Der Nuklearmediziner 2013; 36(03): 195-196
DOI: 10.1055/s-0033-1351256
Recht und Wirtschaft
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Das Patientenrechtegesetz – Die Bedeutung für den Mediziner

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Publication Date:
30 September 2013 (online)

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Am 26.2.2013 trat das sogenannte Patientenrechtegesetz in Kraft. Ziel des Gesetzgebers sind insbesondere die Herstellung von Transparenz und Rechtssicherheit für den Patienten, Verbesserung der tatsächlichen Durchsetzung der Rechte, Schutz der Patienten im Sinne einer verbesserten Gesundheitsversorgung und die Unterstützung im Fall eines Behandlungsfehlers. Die vom Gesetzgeber verfolgte Lösung ist die Kodifizierung des Behandlungs- und Arzthaftungsrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch, die Förderung der Fehlervermeidungskultur, die Stärkung der Verfahrensrechte bei Behandlungsfehlern, die Stärkung der Rechte gegenüber den Leistungsträgern (Ärzten u. a.), eine besondere Berücksichtigung der Patientenbeteiligung sowie die Stärkung der Patienteninformation. Wird der Gesetzgeber diesem Anspruch gerecht? Und was sind die Folgen für den Mediziner in seinem Praxisalltag? Der Beitrag gibt Antworten.

Grundsätzlich hat sich an dem Haftungs- und Beziehungsverhältnissen zwischen Patient und Arzt im Verhältnis zur früheren Rechtslage nichts verändert. Der Arzt/Krankenhausträger schließt einen Behandlungsvertrag mit dem Patienten und schuldet das Bemühen um einen ärztlichen Heilerfolg auf Basis des objektiv gebotenen fachärztlichen Standards. Er ist zur Aufklärung über den Heileingriff verpflichtet, muss über das Für und Wider des ärztlichen Heileingriffes informieren und die Einwilligung des Patienten einholen. Unterschreitet der Arzt den objektiv gebotenen fachärztlichen Standard schuldhaft und entsteht dem Patienten dadurch adäquat kausal ein Schaden, an seiner Gesundheit oder seinem Körper, so haftet der Arzt – regelmäßig abgesichert über die Haftpflichtversicherung – weiterhin auf Schadensersatz und Schmerzensgeld.

Dieses grundsätzliche Beziehungsgeflecht ist nun ausdrücklich in den §§ 630a ff. BGB geregelt. So hat die Behandlung gemäß § 630a Abs. 2 BGB nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen. Doch was ist der allgemein anerkannte Standard? Der Gesetzgeber schweigt dazu im Gesetzestext. Lediglich in der Gesetzesbegründung teilt er mit, dass insoweit maßgeblich die regelmäßigen Leitlinien sind, die von wissenschaftlichen Fachgesellschaften vorgegeben werden. Leitlinien sind die von ärztlichen Fachgremien für typische medizinische Sachverhalte aufgestellten Regeln guten ärztlichen Handelns, die auf die qualitative Sicherung oder auf die Verbesserung des maßgeblichen Standards diagnostischen oder therapeutischen Vorgehens abzielen. Dabei werden teilweise Leitlinien aus medizinischer Sicht als Kochbuchmedizin oder auch als Einschränkung der Therapiefreiheit verstanden. Doch selbst die Kriterienkata­loge von Qualitätsmanagementvorgaben wie KTQ, EFQM, ISO 9001/2008 u. a. sehen die Beachtung der aktuellen Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) ausdrücklich vor. Leitlinien können somit sehr wohl als ein Mittel der Qualitätssicherung verstanden werden. Gleichwohl ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein Verstoß gegen Leitlinien keinesfalls einen Behandlungsfehler oder gar einen groben Behandlungsfehler indiziert. Der Bundesgerichtshof (Beschluss vom 28.03.2008 – VI ZR 57/07) hat bereits frühzeitig ausgeführt, dass Leitlinien von ärztlichen Fachgremien oder Verbänden nicht ungesehen mit dem zur Behandlung gebotenen Standard gleichgesetzt werden können. Leitlinien kommen eben keine konstitutive Bedeutung zu (BGH, Beschluss vom 07.11.2011 – VI ZR 269/09). Leitlinien können den Erkenntnisstand medizinischer Wissenschaft nur deklaratorisch festlegen und ihn ggf. ergänzen. Für den Mediziner bedeutet das, dass er Leitlinien zu prüfen und zu beachten hat, dass er von Leitlinien im Einzelfall abweichen darf/muss, dass er die Gründe dafür darlegen muss, dass er die Gründe dafür dokumentieren sollte und dass Leitlinien letztlich unbeschadet ihrer wissenschaftlichen Fundierung lediglich Informa­tionscharakter für die Ärztewissenschaft haben.

