intensiv 2015; 23(03): 113
DOI: 10.1055/s-0035-1550603
Editorial
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Editorial

Heiner Friesacher
Further Information

Publication History

Publication Date:
06 May 2015 (online)

Bis heute gibt es Zweifel, ob der Hirntod eines Menschen seinem Tod gleichzusetzen ist.

Der Schwerpunkt dieses Heftes beschäftigt sich mit einem schwierigen und gesellschaftlich höchst relevanten Thema: dem Hirntod und der damit verknüpften Frage, ob dieser Zustand identisch ist mit dem Tod des Menschen. Die Frage ist nicht einfach zu beantworten und im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts wurde darum ein heftiger Streit geführt. Die Grenzziehung zwischen Leben und Tod ist kulturbedingt, und somit kann auch keine wissenschaftliche Disziplin die Definitionsmacht in dieser Frage für sich reklamieren. Mit dem Transplantationsgesetz von 1997 wurde der Hirntod als Tod des Menschen zwar festgeschrieben, aber Zweifel über diese Gleichsetzung blieben bis heute. Es sind vor allem auch die Skandale innerhalb der Transplantationsmedizin, die in der Öffentlichkeit zu vermehrtem Misstrauen und Zweifeln geführt haben, auch wenn es hier primär um Fragen der gerechten Verteilung der knappen Organe geht. Damit eng verbunden sind aber auch Fragen der Art, ob die Menschen denn wirklich tot sind, denen man die zu transplantierenden Organe entnimmt. Und diese Zweifel scheinen mehr denn je berechtigt.

Im ersten Beitrag zu diesem Schwerpunkt zeichnet Alexandra Manzei, die sich seit vielen Jahren mit der Thematik des Hirntods beschäftigt, noch einmal die historischen Ursprünge der Veränderung in der Definition des Todes nach. Dabei geht sie auf die gängigen Argumente („Bewusstseins-Argument“ und das „biologische Integrationsargument“) ein. Gerade diese werden durch neuere wissenschaftliche Befunde infrage gestellt.

Im zweiten Beitrag des Schwerpunkts gelingt es Sabine Drexler sehr einfühlsam, den Belastungen der Pflegenden im Umgang mit hirntoten Patienten nachzuspüren. Ein großer Teil der Pflegenden leidet unter der Situation, dabei ist sowohl die Betreuung an sich belastend wie auch der Umgang mit den Angehörigen und die Unsicherheit, ob Hirntote „wirklich“ tot sind.

Wenn die neuen Zweifel am Hirntod so schwer wiegen, muss eine neue und vor allem offene Diskussion darüber geführt werden – nicht nur in elitären Zirkeln der Wissenschaft und der Experten, sondern auch und gerade in der Öffentlichkeit.

Ihr

Heiner Friesacher