manuelletherapie 2014; 18(05): 203-204
DOI: 10.1055/s-0034-1396912
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

4. Internationaler CRAFTA-Kongress

Marc Lauer
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Publication Date:
15 December 2014 (online)

Vom 11.–13. September 2014 fand der 4. Internationale CRAFTA-Kongress in Hamburg statt. Das vielversprechende Leitthema „Gesichts- und Nackenschmerzen – das Gleichgewicht zwischen Beweis und klinischer Praxis“ und eine Reihe interessanter Redner lockten dennoch nur ca. 130 Teilnehmer in die schöne Hansestadt.

Den Auftakt übernahm Frau Prof. Dr. Korbmacher-Steiner mit ihrem Vortrag über Korrelationen zwischen orthopädischen Störungen und Okklusionsanomalien bei Kindern. Nachdem die Logopädin Karin Pfaller (Österreich) den Hörern ihre Leidenschaft über myofunktionelle Therapie bei Kindern mit orofazialen Dysfunktionen nahegebracht hatte, schnellte das Stimmungsbarometer deutlich in die Höhe. Im 2. Teil des Nachmittags öffneten der Optometrist Johan Schutte (Niederlande) und Daniela von Piekartz-Doppelhofer (Niederlande) dem Publikum mit ihren spannenden Beiträgen über die Möglichkeiten der Untersuchung und der Behandlung bei Kindern unter anderem bei Strabismus aus 2 verschieden fachlichen Blickwinkeln wortwörtlich die kindlichen Augen.

Kim Budelmann konnte anhand ihrer Studienergebnisse eindrucksvoll untermauern, dass Kinder mit zervikogenen Kopfschmerzen einen kleineren kraniovertebralen Winkel, ein geringeres Bewegungsausmaß beim Flexionsrotationstest und eine geringere aktive HWS-Beweglichkeit aufweisen und empfiehlt, dies bei deren Untersuchung und Behandlung zu berücksichtigen.

Trotz der fortgeschritten Stunde und der bereits großen Menge an interessanten Informationen erhielt Prof. Dr. Mariano Rocabado (Physiotherapeut, Chile) während seines packenden Vortrags über zervikale Dysfunktionen bei Kindern und ihren Konsequenzen von allen Zuhörern nochmals die volle Aufmerksamkeit. Er machte deutlich, dass die orofaziale und die kraniozervikale Region jeweils nur 50 % der zu betrachtenden (Beschwerde-) Zone darstellen. Die engen Verknüpfungen der Muskelketten zwischen HWS und Kiefer (und somit auch der Okklusion), die neuralen Verbindungen der HWS zur orofazialen Region über den Nucleus trigeminovervikale sowie die Stellung des Axis in Bezug auf die Körper- und Gesichtsmittellinie stellen wichtige Faktoren der erfolgreichen Untersuchung und Behandlung bei Beschwerden im kraniofazialen Bereich dar. So endete der erste Tag eine ganze Stunde später als geplant, aber alle waren beeindruckt.

Der 2. Tag startete mit 6 jeweils 2-stündigen Workshops, von denen sich jeder Teilnehmer für 2 entscheiden musste. Keine leichte Aufgabe, da die Themen allesamt sehr interessant waren. Zum Glück nahmen die Referenten am Nachmittag ihre Themen, wenn auch in leicht abgewandelter und kürzer Form nochmals auf, sodass man nicht Gefühl hatte, etwas verpasst zu haben. So zeigte Prof. Dr. Peter Svensson (Zahnarzt, Dänemark), dass aufgrund der sich überschneidenden Kriterien bei orofazialen Schmerzen und Spannungskopfschmerzen auch nach neuer Einteilung der International Headache Society (IHS ) die diagnostische Einteilung nicht eindeutig ist.

