Diabetologie und Stoffwechsel 2015; 10(06): 295
DOI: 10.1055/s-0034-1398289
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Referat – Wie wichtig ist die Nachbarschaft?

Werner Maier
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Publication Date:
26 January 2016 (online)

Hintergrund: Die Umgebung, in der Menschen leben, könnte das Risiko für die Entwicklung eines Diabetes mellitus Typ 2 beeinflussen. Im Rahmen einer populationsbasierten Longitudinalstudie untersuchten Christine et al., welche Faktoren dabei eine Rolle spielen könnten. Besonders interessierte sie dabei der Einfluss von Langzeitbedingungen in der Nachbarschaft hinsichtlich der Verfügbarkeit gesunder Nahrungsmittel, Möglichkeiten der körperlichen Betätigung sowie von sozialen Bindungen und Sicherheit auf die Inzidenz eines Diabetes Typ 2 über einen Zeitraum von 10 Jahren hinweg.

Methoden: Basis war die populationsbasierte US-amerikanische Kohortenstudie „Multi-Ethnic Study of Atherosclerosis”, in die zwischen 2000 und 2002 insgesamt 6814 Erwachsene im Alter zwischen 45 und 84 Jahren eingebunden waren. Nach durchschnittlich 1,6, 3,1, 4,8 und 9,5 Jahren wurden die Probanden erneut untersucht. 5124 Probanden, die initial noch keinen Typ-2-Diabetes aufwiesen, bildeten die Basis für die aktuelle Auswertung. Die Ressourcen in Bezug auf Einkaufsmöglichkeiten von Obst und Gemüse wie auf Sportmöglichkeiten (Fitnessstudios, Tanzschulen, Bowlingbahnen, Golfplätze, Felder und Hallen für Mannschaftssportarten oder Schwimmbäder) in der Nähe der Adressen der Teilnehmer wurden einerseits einem geographischen Informationssystem (GIS) entnommen, andererseits mittels Umfragen erhoben und in einen Summenwert umgerechnet. Dann ermittelten die Autoren die Hazard Ratios (HR) von neu aufgetretenem Diabetes Typ 2 (definiert als ein Nüchternglukosewert von mindestens 126 mg / dl oder die Anwendung von Inulin oder oralen Antidiabetika) in Abhängigkeit von den Ressourcen in der Nachbarschaft und adjustierten die Ergebnisse in einem Cox-proportionalen Regressionsmodell um die Faktoren Alter, Geschlecht, Einkommen, Bildungsniveau, Ethnie, Alkoholkonsum und Rauchverhalten.

Ergebnisse: Im Laufe einer medianen Beobachtungszeit von 8,9 Jahren (37 394 Personenjahre) entwickelten 616 von 5124 Teilnehmern (12,0 %) einen Diabetes Typ 2. Die rohe Inzidenzrate betrug damit 16,47 pro 1000 Personenjahre (95 %-Konfidenzintervall [KI] 15,22–17,83). In den adjustierten Modellen zeigte sich, dass ein geringeres Risiko einer Typ-2-Diabetes-Entwicklung mit einer höheren kumulativen Exposition von Indikatoren für gesunde Nahrungsmittel und Sportressourcen in der Umgebung assoziiert war. Bei vielen Einkaufsmöglichkeiten von gesunden Nahrungsmitteln im Wohnumfeld reduzierte sich das Diabetesrisiko um 12 % (Hazard Ratio [HR] bei Anstieg pro Interquartilsabstand des Summenwerts 0,88; 95 %-KI 0,79–0,98), bei entsprechenden Ressourcen für körperliche Aktivitäten um 21 % (HR bei Anstieg pro Interquartilsabstand des Summenwerts 0,79; 95 %-KI 0,71–0,88). Die Assoziationen waren im Wesentlichen getrieben von den Ressourcen nach den Umfrageergebnissen. Soziale Aspekte des Wohnumfelds spielten keine Rolle für die Diabetesinzidenz (HR 0,96; 95 %-KI 0,88–1,07).

Folgerung: Wenn es im Wohnumfeld ausreichend Möglichkeiten für sportliche Aktivitäten und den Einkauf gesunder Nahrungsmittel gibt, geht dies mit einer verringerten Inzidenz eines Diabetes mellitus Typ 2 einher. Abgeschwächt wird diese Aussage etwas, weil sie nicht mit allen Methoden gleichermaßen festgestellt werden konnte. Es scheint aber eine sinnvolle Maßnahme zur Diabetesprävention, eine gute Ressourcenausstattung von Wohnquartieren mit Sportstätten und Einkaufsmöglichkeiten für frische Lebensmittel anzustreben.

Friederike Klein, München