Sprache · Stimme · Gehör 2014; 38(04): 157
DOI: 10.1055/s-0034-1395695
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Handlungsorientierte Förderung und Therapie der Sprachentwicklung

Action-Oriented Support and Therapy of Language Acquisition
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Publication Date:
09 January 2015 (online)

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Dr. Irina Weigl

K. Nelson hat in ihrem Buch „Language in Cognitive Development“ [1] den Grundgedanken des handlungsorientierten Ansatzes für Förderung und Therapie wie folgt formuliert: “Sprache ist untrennbar von der Kognitiven Entwicklung und die Kognitive Entwicklung ist von der Sprache nicht zu trennen.“

Die Handlung ist nicht nur ein bloßer „Begleiter“ der sprachlichen Äußerungen, sie ist vielmehr eine Art „Lieferant“ des Rohmaterials für die kognitiven Operationen: Das Kind wendet sein senso-motorisches Wissen und Können (konkret und handlungsbezogen) modellhaft beim Erwerb der Sprache an.

Die wertvollen Beiträge von Prof. Andresen, Prof. Füssenich, Prof. Oerter und Dr. Zollinger tragen zum Thema dieses Heftes exemplarisch bei. Dafür sei den Autoren besonders gedankt! Ich gestatte mir, daraus 3 Schwerpunkte hervorzuheben.

  1. Die triadische Interaktion (joint attention)  R. Oerter definiert sie als Kind und Bezugsperson, die sich auf ein gemeinsames Objekt beziehen: Der Gegenstand wird meistens benannt. Auf diese Weise lernt das Kind, dass Dinge einen Namen haben.
    B. Zollinger betont, dass in der frühen Kindheit das Besondere der sprachlichen Kommunikation in der Verknüpfung der Personen mit der Gegenstandswelt liegt, die sie als Drei-ecksverbindung zwischen dem Ich, Du und dem Gegenstand benennt. Den fragenden Blick des Kleinkindes in dieser Phase bezeichnet sie als triangulären oder referenziellen Blick, der die Basis für die Entwicklung des Sprachverstehens bildet.
    Auch I. Füssenich meint, dass die Steuerung der gemeinsamen Aufmerksamkeit mit der Fähigkeit zum triangulären Blickkontakt zusammenhängt.

  2. Das Spiel Das Spiel als eine kinderspezifische, durch Sprache begleitete Tätigkeit, wird in den 3 Beiträgen in unterschiedlichen Varianten dargestellt. R. Oerter beschreibt das Als-Ob-Spiel des 2- und 3-jährigen Kindes als eine selbstkonstruierte, fiktive Realität, geprägt durch die Umdeutung der Gegenstände (ein Stuhl wird zum Auto, ein Stock zum Pferd). Die Sprache begleitet das Spiel und unterstützt dabei die fiktive Realität („ich bin eine Prinzessin“, „ich bin ein Zauberer“). Sobald die Kinder beginnen, gemeinsam zu spielen, tritt die kommunikative Funktion der Sprache in Kraft.
    Das Spiel ist auch ein Schwerpunkt der entwicklungspsychologischen Therapie von B. Zollinger. Sie geht von dem aus, was das Kind spontan tut, um eine gemeinsame Spielhandlung (Kind – Gegenstand – Erwachsene) anzubahnen. Das Kind erfährt, dass seine Handlungen „etwas bewirken“. Die Frage „machst du’s nochmal“ bildet die Grundlage des Sprachverstehens.
    Die Analyse des Rollenspiels von H. Andresen hebt das Potenzial der Sprache hervor für die Entwicklung der Kognition im Vorschulalter. Es findet ein Wechsel von der Kommunikation der Kinder über das Spiel (Metakommunikation) zu der Kommunikation außerhalb des Spielrahmens, z. B. über Rollen und den Handlungsablauf. In der Frühphase der Entwicklung sind die sprachlichen Äußerungen mit der Handlung verflochten und Teil der Handlungspraxis. Im Rollenspiel werden fiktive Personen (durch übernommene Rollen) und fiktive Handlungssituationen sprachlich gestaltet. Beim Rollenspiel erzeugen die Kinder ein Bedeutungsfeld (fiktive, imaginäre Bedeutungen), das sich vom Sichtfeld (realer Wahrnehmungsraum mit realem Handlungskontext) unterscheidet.

  3. Frühe Sprachbildung Die Sprachentwicklung verläuft unterschiedlich schnell – die Spannweite kann bis zu einem Jahr oder mehr betragen. Aber gleichgültig wie lang sie auch sind, die Phasen, die die Kinder dabei durchlaufen, sind im Allgemeinen dieselben. Deshalb sind voreilige Schlussfolgerungen über die Sprachentwicklung aufgrund von „normierten“ zu erwartenden Leistungen oftmals schädlich.
    I. Füssenich betrachtet die frühe sprachliche Bildung nicht im Kontext der „Meilen der Sprache“ (Wortschatz und Grammatik). Das entscheidende Kriterium ist nicht das Kindesalter, sondern eine Weiterentwicklung oder eine Stagnation. Die Beobachtungskriterien sind nicht nur die Sprachäußerungen, sondern auch „Meilen der sprachlichen Bildung“, z. B. tägliche Spiel- und Routineaktivitäten=Formate. Die sprachliche Bildung wird dadurch begleitet und unterstützt, in dem man die Entwicklung der Sprache, Persönlichkeit und Aktivitäten des Kindes in ihrer Gesamtheit zu verschiedenen Zeitpunkten festhält.

Die Förderung der Kognitiven Entwicklung kann auf vielfältige Weise erfolgen: Durch Handlungsorientierte Programme, Spielhandlungen, „Als-Ob-Spiel“, Rollenspiele, didaktische Spiele, Alltagssituationen, usw.

 
  • Literatur

  • 1 Nelson K. Language in Cognitive Development – Emergence of the Mediated Mind. Cambridge: Cambridge University Press; 1988