Der Klinikarzt 2013; 42(2): 55
DOI: 10.1055/s-0033-1343583
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Gentherapie: Ein Meilenstein

Achim Weizel
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Publication Date:
25 March 2013 (online)

Der medizinische Fortschritt erfolgt in der Regel nicht kontinuierlich sondern in episodischen Ereignissen. Viele Jahre herrscht oft Stillstand, bis plötzlich eine Tür aufgestoßen wird und sich völlig neue Aspekte ergeben. Im Jahre 2000 wurde das menschliche Genom durch Craig Venter und Francis Collins entschlüsselt. Seit dieser Zeit gibt es weltweit Bemühungen, durch einen gezielten Eingriff am Genom therapeutisch einzugreifen. Im Unterschied zu den symptomatischen Therapien, die vor allem bei Stoffwechselerkrankungen zwar lindernd aber nicht heilend wirken, wäre die Gentherapie eine kausale Therapie. Bei der Gentherapie werden Nukleinsäuren wie DNA und RNA in die Körperzellen eines Menschen eingebracht, um eine Krankheit zu behandeln. Ein intaktes Gen soll ein defektes Gen ersetzen. Bisherige Versuche waren bisher nicht von Erfolg gekrönt. In der Literatur finden sich Berichte, dass es einem chinesischen Unternehmen gelungen sei, bei Tumoren im Hals-Nasen-Ohrenbereich gentherapeutisch Erfolge zu erzielen. Eine Zulassung dieses Präparates außerhalb Chinas ist aber noch nicht erfolgt. Im vergangenen Jahr wurde durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (European Medicines Agency, EMA) das erste gentherapeutische Präparat – Glybera® – in der westlichen Welt zugelassen und durch die europäische Kommission bestätigt. Mit dem Einsatz des Präparates sind Auflagen verbunden: die Zulassung erfolgt auf 5 Jahre, der Arzt muss geschult sein und die Patienten müssen mit dem Eintrag in ein Register einverstanden sein. Behandelt wird ein angeborener Fehler der Lipoproteinlipase. Dies ist ein sehr seltener Stoffwechseldefekt, der zu einer extremen Anhäufung der Triglyceride im Blut aufgrund des fehlenden Abbaus dieser Substanzen führt. Der Nachweis eines genetischen Lipasemangels lässt sich durch gezielte Laboruntersuchungen führen. Im Serum der Patienten lassen sich Konzentrationen von mehreren Tausend mg/dl Triglyceriden nachweisen. Pathophysiologisch kann dies durch rheologische Veränderungen zu zerebralen Durchblutungsstörungen mit Eintrübungen des Bewusstseins führen. Die gefürchtetste Komplikation ist jedoch die akute Pankreatitis, die lebensgefährlich ist. Die Rezidivhäufigkeit ist hoch, Dauerschäden am Pankreas sind häufig. Bei der Gentherapie wird als Vehikel ein Virus benutzt. Dieses trägt anstelle seiner eigenen Erbinformation das korrekte Lipoproteinlipase-Gen und schleust es in die Zellen der Patienten ein. Das Präparat wird einmalig in mehreren subkutanen Injektionen angewendet. Die Therapie stellt ein völlig neuartiges Wirkungsprinzip dar, denn eine kausale Therapie der Erkrankung war bisher nicht bekannt. Die Behandlung erfolgt symptomatisch, die Patienten werden intravenös fettfrei ernährt, durch Plasmapherese kann die Konzentration der Triglyceride rasch gesenkt werden, Rezidive sind häufig. Der Weg, den das neue Präparat bis zur Zulassung genommen hat, ist interessant und zeigt die Schwierigkeiten auf, die mit der Einführung gentherapeutischer Präparate verbunden sind. Das Präparat wurde in Zusammenarbeit mit der Universität Amsterdam entwickelt. Wegen zu kleiner Patientenzahlen, was bei der Seltenheit dieser Erkrankungen (2/1Mio.) die Regel ist, wurde die Zulassung primär verweigert. Daraufhin stellte die Firma die Entwicklung praktisch ein. Als die Zulassung doch noch erfolgte, wurde die Firma wieder vergrößert, insgesamt sind bisher 100 Millionen Euro in die Entwicklung geflossen.

Das Präparat kann voraussichtlich in diesem Jahr zugelassen werden. Dies bedeutet einen riesigen Schritt in Richtung kausaler Therapie einer schwerwiegenden, teilweise lebensgefährlichen Erkrankung. Das Präparat hat es in die Schlagzeilen geschafft als „teuerstes Präparat der Welt“, die Kosten für eine Behandlung sollen bei 1 Million Euro/Jahr liegen. Die Frage des Preises wird zu diskutieren sein, die Entwicklung und Zulassung von Glybera® aber wird als ein Markstein in die Geschichte der medikamentösen Therapie eingehen.