Hebamme 2016; 29(02): 70
DOI: 10.1055/s-0042-105402
Editorial
Hippokrates Verlag in Georg Thieme Verlag KG Stuttgart

Plazentarperiode

Franz Kainer
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Publication Date:
26 April 2016 (online)

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Hebammen und GeburtshelferInnen haben in den letzten 30 Jahren gelernt, dass die Zeit unmittelbar nach der Geburt ein sehr bedeutsamer Augenblick im Leben ist. Diese Zeit wurde jahrzehntelange durch Nebensächlichkeiten gestört: unnötige Stimulation des Neugeborenen, rasches Abnabeln, aktive Plazentaentwicklung, Baden und Anziehen des Kindes, „Aufbewahren“ des Kindes unter einer Wärmelampe. Wurde während dieser Zeit keine verstärkte postpartale Blutung diagnostiziert, hielt man es für angebracht, der Mutter ihr Kind anschließend gut verpackt zu überreichen. Eine postpartale Blutung hatte man so allerdings immer gut „im Blick“.

Es gehört heute glücklicherweise zur Routine, dass man das erste Kennenlernen von Mutter und Kind – und seit gut 20 Jahren auch von Vater und Kind – nicht durch unnötige Maßnahmen stört. Die Betreuung der Plazentarperiode soll nach Möglichkeit das Bonding nicht stören. Erfreulicherweise ist die spontane Geburt der Plazenta ohne übermäßigen Blutverlust die Regel.

Ein Blutverlust von zwei Litern ist jedoch ein hoher Preis für ein konsequent durchgeführtes abwartendes Vorgehen. Eine verstärkte Blutung in der Nachgeburtsperiode sollte möglichst vermieden werden, da eine ausgeprägte Anämie für die Wöchnerin die ersten Wochen eine starke Belastung ist.

In der Literatur wird ein aktives Vorgehen empfohlen, um einen vermehrten Blutverlust zu vermeiden. Diese Empfehlung basiert zwar auf prospektiv randomisierten Studien, deren Qualität ist allerdings eingeschränkt: die Daten stammen z. T. aus nicht vergleichbaren Kollektiven, teilweise wurde der Blutverlust nicht gemessen und das evaluierte Vorgehen war nicht einheitlich.

Hebammen bevorzugen vielfach das abwartende Vorgehen. Auch dazu ist die Datenlage völlig unzureichend mit Kohortenstudien oder retrospektiven Analysen mit geringen Fallzahlen.

Die sehr lesenswerte Beiträge von Adele Donnermeyer und Christiane Schwarz zur Plazentarperiode zeigen den derzeitigen Wissenstand. Beide Autorinnen kommen zu dem Schluss, dass hier noch ein großes Potenzial für Forschung vorhanden ist.

Aktuell ist es sinnvoll und wichtig mit der Schwangeren das geplante Vorgehen in der Plazentarperiode zu besprechen. Dabei soll der Wunsch der Frau im Vordergrund stehen und nicht der Wunsch des Arztes oder der Hebamme. Bei vorhandenen Risikofaktoren wie Zustand nach schwerer Atonie, Geminischwangerschaft, Polyhydramnion, Makrosomie ist ein aktives Vorgehen angezeigt. Bei problemloser Schwangerschaft und Geburt ist ein abwartendes Vorgehen mit engmaschiger Blutungskontrolle eine gute Alternative.

Sie finden in dieser Ausgabe wieder sehr praxisrelevante Themen, z. B. die Diskussion über die Anwendung von Lachgas während der Geburt. Mir stellt sich dabei die Frage, warum man ein Medikament mit Nebenwirkungen so großzügig einsetzt, obwohl mit prospektiven Studien gezeigt wurde, dass Raumluft bezüglich einer Schmerzreduktion den gleichen Effekt hat wie Lachgas. Doch machen Sie sich Ihr eigenes Bild!

Viele Grüße

Ihr Prof. Dr. Franz Kainer