Gesundheitswesen 2016; 78(10): 645-650
DOI: 10.1055/s-0035-1549995
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die hausärztliche Versorgungssituation in Sachsen-Anhalt. Wahrnehmung, Beschreibung und Bewertung lokaler Versorgungsprobleme durch die Bürgermeister

The Primary Health Care Situation in Saxony-Anhalt. Perception, Description and Evaluation of Local Health Care Problems by Mayors
L. Barthen
1   Institut für Allgemeinmedizin, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main
,
T. Gerlinger
2   Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Universität Bielefeld, Bielefeld
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Publication Date:
25 June 2015 (online)

Zusammenfassung

Ziel der Studie: Die zunehmende Überalterung der Hausärzteschaft bei einem gleichzeitigen Nachwuchsmangel hat negative Auswirkungen auf die hausärztliche Versorgungssituation in nahezu allen Landkreisen Sachsen-Anhalts. Die Kommunen sind mit zunehmenden Problemen bei der Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung konfrontiert, für deren Lösung sie weder über ausreichende Kompetenzen noch über finanzielle Mittel verfügen. Ziel der vorliegenden Studie ist es, Informationen zur Problemwahrnehmung, -beschreibung und -bewertung der regionalen Versorgungssituation aus der Perspektive der Bürgermeister [*] Sachsen-Anhalt zu gewinnen.

Methodik: Im Juni 2013 wurden alle 124 hauptamtlichen Bürgermeister Sachsen-Anhalts per E-Mail kontaktiert und gebeten, an einer webbasierten Befragung teilzunehmen. Die Fragen gliederten sich in die Bereiche „Soziodemografie“, „Versorgungsstrukturen in den Gemeinden“, „Ursachen für und Maßnahmen gegen regionale Versorgungsprobleme“, „Entwicklung der hausärztlichen Versorgung“ und „Kooperationsstrukturen“. Die Ergebnisse wurden mit dem Statistikprogramm SPSS deskriptiv ausgewertet.

Ergebnisse: Die Rücklaufquote lag bei 51,6% (n=64). Für 87,5% (n=56) der Befragten hat die hausärztliche Versorgung einen hohen Stellenwert als Standortfaktor für die Gemeinde. 45,3% (n=29) sehen es als ihre Aufgabe an, zur Sicherstellung einer wohnortnahen medizinischen Versorgung beizutragen. 40,8% (n=20, Mehrfachantworten) der befragten Bürgermeister waren jedoch der Meinung, dass die Infrastruktur der eigenen Gemeinde zu unattraktiv ist, um junge Mediziner für eine Niederlassung zu gewinnen. Für die kommenden 10 Jahre gehen 75,0% (n=48) der Befragten von einer Verschlechterung der hausärztlichen Versorgung aus.

Schlussfolgerung: Die befragten Bürgermeister zeigen ein großes Interesse an dem Thema einer zukünftigen Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung, da lokale Defizite wahrgenommen werden. Obgleich zum Teil Wissenslücken im Bereich der ambulanten hausärztlichen Versorgung bestehen, sollten diesbezüglich Aufgaben, Zuständigkeiten und Potenziale der Kommunen auch im Rahmen ihrer Daseinsvorsorge in Zukunft neu diskutiert werden.

Abstract

Background: The combination of ageing general practitioners and a shortage of young doctors is having a negative effect on primary health care in almost all municipalities in the German state of Saxony-Anhalt. The communities are finding it progressively more difficult to safeguard the provision of primary health care. To solve these problems, they have neither the appropriate skills nor sufficient funding. The aim of this study was to ask mayors in Saxony-Anhalt to describe and evaluate local primary health-care systems from their perspective.

Method: In June of 2013, all 124 full-time mayors in Saxony-Anhalt were asked by e-mail to participate in a web-based survey. The questionnaire was broken down into the categories: “socio-demographics”, “health-care system in the communities”, “causes and measures taken to deal with health-care problems”, “development of the primary health-care system” and “cooperation”. The data were descriptively analysed using IBM Statistics SPSS.

Results: The response rate was 51.6% (n=64). For 87.5% of the respondents the primary health-care system is an important location factor in their community. 45.3% consider it their duty to ensure the provision of local health care. However, 42.6% of the polled mayors believe the infrastructure in their community to be too unattractive to convince young general practitioners to settle down there. In the next 10 years, 75.0% of the respondents expect the provision of primary health care to deteriorate further.

Conclusions: In view of local deficits, the polled municipalities are very interested in safeguarding the continued existence of primary health care. As local experts, communities should get more involved in planning and decision-making processes.

* Die personenbezogenen Bezeichnungen innerhalb dieser Studie werden aus Gründen der besseren Lesbarkeit in maskuliner bzw. neutraler Form wiedergegeben. Sie beziehen sich jedoch, wenn nicht anders vermerkt, sowohl auf Frauen als auch auf Männer.


 
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