Klinische Neurophysiologie 2014; 45(03): 184
DOI: 10.1055/s-0034-1384575
Nachruf
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Prof. Dr. med. Dietrich Lehmann (1929–2014)

Helmut Buchner
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Publication Date:
09 September 2014 (online)

Am 16.06.2014 ist Dietrich Lehmann, emeritierter Professor für klinische Neurophysiologie an der Universität Zürich, im Alter von 85 Jahren verstorben.

Dietrich Lehman habilitierte sich 1972 an der Universität Zürich und wurde Titularprofessor und Extraordinarius an der Neurologischen Klinik. Er verblieb dort bis zum Eintritt in den Ruhestand 1997.

Ich bin mir heute nicht mehr ganz sicher, wann ich Prof. Lehmann erstmals persönlich getroffen habe und mit ihm diskutieren durfte. Ich erinnere mich aber an eine kleine Lehrstunde, die er mir bei einer Tagung im Aostatal so ganz nebenbei hielt, und in der er mir sein Verständnis des EEG erklärte. Schon zu diesem Zeitpunkt, etwa 1988, war für Dietrich Lehmann klar, dass das EEG nicht alleine als eine Beurteilung von einzelnen Kurven, Amplituden oder Polaritätsänderungen betrachtet werden darf. Stattdessen erklärte er die Sichtweise der räumlichen Analyse der EEG-Topografie. Mit damals noch sehr einfachen Methoden, hier nur als Stichworte Zentroide und Globalfieldpower, gelang es Dietrich Lehman Zustände konstanter EEG-Aktivität präzise zu beschreiben. Er war damit einer der Ersten, denen es gelang, von der subjektiv beschreibenden EEG-Befundung auf eine mathematisch-physikalisch fundierte Analyse zu wechseln und damit einen gewaltigen methodischen Sprung zu erreichen. In den folgenden Jahren durfte ich das Forschungslabor von Prof. Lehmann im Untergeschoß der Neurologischen Klinik in Zürich mehrfach besuchen. Ich habe dabei stückweise mehr und mehr verstanden, was er unter „Microstates“, den kurzen konstanten Funktionszuständen des Gehirns, verstand und wie er die Analyse des EEG’s zur Erforschung von vielfältigsten Fragestellungen, vor allem auch kognitiver Hirnfunktionen, einsetzte.

Dietrich Lehmann erklärte sich damals bereit meine Habilitationsschrift zu referieren. Seine einzige Kritik an meiner Arbeit war, dass ich zu sehr verhaftet sei an der einzelnen Kurve eines evozierten Potenzials statt in der gesamten Topografie zu denken.

Dietrich Lehmann hat mit seiner Sicht auf das EEG das Tor aufgemacht für die Betrachtung von Funktionszuständen des Gehirns im Millisekunden-Bereich. Damit war er der Begründer einer neuen, sich sehr rasch entwickelnden Forschungsebene in der kognitiven Neurologie. Aus dieser sind multiple technische Entwicklungen hervorgegangen, wie die Quellenanalyse, das Multikanal-EEG und die Magnetenzephalografie.

Dietrich Lehman war ein sehr zurückhaltender, bescheidener Mensch. Das EEG war seine Sache und seine Begeisterung hat er weitergetragen auf viele, auch auf mich.

Die klinische Neurophysiologie trauert um Einen, der Meilensteine gesetzt hat.

Helmut Buchner
Recklinghausen