Zeitschrift für Phytotherapie 2013; 34(02): 76-79
DOI: 10.1055/s-0032-1331487
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© Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Arzneipflanzen im Hausgarten Das geht doch nicht! – Das ist doch gefährlich!

Gerda Rezay

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Publication Date:
16 May 2013 (online)

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Wie kommt man dazu, mehr als 150 verschiedene Arzneipflanzen in einem durchschnittlich großen Hausgarten in einer gepflegten Straße mit schönen Standardgärten anzupflanzen? Und das ohne theoretische Kenntnisse oder praktische Erfahrung im Umgang mit Pflanzen und Gärten. Schließlich ist ein Garten ums Haus herum dazu da, eine schöne pflegeleichte Dekoration zu sein; eine Visitenkarte für guten Geschmack und modernes Gartendesign und ähnliches mehr.

Ein Thymianpflänzchen war schuld. Beim Einzug in unser Haus vor 20 Jahren wuchsen rund ums Haus ein Dutzend Koniferen, drei Apfelbäume, sieben Rosenstöcke als einzige Blumen, eine Buchenhecke und Rasen. Alles sehr gepflegt und harmonisch. Erst nach einigen Tagen fielen uns ein winziges Beet auf mit zwei Schnittlauchstöckchen, einigen Petersilienpflänzchen und dem erwähnten Thymian auf. Den Namen der Pflanze kannte ich nicht, aber den Duft! Spontan rief ich aus: »Des schmeckt so wie amig uff‘m Chnöpfli!« – übersetzung: Das duftet so wie damals auf dem Knöpflesbrunnen. Die Bergalm Knöpflesbrunnen oberhalb von Todtnau im Schwarzwald war unser regelmäßiges Sonntagsspaziergangsziel in meiner Kindheit.

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Aconitum

Dieser Duft löste eine massive positive limbische Reaktion aus mit regelmäßigem Pflanzenerwerb, Zeitschriften- und Bücherkäufen, mit Besuchen diverser botanischer Gärten und mit dem Umbau des schönen in einen interessanten Garten und mit einem anhaltenden Interesse an Arznei-, Gewürz-, Duft- und Bienenpflanzen.

Die allgemeine Meinung zu Arzneipflanzen oder Heilkräutern beschränkt sich auf die etwas kritisch gesehene Heilwirkung. »Benutzt Du die alle?« Dazu kann ich gleich sagen, dass ich in der Regel die Gewürzkräuter benutze nach dem Motto: »Da die Mittelmeeranwohner seit alters her trotz des häufigen Gebrauchs von Thymian, Oregano und Estragon immer noch leben, kann es so schädlich nicht sein.« An dieser Stelle erkläre ich immer etwas zu den Begriffen: Arzneipflanzen ist ein neutraler Begriff, Heilpflanzen suggerieren komplette Heilung, was selbstverständlich nicht immer zutrifft; den Begriff »Kräuter« benutzen wir in der Regel nicht als korrekten botanischen Begriff. Wir meinen damit Pflanzen, die wir als Gewürz, bei Krankheiten, als Tee, als Duftspender bzw. als Räucherpflanze und als Bienenweide einsetzen. Auf einige dieser Pflanzen wie z.B. beim Salbei treffen alle Eigenschaften zu. Andere Kräuter sind – auf Neudeutsch – nicht so multimodal.

Aber da gibt es noch viel mehr: Einfach schiere Freude am Garten. Wer eine »vernünftige « Begründung benötigt: Prophylaxe von Krankheiten des Bewegungsapparates, Training der Sinnesorgane, einschließlich des Hörorgans (haben Sie schon einmal eine Pflanze blühen hören? Nein? Das ist schade. Es ist ein besonderes Erlebnis, an blühendem Bohnenkraut vorbeizugehen und die vielen Hummeln und Bienen zuerst zu hören und dann natürlich sehen), Erleben von positiven und negativen Affekten (mit negativen Affekten ist z.B. das Töten von Schnecken gemeint), Training des Gehirns, Förderung des Spiel- und Sammeltriebs (Vorsicht, kann süchtig machen!), unser Garten ist eine kleine Überlebensinsel für gefährdete Insektenarten, auch für den Unterricht von MFAs und Heilerziehungspflegern interessant, Katzen schätzen bestimmte Arzneipflanzen, Krimis und historische Romane bieten interessante Aspekte, die Achtung vor der Schöpfung wächst, Kräuter wecken wie bei mir Kindheits- oder Urlaubserinnerungen, Sprachforscher kommen auf ihre Kosten, Kunstkenner können Gemälde mit Kräuterdarstellungen unter einem ganz neuen Aspekt betrachten, Kopfarbeiter können zeigen, dass sie sehr wohl auch wie ein Pionier Mauern, Wege und Zäune bauen können, Arzneipflanzen, die auch Gewürze sind, können die Küche bereichern, usw. Es bietet sich eine ganzheitliche Sicht an. War damit einst die humanistische Bildung gemeint?