 – 20 %.

Kommentar:

Bei Vorliegen spezifischer Risikofaktoren kann das Risiko jedoch deutlich höher sein.

Welches sind statistisch eindeutige Risikofaktoren, nach einer TIA einen Schlaganfall zu erleiden?
Antwort:

Die 6 wichtigsten Risikofaktoren sind:

  • eine Symptomdauer der TIA länger als 10 Minuten

  • ein Alter über 60 Jahre

  • ein Diabetes mellitus

  • eine Parese als Symptomatik der TIA

  • eine Aphasie als Symptomatik der TIA

  • Nachweis einer Diffusionsstörung im MRT

Kommentar:

Diese charakteristischen Risikofaktoren, nach einer TIA einen Schlaganfall zu entwickeln, wurden in mehreren Studien gut untersucht.

Welches sind die wichtigsten Schlaganfall-Ätiologien?
Antwort:

Kardioembolische Insulte, Mikroangiopathie und Makroangiopathie sowie seltenere spezifische Ursachen (insbesondere bei jüngeren Patienten) wie Gefäßdissektion, Vaskulitiden oder Koagulopathien.

Kommentar:

Kardioembolische Insulte bilden mit ca. 25 – 30 % der Fälle die größte ätiologische Gruppe. Mikroangiopathien und Makroangiopathien machen jeweils ca. 20 – 25 % aller Fälle aus.

Nennen Sie die wichtigsten kardialen Emboliequellen, die ein hohes Embolierisiko darstellen.
Antwort:

Vorhofflimmern, mechanische Herzklappen, linksatriale und linksventrikuläre Thromben, Zustand nach Myokardinfarkt vor weniger als 4 Wochen, dilatative Kardiomyopathien, Sick-Sinus-Syndrom, segmentale linksventrikuläre Akinesien, Vorhofmyxome sowie infektiöse Endokarditiden.

Kommentar:

Die kardialen Emboliequellen mit hohem Risiko werden auch als „major sources“ zusammengefasst.

Nennen Sie kardiale Emboliequellen mit mittlerem Embolierisiko.
Antwort:

Mitralklappenprolaps, Mitralringverkalkung, Mitralstenosen ohne Vorhofflimmern, linksatriale Turbulenzen, Vorhofseptumaneurysmen, offenes Foramen ovale, Herzinsuffizienz, Myokardinfarkte, die länger als 4 Wochen zurückliegen, aber nicht älter als 6 Monate sind, Vorhofflattern, segmentale linksventrikuläre Hypokinesien, nicht bakterielle thrombotische Endokarditiden.

Kommentar:

Diese potenziellen Emboliequellen mit quantitativ geringerem Risiko werden auch „minor sources“ genannt.

Was gehört zur Basistherapie eines akuten Schlaganfalls?
Antwort:

Zur Basistherapie gehört die Behandlung auf der Stroke Unit mit

  • einer hochnormalen Blutdruckeinstellung,

  • der Gewährleistung einer Normoglykämie,

  • der Gewährleistung einer Normothermie mit ggf. Senkung von erhöhter Temperatur,

  • einer optimale Oxygenierung,

  • einer Thromboseprophylaxe und

  • einer Pneumonieprophylaxe.

Kommentar:

Ende der 90er Jahre konnten mehrere Studien zeigen, dass die deutliche Absenkung eines erhöhten Blutdrucks in den ersten beiden Tagen nach einem Schlaganfall ein eher schlechteres Outcome verursacht als die Einstellung des Blutdrucks auf ein hochnormales Niveau. Untersuchungen zur Körpertemperatur bei Schlaganfällen zeigten, dass eine erhöhte Körpertemperatur zur Vergrößerung des ischämischen Gebietes beiträgt. Auch tierexperimentell ist belegt, dass Hypothermie (Absenkung der Gehirntemperatur) das beste klinische Outcome garantiert.

Nennen Sie die Zulassungskriterien der intravenösen systemischen Lyse mit rt-PA beim Schlaganfall.
Antwort:

Das Zentrum sollte rt-PA nur verwenden, wenn

  • spezielle Erfahrungen in der neurologischen Intensivmedizin vorliegen,

  • der Patient innerhalb von 4,5 Stunden lysiert werden kann,

  • der Patient unter 80 Jahre alt ist (relative Kontraindikation),

  • der NIH-Score weniger als 25 Punkte beträgt,

  • eine Blutung durch Bildgebung ausgeschlossen ist und

  • das Zentrum an Qualitätssicherungsmaßnahmen teilnimmt.

Kommentar:

Das Alter stellt kein absolutes Kriterium dar, sondern wird zunehmend im Zusammenhang mit dem Gesamtstatus des Patienten und seinem prämorbiden Zustand gesehen.