Im neuen § 630 f ist nunmehr die Dokumentationspflicht des Arztes ausdrücklich normiert. Danach hat der Behandelnde in unmittelbar zeitlichem Zusammenhang mit der Behandlung eine Patientenakte in Papierform oder elektronisch zu führen. Wichtig dabei ist, dass Berichtigungen oder Änderungen von Eintragungen in der Patientenakte nur zulässig sind, wenn der ursprüngliche Inhalt erkennbar bleibt. Sollte also eine elektro­nische Patientendokumentation (PDMS, KIS, PACS) geführt werden, so ist darauf zu achten, dass die eingesetzte Software nachträgliche Änderungen erkennbar lässt. Dokumentationspflichtig sind dabei alle diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen und Verlaufsdaten, soweit sie für das weitere Behandlungsgeschehen bedeutsam sind bzw. werden können, insbesondere die Anamnese, Diagnose, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen. Auch die Arztbriefe an die ärztlichen Kollegen sind in die Patientenakte aufzunehmen. Danach ist also auch die rein digitale Dokumentation von Patientenaufnahmen, -dokumenten und Einverständniserklärungen usw. möglich. Die Folgen einer Verletzung der Dokumentationspflicht findet man in § 630 h Abs. 3 BGB. Hat danach der Behandelnde eine medizinisch gebotene wesentliche Maßnahme und das Ergebnis nicht in der Patientenakte aufgezeichnet, wird vermutet, dass er diese Maßnahme nicht getroffen hat.

Ebenso wird die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum groben Behandlungsfehler gesetzlich umgesetzt. Nach § 630 h Abs. 5 wird vermutet, dass der Behandlungsfehler für eine Verletzung ursächlich war, wenn ein grober Behandlungsfehler vorliegt und dieser grundsätzlich geeignet ist, eine Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen. Ebenso verhält es sich, wenn sich ein allgemeines Behandlungsrisiko verwirklicht, dass für den Behandelnden voll beherrschbar war. Voll beherrschbar ist ein Behandlungsrisiko immer dann, wenn es aus der Organisa­tion und Koordination des Behandlungsbetriebs entstammen oder dem technisch-apparativen Bereich entspringen (z. B. Einsatz von Medizinprodukte, oder auch Hygienemaßnahmen). Auch die Aufklärungspflichten des behandelnden Arztes sind in § 630e BGB ausdrücklich normiert. Dabei muss jedoch die Aufklärung nicht allein durch den Behandelnden erfolgen, sondern sie kann auch durch eine Person erfolgen, die über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Befähigung verfügt. Wichtig ist, dass dem Patienten Abschriften von Unterlagen, die er im Zusammenhang mit der Aufklärung oder Einwilligung unterzeichnet hat, auszuhändigen sind. Gerade im Krankenhaus wurde bisher praktisch anders verfahren. Hier wurde von den Aufklärungsbögen lediglich der Informationsteil abgetrennt und dem Patienten ausgehändigt, während der unterschriebene Teil des Aufklärungsbogens zu der Patientenakte genommen wurde. Nunmehr sind dem Patienten gerade von ­diesem Teil Abschriften auszuhändigen. Ganz auf Nummer sicher geht man, wenn man sich zudem die Aushändigung der Abschrift abzeichnen lässt oder diese zumindest selbst dokumentiert.

