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DOI: 10.1055/s-0035-1547214
Anmerkungen zum Balint-Journal
Publication History
Publication Date:
13 April 2015 (online)

Liebe Redaktion des Balint-Journal,
ich möchte Ihnen einige Gedanken mitteilen, die Sie mit den Artikeln ihrer letzten Ausgabe (Balint 2014; 15: 97–128) in mir ausgelöst haben. Aus meiner Literaturübersicht können sie entnehmen, dass ich bereits 1977 begann, meine Balintarbeit zu veröffentlichen. Obwohl ich inzwischen auf 217 wissenschaftliche Veröffentlichungen zurückblicken kann, in denen meine Supervisions- und Balintarbeit beschrieben wird, habe ich mich mit den beiliegenden Literaturhinweisen auf Arbeiten beschränkt, die den Namen Balintarbeit enthalten.
Meine Balintarbeit war die Quelle all meiner Tätigkeiten, die sich überwiegend in Kliniken entwickeln konnte und die sich in meinen vielfältigen Supervisionen, Beratungen und Psychotherapien neue Wege suchte. In den Mittelpunkt rückten zunehmend meine Erfahrungen, die ich als sinnlich-resonante Fantasie-Orientierung ausformte und schließlich als vielfarbige prismatische Balintarbeit beschreiben konnte. Die Balintarbeit wurde schließlich trainiert mit Lehrern, Schülern und Studenten sowie auch mit Patienten.
Es war vor allem meine Psychoanalyse sowie die zum Teil lähmenden und konfliktreichen Erlebnisse in Balintgruppen, die mich bewegten, Methoden zu erproben, mit denen das Klima sich zunehmend entspannen konnte. Damit wurden auch Methoden gewonnen, die es den Gruppenmitgliedern ermöglichte, mit ihren Patienten entlastende und spannungsfreie Kommunikationsformen zu entfalten, die zu einer erheblich verkürzten Behandlungsdauer führte. Auch Teamkonflikte sowie hierarchische Anspruchshaltungen ließen sich entsprechend verringern.
Sinnliche Resonanz in Balintgruppen zu entfalten war auch für mich, mit meiner psychoanalytischen Grundeinstellung, ein über Jahre laufendes Experiment. Ich lernte jedoch zunehmend, dass die im Abendland vorherrschenden emotionalen bindungszentrierten Ich-Vor-stellungen relativiert werden mussten, um sich für die sinnliche Resonanz zu öffnen. Meine Erfahrungen mit meinen Balintgruppen im asiatischen Raum, in China, Indien, Australien und in Kuwait halfen mir die unbewussten Programmierungen in Form von kulturellen, historischen und religiösen Prägungen in neuer Weise zu verstehen.
Sinnliche Resonanz beinhaltet, gewohnte emotionale Regungen zurückzulassen und damit zu ermöglichen, zum Teil groteske Fantasien in sich zuzulassen. Nachfolgend ein klassisches Beispiel, das ich bereits mehrfach beschrieben habe:
Eine Angstpatientin sitzt mir beim zweiten Gespräch gegenüber und schildert detailliert, welch einen liebenswürdigen Vater sie hat. In mir löst sie relativ rasch eine Fantasie aus, die von meinen Kollegen als versponnen abgewertet wurde. Ich erlebte und schilderte der Patientin was sie in mir ausgelöst hatte: Ich sähe 3 abgeschnittene Finger vor mir auf einem alten Küchentisch, den ich detailliert beschreibe. Ich bin selber verblüfft über meine verrückte Fantasie. Die Patientin lacht jedoch beglückt und schildert detailliert Erlebnisse mit ihrem Vater als 10/11 Jährige. Er habe Ihr häufig die Fingernägel abgebissen. Das habe manchmal schon sehr weh getan. Jetzt konnten wir über den „fingerbeißenden Vater“ und über agressions-orientierte Familienmitglieder in der Nazizeit sprechen und damit die Angstzustände der Patientin schrittweise verringern.
Dieses Beispiel gibt den Hinweis auf die Entwicklung prismatischer Balintgruppen, in der gewohnte emotionale Aufarbeitungsprozesse zurückgelassen werden. Ein Beispiel:
Ein Gruppenmitglied schildert Übertragungsprobleme mit einem Patienten. Danach öffnen sich alle Gruppenmitglieder für deutungsfreie Fantasien, die sie in die emotionsfreie Gruppe hineingeben. Der Problem schildernde Teilnehmer hört sich alle Phantasien an, um danach 1 oder 2 Fantasien aufzugreifen und daran anknüpfend weitere Details zur Patientenproblematik vorzustellen. Dieser Prozess kann 2- oder 3-mal ablaufen um dann abschließend in einem emotionsfreien Gruppenprozess eine entlastende Diagnostik zu ermöglichen.
Ich kann abschließend nur betonen: Die Balintgruppen-Arbeit hat meine gesamte wissenschaftliche, supervidierende und psychotherapeutische Tätigkeit von 1977 bis heute getragen und gefördert.