Z Gastroenterol 2014; 52(12): 1513-1514
DOI: 10.1055/s-0034-1397376
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Delegation und Substitution – Lösung des Ärztemangels oder Auflösung der ärztlichen Leistung?

Franz Josef Heil
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Publication Date:
10 December 2014 (online)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Deutschland hat einen Ärztemangel. Das Durchschnittsalter der niedergelassenen Ärzte liegt zwischen 53 und 56 Jahren, der Anteil der über 60-jährigen liegt bei fast 30 Prozent. Aus den Praxen werden bis 2020 etwa 35 000 Ärzte ausscheiden. Der zu erwartende Nachwuchs wird vermutlich nur etwa 60 bis 70 Prozent der ausscheidenden Ärzte ersetzen können. In den Krankenhäusern ist es nicht anders. Deutschland bildet zu wenige Ärzte aus, aber sein Bedarf an ärztlicher Leistung steigt. In einem Gutachten für die DGVS hat Prof. Eberhard Wille ermittelt, dass bis 2030 der Leistungsbedarf für gastroenterologische Leistungen im ambulanten Bereich um ca. 7,5 Prozent bis 12,5 Prozent steigt, im stationären Bereich um ca. 13 Prozent, bis 2045 sogar um ca. 20 Prozent (Wille E und Popp M: Gastroenterologische Kernleistungen unter gesundheitsökonomischen Aspekten – Gutachten im Auftrag der DGVS, Mannheim 2013).

In dieser Situation erscheint es auf den ersten Blick nicht nur logisch, sondern auch notwendig, dass ärztliche Leistungen von nicht ärztlichem Personal übernommen werden. Dabei wird postuliert, dass man so die Ressourcen Arzt / Ärztin effektiv nutzen könne. Schließlich ist die Ausbildung von Pflegepersonal und Medizinischen Fachassistentinnen billiger, ihre Arbeit entsprechend auch.

Die Vorschläge, was durch medizinisches Assistenzpersonal übernommen werden könne, sind vielfältig. So könnten Hausbesuche, Wundversorgung, Infusionen und Injektionen delegiert werden, aber auch die chirurgische Assistenz bei Operationen, Narkosen, Sonografien, Echokardiografien oder die Auswertung von Kapselendoskopien. Im englischen Sprachraum werden bereits komplette Endoskopien durch entsprechend angelernte Nurses erbracht. Die Ergebnisse sind dabei nach Studienlage angeblich nicht schlechter als bei Ärzten. Dabei gehen die Überlegungen nicht nur zur Arbeit unter ärztlicher Aufsicht, sondern auch zur Definition von eigenverantwortlichen und selbstbestimmten Tätigkeiten.

Der Ersatz des Arztes (Substitution) durch nichtärztliches Personal ist aus ärztlicher Sicht aber abzulehnen. Vielmehr stellt eine ärztliche Behandlung – unabhängig davon, ob es sich um einen einfachen Labortest oder eine komplizierte diagnostische oder therapeutische Maßnahme handelt – eine Einheit dar, die vom Arzt zu leiten und zu verantworten ist, selbst wenn sie viele Einzelschritte erfordert:

  1. Richtige Indikation und die Aufklärung des Patienten vor Durchführung einer Untersuchung oder Behandlung,

  2. Auswahl der am besten geeigneten Untersuchung oder Behandlung,

  3. qualifizierte Durchführung der Untersuchung und Behandlung,

  4. Interpretation des Untersuchungs- und Behandlungsergebnisses,

  5. Festlegung der Konsequenz im Gespräch mit dem Patienten.

Ohne Zweifel ist heute eine ärztliche diagnostische oder therapeutische Maßnahme in den meisten Fällen eine komplexe Leistung, die der Arzt nicht alleine erbringt. Vielmehr ist Teamarbeit nötig. Je komplexer die Behandlung, desto wichtiger und größer ist das Team, in dem gearbeitet wird. Der Arzt ist dabei auf zuverlässiges, kompetentes und gut ausgebildetes Assistenzpersonal angewiesen. Kein Chirurg kommt ohne eine/-n Instrumentierschwester/-pfleger aus, kein Endoskopiker ohne eine/-n Endoskopieassistent/-in. In der gastroenterologischen Praxis ist ein Verhältnis von 4:1 zwischen nicht ärztlichen und ärztlichen Mitarbeitern durchaus üblich. Viele Tätigkeiten werden von Medizinischen Fachangestellten (MFA) übernommen. Trotzdem bleibt die Diagnostik und Behandlung eine ärztliche Maßnahme und muss in der Verantwortung des Arztes / der Ärztin bleiben.

Problematisch wird es, wenn Einzelteile aus dem Gesamtkomplex der ärztlichen Maßnahme herausgenommen und verselbständigt werden. Man darf aber die Zusammenarbeit im Team nicht durch die Substitution des Arztes durch Assistenzpersonal ersetzen. Eine Endoskopie ist nicht in mehrere unabhängige Teile (Sedierung, Instrumentierung, Vorschub, Rückzug, interventionelle Maßnahmen wie Polypektomie) zu unterteilen, sondern eine Einheit, eine einheitliche ärztliche Behandlungsmaßnahme. Beim EKG ist nicht nur die Ableitung der Stromkurven wichtig, bei Laborwerten nicht nur die sorgfältige Labortechnik, bei Funktionstests nicht nur die korrekte Durchführung des H2-Atemtests, sondern entscheidend für ein sinnvolles Ergebnis ist die ärztliche Indikation und Interpretation.

Für die ärztliche Tätigkeit genügt es auch nicht, eine Tätigkeit, die besondere manuelle Fähigkeiten erfordert, gut zu beherrschen. Ganz ohne Frage ist jedes Handwerk ohne wissenschaftliches Studium erlernbar. Jeder junge Arzt erfährt, dass ärztliche Maßnahmen wie Narkosen, Operationen oder Endoskopien handwerklich erlernt werden müssen und das Studium dabei zunächst kaum hilft. Das Entscheidende ist aber, dass bei der ärztlichen Tätigkeit medizinisches Wissen untrennbar mit den manuellen Fertigkeiten verbunden sein muss.

Die Arbeit im Team bedeutet nach meiner Auffassung nicht Substitution des Arztes durch nicht ärztliches Assistenzpersonal. Ich bin vielmehr davon überzeugt, dass eine ärztliche Leistung als eine einheitliche Leistung zu sehen ist, die in einem ärztlich geleiteten und verantworteten Team mit qualifiziertem Fachpersonal (Assistenz) erfolgen muss.

Welche Aufgaben in diesem Team von Ärzten und welche von Assistenzpersonal übernommen werden können, muss von den Ärzten, am besten sogar nach Diskussion in einer übergeordneten Instanz (Fachgesellschaften) definiert werden. Dabei müssen typisch ärztliche Tätigkeiten unseres Fachgebietes wie Endoskopien, Sonografien, Auswertung von Kapselendoskopien sowohl im niedergelassenen Bereich wie auch im Krankenhaus ärztliche Aufgaben bleiben.

Bevor man an der falschen Stelle durch Substitution und Verlagerung auf nicht ärztliches Personal Ärzte einspart, sollte man im Übrigen die beste und einfachste Art, die Ressource „Arzt“ effektiv zu nutzen, nicht vergessen: Entlastung der Ärzte von nicht ärztlichen Arbeiten. Jedem von uns fallen da etliche Tätigkeiten ein (z. B. Dokumentationsaufgaben), im Krankenhaus und in der Praxis, die die Ärzte gerne abgeben würden.


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