Der Klinikarzt 2013; 42(12): 551
DOI: 10.1055/s-0034-1368109
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ethische Grenzfragen in der Medizin

Jens Atzpodien
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Publication Date:
20 January 2014 (online)

Mit den exponentiell wachsenden technisch-wissenschaftlichen Möglichkeiten moderner Medizin steigen die Erwartungen an unsere Heilkunst. Ist all das Machbare auch wünschenswert? Welche Kriterien sollen bei der Auswahl medizinischer Maßnahmen gelten? Hier geraten Ärzte immer häufiger in Konfliktsituationen, deren Auflösung oder Abmilderung gerade auch ethischer Reflexion bedarf.

In einem Spannungsfeld zwischen Freiheit und Selbstbestimmung einerseits sowie Schutz der Menschenwürde und des Individuums andererseits sind nüchterne Bestandsaufnahmen wesentlicher medizinethischer Diskussionsfelder von zunehmender Relevanz. Dieser Aufgabe widmet sich das aktuelle Heft des klinikarzt.

Von den Grundprinzipien moderner Medizinethik und ihrer praktischen Anwendung (Schöne-Seifert) über Grenzsituationen zu Beginn des Lebens (Schneider), am Lebensende einschließlich des Themenfeldes Patientenverfügung (Candidus) bis hin zu aktuellen Fragen der Organspende (Windhorst) reicht der Themenkanon.

Die Vielfalt ethischer Positionen in den nachfolgenden Beiträgen ist Spiegel einer zunehmend komplexer und vielschichtiger geführten Debatte, die neben Ärzten vor allem auch Patienten sowie Medizinethiker zu Worte kommen lässt.

Darüberhinaus wünsche ich mir einen intensiven und breiten gesellschaftlichen Diskurs zu den ethischen Grenzfragen der Medizin. Die Diskussion aus den Fachkreisen in die Mitte der Politik und der unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen zu tragen, ist schon deshalb notwendig, weil der Arztberuf zunehmend reguliert und auch ökonomisch häufig eingeengt ist.

Umso erfreulicher ist es, dass ethische Diskussionen bereits im Kreise der Experten in einer nicht gekannten Vielzahl von Gremien – von den klassischen Ethik-Kommissionen über klinische Ethik-Komitees bis hin zu Ethik-Beiräten und Fachgesellschaften wie der Akademie für Ethik in der Medizin (AEM) – geführt werden.

Erst die Vielstimmigkeit des medizinethischen Diskurses ermöglicht eine abwägende, abgestufte und nüchterne Urteilsform, die im klinischen Alltag weder pauschalen Angstkulissen noch einer naiven Heilserwartung verfällt.

Ich bin sicher, dass Grundprinzipien ärztlichen Handelns wie Fürsorge oder Respekt vor der Selbstbestimmung gerade in Zeiten einer naturwissenschaftlich fortschrittlichen, aber auch wirtschaftlich geprägten Medizin nie an Bedeutung verloren haben, sondern vielmehr kontinuierlich hinzugewinnen.

In allen heutigen und künftigen Diskussionen um Menschenwürde, Lebensqualität, Eigenverantwortung und Solidarität bleibt folgendes: Wir Ärzte haben nicht nur im Handeln, sondern auch in der ethischen Reflexion eine grundlegende Verantwortung. Am Umgang mit den uns anvertrauten Kranken und Schwächsten bemisst sich nämlich der Zivilisationsgrad unserer gesamten Gesellschaft.