Z Geburtshilfe Neonatol 2014; 218(06): 266
DOI: 10.1055/s-0034-1395672
Leserbrief
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Leserbrief

U. Thome
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eingereicht 21 November 2014

angenommen 21 November 2014

Publication Date:
17 December 2014 (online)

Säuglingssterblichkeit in Deutschland (2008–2012) – niedriger im Osten?, ZGN 2014; 218: 153–163

U. Thome

Der Artikel von Trotter, v. Schnakenburg und Pohlandt [1] versucht, die bekannten Unterschiede in der neonatalen Sterblichkeit zwischen verschiedenen Bundesländern in Beziehung zur Rate Totgeborener zu setzen. Die erhobenen Daten und die darauf basierenden Analysen haben jedoch schwere Defizite. Einige wurden schon in den Begleitkommentaren beschrieben [2] [3], diese sollen nicht wiederholt werden. Nur so viel sei hier festgestellt:

  1. Die Unterschiede in der Häufigkeit der Totgeborenen ohne Gewichtsangabe zwischen den Bundesländern sind größer als die Unterschiede der Häufigkeiten der Totgeborenen mit 500-999 g Geburtsgewicht. Wenn nur ein Teil der Totgeborenen ohne Gewichtsangabe in den Bereich mit 500-999 g Geburtsgewicht fiele, wären die von den Autoren beschriebenen Unterschiede in der Rate der kleinen Totgeborenen, die nach Sichtweise der Autoren des Artikels die bekannten Unterschiede in den Überlebensraten kompensieren sollen, nicht mehr vorhanden. Die Wahrscheinlichkeit, dass viele Totgeborene ohne Gewichtsangabe tatsächlich in diesen Gewichtsbereich fallen, ist dabei nicht gering, denn der Anteil der Kinder ohne Gewichtsangabe hat z. B. in Baden-Württemberg aus bisher nicht genannten Gründen in den letzten Jahren dramatisch zugenommen [4].

  2. Da alle Länder unterschiedlich große Perinatalzentren haben, entspricht es völlig den Erwartungen, dass in länderübergreifenden Durchschnittsgrößen keine Korrelation mit den Sterblichkeiten zu finden ist, ebenso wie man durch Messung der Durchschnittsgeschwindigkeit auf Autobahnen nicht feststellen könnte, in welchem Bundesland die teuersten Autos fahren. Dieses Vorgehen erlaubt somit nicht die Schlussfolgerung, dass es keine Korrelation zwischen Größe der Perinatalzentren und Sterblichkeiten gibt. Anderswo wurden entsprechende Zusammenhänge ja auch bereits überzeugend nachgewiesen [5]. Sinnvoller als Ost-West Vergleiche oder Vergleiche zwischen ganzen Ländern wären daher Vergleiche der Behandlungsergebnisse bezogen auf tatsächliche Versorgungsstrukturen. Diese gibt es aus dem europäischen Ausland, warum nicht auch in Deutschland?

  3. Berlin wurde als West-Land einsortiert, obwohl es ein Konglomerat aus ehemals „West“ und ehemals „Ost“ darstellt.

  4. Die Autoren gehen nicht darauf ein, dass die Abbildungen für 500–999 g und 1 000–1 499 g zum Teil einander gegenläufige Verteilungen zeigen, was unplausibel und vermutlich nur auf Fehler durch kleine Fallzahlen zurückzuführen ist und somit keine weiter gehenden Schlussfolgerungen erlaubt.

  5. In Abbildung 1b ist Rheinland-Pfalz ein Ost-Bundesland und Thüringen ein West-Bundesland. Bei richtiger Markierung wäre der Gesamteindruck der Abbildung ein ganz anderer, denn Rheinland-Pfalz hat die höhere Totgeborenenrate.

Die mangelnde wissenschaftliche Qualität in der Diskussion um die optimalen Versorgungsstrukturen für Frühgeborene ist bedauerlich. Das übergeordnete Ziel, für alle Kinder das bestmögliche Outcome zu erreichen und eklatante Versorgungsmängel, bspw. Transporte von kleinen Frühgeborenen mit akuter NEC im Krankenwagen, auszuräumen, sollte nicht aus den Augen verloren werden.

Insgesamt reichen weder die Qualität der Daten noch die Qualität der Bearbeitung für die gezogenen Schlussfolgerungen aus. Die beiden berühmten Statistik-Zitate, die Mark Twain und Winston Churchill zugeschrieben werden, drängen sich förmlich in das Bewusstsein.