Dr. Fernándes de las Peñas (Physiotherapeut, Spanien) stellte allen Teilnehmern und dem hervorragenden Dolmetscherteam die schwierige Aufgabe, seinem spannenden, mit spanischem Temperament und einem flotten spanisch-englischen Sprachmix referierten Vortrag zu folgen – Schwerstarbeit, die mit reichlich Informationen aus Studien über die Bedeutung von trigeminaler und extratrigeminaler Sensibilität bei Patienten mit temporomandibulären Beschwerden und deren Auswirkung auf das klinische Management belohnt wurde.

Zervikale Kopfschmerzen: gibt es sie oder nicht? Wenn ja, sind sie physiotherapeutisch behandelbar? Dr. Toby Hall (Physiotherapeut, Australien) ging den Fragen auf den Grund und konnte sie dank anwachsender Evidenz mit ja beantworten. Wir müssen die Patientengruppe in unserem praktischen Alltag nur herausfiltern.

Aus vertebrobasilärer Insuffizienz (VBI) wird zervikale arterielle Dysfunktion (CAD). Dr. Roger Kerry (Physiotherapeut, England) stellte in seinem Vortrag klar, dass VBI einen deutlich zu kleinen Anschauungsbereich in Bezug auf die hochzervikale, vaskuläre Situation darstellt und die Antwort auf die Dauerfrage nach Risiko/Nutzen bei manuellen zervikalen Interventionen verfälscht. Mit Einführung der CAD öffnet sich die Tür zur genaueren Differenzialdiagnose und adäquateren Behandlung im praktischen Alltag.

Das Sahnehäubchen setzte wieder Prof. Dr. Rocabado an diesem ebenfalls länger werdenden Abend auf. Seine eindrucksvollen Ausführungen über das Zusammenspiel des oberen und unteren Departments der Kiefergelenke erhielten nochmals die volle Aufmerksamkeit des Publikums.

Tag 3 war der emotionalste Kongresstag. Zum einen hatte spätestens jetzt jeder neue Kontakte geknüpft, zum anderen zog sich die Frage nach der eigenen emotionalen Kompetenz und der Emotionserkennungsfähigkeit bei Patienten mit chronischen (Gesicht- und Kopf-) Schmerzen durch fast alle Vorträge. Den Einstieg gab Lydia Stelzer, Physiotherapeutin aus Österreich, die über die gute Beeinflussbarkeit der Phantomwahrnehmung Tinnitus durch manualtherapeutische Maßnahmen referierte.

Dr. Rainer Schöttl arbeitete die Schwierigkeit nach der Ergründung möglicher Ursachen einer bestehenden kraniomandibulären Dysfunktion (CMD) heraus. Liegen die Ursachen im Bereich der HWS oder bei einer lange kompensierten Zahnstellungsveränderung, die dann dekompensierte? Für eine effiziente Behandlung eine entscheidende Frage, die eine interdisziplinärer Zusammenarbeit notwendig macht.

Den Schlusspunkt der rundum gelungenen Veranstaltung setzten der Psychologe Prof. Dr. Harald Traue und Prof. Dr. Harry von Piekartz. Ihre beindruckende Darstellung der Bedeutung der eingeschränkten eigenen emotionalen Kompetenz und der verminderten Emotionserkennungsfähigkeit bei chronischen (Gesichts-) Schmerzpatienten in Bezug auf deren Lebensqualität gibt Anstoß zu neuen Therapiemöglichkeiten.

Die Fahrt nach Hamburg hat sich aus meiner Sicht gelohnt. So viele verschiedene Eindrücke, Anregungen und Informationen auf neuestem Stand kompakt und kompetent präsentiert, da bleiben keine Wünsche offen. Ein großer Wehrmutstropfen bleibt allerdings: Schlappe 130 Teilnehmer werden dem Aufwand des Kongresses nicht gerecht. So steht es in den Sternen, ob es einen 5. Internationalen CRAFTA-Kongress geben wird. Ich möchte daher alle CRAFTA-Therapeuten und assoziierte Interessensgruppen dazu auffordern, mehr Interesse zu bekunden und dies auch den Organisatoren zu kommunizieren.