Nennen Sie die wichtigsten Ausschlusskriterien einer Lyse mit rt-PA bei einem akuten Schlaganfall.
Antwort:

Neben dem klar definierten Zeitfenster (Lyse nur bis 270 Minuten), dem Alter des Patienten (unter 80 Jahre), dem NIH-Score (< 25 Punkte) sowie dem Ausschluss einer Blutung durch Bildgebung gelten folgende Ausschlusskriterien:

  • ein früherer Schlaganfall plus Diabetes

  • geringfügige Defizite

  • sich rasch bessernde Symptome

  • weniger als 100 000/ml Thrombozyten im Blutbild

  • hypertone Krisen, die sich nicht beherrschen lassen

  • Blutzucker unter 50 bzw. über 400 mg/dl

  • eine Heparinisierung vor weniger als 48 Stunden, sofern diese PTT-wirksam war

  • eine bestehende Antikoagulation

  • die Einnahme von Aspirin plus Clopidogrel

Kommentar:

Inoffiziell modifizieren sich die Ausschlusskriterien mit zunehmender Erfahrung, die mit rt-PA gewonnen werden konnte. Ein relatives Ausschlusskriterium – auch wenn nicht explizit genannt – ist jedoch eine vorbestehende demenzielle Entwicklung.

Inwieweit hängen die Häufigkeit von durchgeführten Lysen in einem Zentrum und das durch die Lyse entstehende Letalitätsrisiko (insbesondere durch intrazerebrale Blutungen) zusammen?
Antwort:

Grundsätzlich sinkt das Letalitätsrisiko durch Lyse mit der Anzahl der durchgeführten Lysen in einem Zentrum.

Kommentar:

Eine relativ umfangreiche Auswertung von über 1600 Schlaganfallpatienten aus den deutschen Schlaganfallregistern konnte zeigen, dass mit jeder durchgeführten Lyse an einem Zentrum das Letalitätsrisiko um ca. 3 % gesenkt wird. Danach besteht in Zentren mit weniger als 6 Lysen pro Jahr ein Letalitätsrisiko von 13 %, in Zentren mit 6 – 15 Lysen von 11,5 % und in Zentren mit mehr als 15 Lysen pro Jahr ein Letalitätsrisiko von 7,1 % (J Am Med Ass 2004; 292: 1831 – 1838).

Kann Ultraschall die klinischen Ergebnisse einer intravenös durchgeführten systemischen Lyse mit rt-PA verbessern?
Antwort:

Experimentell kann durch Beschallung mit 2-MHz-Sonden, die zur transkraniellen Dopplersonografie eingesetzt werden, die systemische Thrombolyse verstärkt werden. Die daraus resultierende höhere Rate an Blutungskomplikationen hat die Umsetzung in die klinische Praxis bisher verhindert.

Kommentar:

In einer Phase-II-Studie waren Patienten nach Standardprotokollen mit rt-PA innerhalb von 3 Stunden behandelt worden und erhielten entweder eine kontinuierliche 2-MHz-Beschallung über 2 Stunden oder einen „Scheinultraschall“. In der Ultraschallgruppe zeigte sich ein leicht verbessertes klinisches Outcome im Vergleich zum Scheinultraschall (N Engl J Med 2004; 351: 2170 – 2178).

Ein Patient kommt 4,5 Stunden nach dem erstmaligen Auftreten einer linksseitigen Hemiparese in Ihre Klinik. Welche Schritte leiten Sie ein und welches sind Ihre therapeutischen Optionen gemäß den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie?
Antwort:

Der erste Schritt ist die Verifikation der zerebralen Ischämie bzw. der Ausschluss einer Blutung. Bestätigt ein bildgebendes Verfahren die Ischämie und schließt eine Blutung aus, muss die Frage geklärt werden, ob ein isolierter Gefäßverschluss vorliegt. Dies kann direkt durch eine cCT- oder MRT-Angiografie erfolgen. Liegt ein solcher Verschluss, z. B. des Mediahauptstamms, vor und bestehen keine Kontraindikationen, kommt der Patient potenziell für eine intraarterielle Lyse mit rt-PA oder eine Thrombektomie mit dem Solitaire-Stent-Retriever im Zeitfenster bis 6 Stunden in Betracht.

Kommentar:

Kann eine intraarterielle Lyse nicht erfolgen, erhält der Patient ASS (ggf. auch intravenös).

Warum wird die Gabe von intravenöser Azetylsalizylsäure nicht eindeutig in den Leitlinien empfohlen?
Antwort:

Der Grund liegt einfach in der Tatsache, dass es bisher keine randomisierten Studien gibt, die den Vorteil einer intravenösen ASS-Verabreichung gegenüber einer oralen belegt hätten.

Kommentar:

Dieser Nachweis wurde im Gegensatz hierzu in der Behandlung des akuten Myokardinfarktes erbracht.

Beschreiben Sie die 4 klassischen lakunären Hirnstammsyndrome.
Antwort:

Die 4 klassischen lakunären Hirnstammsyndrome sind:

  • die rein motorische Hemisymptomatik,

  • die rein sensible Hemisymptomatik,

  • Dysarthrie mit Feinmotorikstörung der Hand (Dysarthria Clumsy Hand Syndrome),

  • die ataktische Hemisymptomatik.

Kommentar:

Bei den lakunären Infarkten kommt es zum Verschluss kleiner Endarterien durch eine Arteriosklerose oder Lipohyalinose im Rahmen eines Diabetes mellitus oder einer Hypertonie, selten durch Mikroembolien. Klinisch bilden sich lakunäre Hirnstammsyndrome jedoch gut zurück, da es sich um nur kleine Areale handelt.

