Der Klinikarzt 2013; 42(3): 115
DOI: 10.1055/s-0033-1345027
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Neue ESC-Leitlinien – Was hat sich geändert?

Matthias Leschke
,
Johannes Brachmann
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Publication Date:
15 April 2013 (online)

In den letzten 2 Jahren sind eine Fülle von wichtigen neuen Leitlinien von der „European Society of Cardiology“ publiziert worden. Es gelingt bei der Vielzahl der Leitlinien häufig nicht mehr, die Übersicht zu behalten, Wichtiges von Unwichtigem zu differenzieren und die wesentlichen Erkenntnisse für die klinische Praxis herauszufiltern. Bis zum Frühjahr 2000 sind in Deutschland weit über 1000 Leitlinien von den Fachgesellschaften in der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften erarbeitet worden. Immer wieder werden besonders intensiv und kontrovers die juristischen Implikationen von Leitlinien diskutiert. Während wir Ärzte häufig Leitlinien als unverbindliche Leitfäden ansehen und auf unsere individuelle Therapiefreiheit setzen, stellen Juristen zunehmend eine implizierte Normsetzung durch die Leitlinien in den Vordergrund. So muss ein Arzt gegebenenfalls ein Abweichen von den Leitlinien im Einzelfall speziell begründen. Soweit zur juristischen Dimension von Leitlinien!

In unserer aktuellen klinikarzt-Ausgabe wollen wir die jüngsten ESC-Leitlinien zum Vorhofflimmern, zum STEMI, zur Herzinsuffizienz, zum Management von Dyslipidämien und zur arteriellen Verschlusserkrankung vorstellen, die von ausgewiesenen klinischen Experten auf deren wichtigste Konsequenzen, Stärken, aber auch Schwächen und Lücken kritisch diskutiert werden. Dabei soll selbstverständlich immer die Frage nach der Praktikabilität und der Umsetzung in die praktische Medizin beantwortet werden.

Bernd-Dieter Gonska geht auf die aktualisierten ESC-Leitlinien 2012 zum Vorhofflimmern ein. Die neuen oralen Antikoagulantien finden jetzt erstmals in einer gegenüber den Vitamin-K-Antagonisten bevorzugten Positionierung Eingang. So stehen diese Leitlinien im direkten Widerspruch zur Stellungnahme der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Für die klinische Praxis ist die Höherbewertung der Katheterablation des paroxysmalen Vorhofflimmerns als Mittel der Wahl mit hohem Empfehlungs- und Evidenzgrad besonders relevant.

Die „2012 ESC-Guidelines for the Management of Acute Myocardial Infarction in Patients Presenting with ST-segment Elevation” (STEMI) unterscheiden sich zu denen des Jahres 2008 hinsichtlich der Benennung von Qualitätszielen bei der interventionellen Behandlung des akuten Myokardinfarktes, der Bevorzugung von Drug-eluting-Stents, der Empfehlung des radialen Zuganges und der Herabstufung der Wertigkeit der Betarezeptorenblocker nach Myokardinfarkt. Wolfgang Motz setzt sich sehr kritisch mit der Praktikabilität dieser Leitlinie auseinander.

Johannes Schwab und Matthias Pauschinger diskutieren die ESC-Leitlinien zur Herzinsuffizienz. In Anbetracht der demografischen Entwicklung handelt es sich bei ca. 15 Millionen betroffenen Patienten in Europa um eine besonders wichtige Leitlinie. In der Stufentherapie der chronischen Herzinsuffizienz wurde der Einsatz der Mineralokortikoidrezeptor-Antagonisten neu bewertet und Ivabradin als zusätzlicher Herzfrequenzsenker neu implementiert. Diese Neuerungen haben direkte Auswirkungen auf unser Verordnungsverhalten. Schließlich war die Diagnose Herzinsuffizienz 2006 die häufigste Einweisungsdiagnose in Deutschland.

Erstmals hat die ESC eine umfangreiche Leitlinie 2011 zur arteriellen Verschlusserkrankung publiziert. In dieser Leitlinie sind wichtige Aspekte zur Behandlung der Nierenarterienstenose, der Karotisstenose und verschiedene Szenarien der arteriellen Verschlusserkrankung enthalten, die eine große klinische Bedeutung haben. Wir sind Matthias Heintzen sehr dankbar, dass er sich mit dieser Leitlinie sehr intensiv auseinandergesetzt und die besonderen praktisch wichtigen Kapitel herausgearbeitet hat.

Winfried März als renommierter Lipidologe ist als Autor kurzfristig eingesprungen und hat die ESC-Leitlinien zum Management der Dyslipidämien und der kardiovaskulären Prävention auf ihre praktische Relevanz überprüft. Neben den Zielwerten sind besonders die Hochrisikopatienten in der Lipidtherapie zu berücksichtigen.

Wir sind unseren Experten und Autoren für ihre kritische Auseinandersetzung mit wichtigen ESC-Leitlinien der Jahre 2011 und 2012 dankbar und hoffen, dass wir unsere Leser mit diesen Beiträgen motivieren, sich aktiv dieser Leitlinien anzunehmen. Wenn das gelingt, ist eine wesentliche Intention dieser Ausgabe geglückt.