Weiter wurde im § 630 g BGB die Einsichtnahme in Patientenakten ausdrücklich geregelt. Hier gab es in der Vergangenheit immer wieder Unklarheiten, wer tatsächlich Einblick nehmen darf. Nun ist zunächst dem Patienten selbst auf Verlangen unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern, also nicht sofort) Einsicht in die ihn betreffende Patientenakte zu gewähren. Ob der Patient dabei auch ein Recht zur Offenlegung persönlicher Eindrücke oder subjektive Wahrnehmungen des Behandelnden hat, hängt von den Umständen des konkreten Einzelfalles ab. Hier hat regelhaft eine Abwägung der begründeten Interessen des behandelnden Arztes an der Nichtoffenbarung zu dem Persönlichkeitsrecht des Patienten zu erfolgen. Weiter kann der Patient Abschriften von der Patientenakte verlangen. Die Abschriften können sowohl in Textform als auch in Form maschinenlesbarer Datenkopien (CD) oder Dateien in elektronischer Form angefertigt werden. Der Pa­tient hat die Kosten für die Abschriften/Kopien dem Behandelnden allerdings zu erstatten. Im Falle des Todes haben Erben, nächste Angehörige (Ehegatten, Lebenspartner, Kinder, Eltern, Geschwister und Enkeln) Akteneinsichtsrechte, soweit es um die Geltendmachung von immateriellen Interessen geht.

Eine weitere Neuerung findet sich in § 630c Abs. 2 BGB. Danach hat der Behandelnde den Patienten auf Nachfrage oder zur Abwendung von gesundheitlichen Gefahren über einen möglichen Behandlungsfehler zu informieren. Dies stellt ein Einfallstor für Patientenanwälte dar. Sollte der Patient mit der Behandlung nicht einverstanden sein und einen Patientenanwalt aufsuchen, wird dieser namens und im Auftrag des Patienten entsprechende Nachfragen an den behandelnden Arzt stellen. Hier wäre man zur Information gegenüber dem Patienten verpflichtet. Keinesfalls muss aber der Begriff ­„Behandlungsfehler“ verwendet werden. Vielmehr hat er lediglich den Patienten über die Umstände zu informieren, die einen Behandlungsfehler begründen. Ob diese Umstände dann tatsächlich einen Behandlungsfehler darstellen oder kausal für den eingetretenen Gesundheitsschaden beim Patienten wurden, wird letztlich ein Sachverständigengutachten ermitteln. Die getätigte Information darf im Strafverfahren oder im Verfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten jedoch nicht automatisch verwertet werden (sogenanntes Beweisverwertungsverbot). Hier ist die ausdrückliche Zustimmung des behandelnden Arztes erforderlich.

Wichtig ist die sogenannte wirtschaftliche Aufklärungspflicht nach § 630c Abs. 3 BGB. Diese gesetzliche Regelung wird ebenfalls ein Einfallstor für gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen Arzt und Patient sein. Weiß der behandelnde Arzt, dass eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten (GKV/PKV) nicht gesichert ist oder ergeben sich nach den Umständen hierfür hinreichende Anhaltspunkte, muss er den Patienten vor Beginn der Behandlung über die voraussichtlichen Kosten der Behandlung in Textform informieren. Dabei wird es sich um eine Art Kostenvoranschlag handeln. Unterlässt der behandelnde Arzt dies und werden dem Patienten die entstandenen Kosten nicht erstattet, so wird zum einen die Rechnung des Arztes nicht fällig, zum anderen entsteht die Gefahr eines Honorarregresses, sollte der Patient schon bezahlt haben. Dies wird auch im Bereich der privaten Krankenversicherung der Fall sein. Hier haben die niedergelassenen Ärzte regelhaft Erfahrungen, welche medizinischen Leistungen von den privaten Krankenversicherungen erstattet werden und welche nicht. Diesen Wissensvorsprung wird sich der niedergelassene Arzt regelmäßig zurechnen lassen müssen.

Letztendlich sind die gesetzlichen Krankenkassen nach § 66 SGB V zukünftig ­verpflichtet, den gesetzlich versicherten Patienten bei der Durchsetzung seiner vermeintlichen Ansprüche zu unterstützen. Auch dies wird den Arbeitsalltag des Mediziners nicht vereinfachen.

Ob das Patientenrechtegesetz seinem Anspruch gerecht wird, Transparenz und Rechtssicherheit für den Patienten herzustellen, bleibt abzuwarten. Tatsache ist, dass weitgehend ergangene Rechtsprechung im Gesetz kodifiziert wurde. Doch ist gerade im Bereich der wirtschaftlichen Aufklärungspflicht Vorsicht geboten. Hier ist sachverständige Beratung zu empfehlen.