Beschreiben Sie die klassische klinische Symptomatik einer subkortikalen arteriosklerotischen Enzephalopathie (SAE, Morbus Binswanger).
Antwort:

Klassischerweise kommt es zu einer Trias aus:

  • einer apraktischen Gangstörung,

  • einer neurogenen Blasenstörung mit imperativem Harndrang oder Harninkontinenz und

  • einem kognitiven Abbau bzw. einer langsamen demenziellen Entwicklung bei erhaltener Raumorientierung.

Kommentar:

Die Symptomatik beginnt meist unspezifisch mit ungerichtetem Schwindel, dem Gefühl frühzeitiger Ermüdung, Verlangsamung, Aufmerksamkeitsdefiziten oder affektiver Labilität. Ursächlich ist eine jahrelange, möglicherweise unzureichend eingestellte Hypertonie. Wichtig ist die Begrenzung bzw. Reduktion der Pathomechanismen mit antihypertensiver Therapie. Die Diagnose wird klinisch in Verbindung mit der Bildgebung gestellt, die im CT eine charakteristische Dichteminderung periventrikulär zeigt.

Was versteht man unter einer zerebralen Amyloidangiopathie und zu welcher klinischen Symptomatik führt die Erkrankung am häufigsten?
Antwort:

Bei der Amyloidangiopathie kommt zu einer vermehrten Ablagerung von Amyloid in perforierenden Arterien und Arteriolen. Histologisch resultiert daraus eine Abnahme der Gefäßelastizität durch Verdrängung und Untergang der glatten Muskulatur und des elastischen Bindegewebes. Die Folge sind vermehrte lakunäre Infarkte und intrazerebrale Blutungen. Die Amyloidangiopathie ist die häufigste Ursache von Lobärblutungen bei Patienten über 70 Jahre.

Kommentar:

Die Diagnose kann letztlich nur histologisch, also durch eine Biopsie gestellt werden. In der Bildgebung zeigt sich bei der Amyloidangiopathie neben lakunären Bezirken insbesondere der Nachweis subkortikaler petechialer Mikroblutungen in der MRT-T2-Gewichtung.

Beschreiben Sie die Klinik des Wallenberg-Syndroms.
Antwort:

Beim Wallenberg-Syndrom zeigen sich ein ipsilaterales Horner-Syndrom, Ausfälle der Hirnnerven V, XI und X sowie eine ipsilaterale Hemiataxie und eine dissoziierte Sensibilitätsstörung kontralateral.

Kommentar:

Das Wallenberg-Syndrom entsteht durch den Verschluss der A. cerebelli posterior inferior (PICA). Anatomisch wird das Wallenberg-Syndrom auch dorsolaterales Medulla-oblongataSyndrom genannt. Benannt wurde das Wallenberg-Syndrom nach den Beschreibungen des deutschen Arztes Adolf Wallenberg (1862 – 1949). Klinisch klagen die Patienten neben dem Horner-Syndrom über Schwindel, Erbrechen, Schluckstörung, Heiserkeit sowie Kopfschmerzen.

Was versteht man unter einem Weber-Syndrom?
Antwort:

Das Weber-Syndrom ist charakterisiert durch eine ipsilaterale Okulomotoriusparese sowie eine kontralaterale Hemiparese.

Kommentar:

Beim Weber-Syndrom kommt es zu einer Schädigung des Mittelhirns, insbesondere des Mittelhirnfußes.

Was versteht man unter dem Benedikt-Syndrom?
Antwort:

Beim Benedikt-Syndrom zeigt der Patient eine ipsilaterale Okulomotoriusparese sowie auf der kontralateralen Seite eine Hemisymptomatik mit Hemiataxie, Hemihypästhesie und einem Tremor.

Kommentar:

Das Benedikt-Syndrom wird auch oberes Ruber-Syndrom genannt.

Nennen Sie die 4 Frühzeichen eines ischämischen Infarktes in der zerebralen Computertomografie.
Antwort:

Die 4 Frühzeichen sind:

  • das hyperdense Mediazeichen,

  • die Dichteminderung des Linsenkerns,

  • verstrichene äußere Liquorräume und

  • umschriebene Hypodensitäten.

Kommentar:

Bei Patienten mit einer ausgeprägten Arteriosklerose können sich basale Hirnarterien ebenfalls hyperdens darstellen. Bei eindeutiger Ein seitigkeit kann das Zeichen jedoch als Verschluss der Arterie gewertet werden. Dichteminderungen im Bereich der Basalganglien sind ebenfalls typisch für einen Infarkt im Versorgungsgebiet der lentikulostriären Arterien. Bei ausgedehnten Infarkten kommt es außerdem zu einer Schwellung des betroffenen Gebietes, sodass im Vergleich zur intakten Gegenseite ein Verstreichen gyraler Konturen erfolgt und als Frühzeichen gewertet werden kann, auch wenn Hypodensitäten noch nicht eindeutig erkennbar sind.