Klinische Neurophysiologie 2012; 43(03): 237-238
DOI: 10.1055/s-0032-1323706
Laudatio
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

75. Geburtstag von Prof. Reinhardt Rüdel[*]

R Dengler
Further Information

Publication History

Publication Date:
14 September 2012 (online)

Zoom Image
Prof. Reinhardt Rüdel

Prof. Reinhardt Rüdel feierte am 06.07. dieses Jahres seinen 75. Geburtstag. Er ist einer der wenigen, international renommierten deutschen Muskelforscher und hat sich in herausragender Weise um das Anliegen der Patienten mit Muskelkrankheiten und um die Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke verdient gemacht.

Reinhardt Rüdel wurde am 06.07.1937 in Hochstadt geboren. Er studierte Physik in Erlangen, Wien und zuletzt in Heidelberg, wo er 1962 sein Diplom erhielt und 1965 am Max-Planck-Institut für Kernphysik mit „summa cum laude“ promovierte. Im Anschluss wandte er sich der Medizin zu, wurde Assistent am Physiologischen Institut der Universität Heidelberg und begann ein Medizinstudium, das er bis zum Physikum 1968 betrieb. Von 1968 bis 1970 war er Postdoctoral Fellow im renommierten Labor von A.F. Huxley am University College London und habilitierte sich 1970 für das Fachgebiet Physiologie an der Universität Heidelberg. 1972 folgte er J. Dudel von Heidelberg nach München und wurde wissenschaftlicher Rat am Physiologischen Institut der Technischen Universität, wo er bis 1979 blieb. Während dieser Zeit absolvierte er mehrere wissenschaftliche Aufenthalte bei S Taylor an der Mayo Clinic, wo er führende Arbeiten zu den grundlegenden Mechanismen der elektromechanischen Koppelung und der zentralen Rolle des Kalziums verfasste. 1976 wurde er dann zunächst außerplanmäßiger Professor, 1978 außerordentlicher Professor, bevor er 1979 den Ruf an die Universität Ulm als ordentlicher Professor und Direktor des Institutes für Allgemeine Physiologie erhielt.

Was hat Reinhardt Rüdel mit Muskelkrankheiten zu tun? Dies betrifft einerseits die Grundlagenforschung, auf die ich zunächst eingehen werde, und andererseits seinen Einsatz für die Patienten und die Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke. Wirft man einen Blick in PubMed, so findet man bereits ab 1969 grundlegende und hervorragend publizierte Artikel zur Erregung und elektromechanischen Koppelung von Skelett- und Herzmuskulatur. Bald darauf sieht man auch erste Arbeiten zu veränderter Erregbarkeit von Muskelmembranen und insbesondere zu myotonen Muskelphänomen. Ging es zunächst um die klassische Chloridkanal-Myotonie, wie wir sie von der Myotonia congenita Thomsen und der Becker’schen Myotonie kennen, so gerieten im Weiteren, im Rahmen der engen Kooperation und Freundschaft mit K. Ricker aus Würzburg, die episodischen Paralysen in den Fokus. Hier kam es dann in seinem Münchener Labor, wo ich selbst als PostDoc kurz tätig und wo inzwischen auch F. Lehmann-Horn hinzugestoßen war, zu bahnbrechenden Arbeiten zur hyperkalämisch episodischen Paralyse, zu den Paramyotonien und auch zu den hypokalämischen Varianten. Ich erinnere mich persönlich noch gut an diese Experimente an menschlichen Intercostalis-Muskelfasern, die bis in die frühen Morgenstunden andauerten und alle Beteiligten im Bann hielten. Er blieb diesem Themenbereich auch nach seiner Berufung nach Ulm erfolgreich treu bis zu seiner Emeritierung mit 67 Jahren. Reinhardt Rüdel ist einer der ganz wenigen Deutschen Muskelforscher, die hohe internationale Anerkennung und Sichtbarkeit erreichten, worauf ich später noch einmal eingehen werde.

Absolut ungewöhnlich für einen Nicht-Mediziner war sein Engagement für eine Patientenorganisation, die heutige Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke (DGM). Er war dort bereits seit 1972 einfaches Mitglied des wissenschaftlichen Beirates und wurde von der DGM 1980 zusammen mit G. Lehmann-Horn und K. Ricker für seine Arbeiten zu den episodischen Paralysen mit ihrem höchsten Preis, dem Erb-Duchenne-Preis ausgezeichnet. 1983 wurde er in den Vorstand der DGM gewählt und war 1. Vorsitzender von 1986 bis 1992. Im Weiteren wurde er Ehrenmitglied und erhielt die goldene Ehrennadel. Während dieser Zeit war er auch für 6 Jahre Präsident der European Alliance of Muscular Dystrophy Associations (EAMDA) und sammelte dort in den anderen Europäischen Ländern wertvolle Erfahrungen für die Betreuung von Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen.

Aufgrund seines hohen internationalen Renommees gelang es ihm, den 7. Weltkongress für Muskelkrankheiten (International Congress on Neuromuscular Diseases, ICBMD) für 1990 nach München einzuwerben in einer Reihe mit so bekannten Standorten wie Los Angeles 1986 und Kyoto 1994. Er organisierte zusammen mit A. Struppler einen in jeder Hinsicht fantastischen Kongress, der zudem finanziell erfolgreich war, auch zu Gunsten der DGM. Besonders hervorzuheben ist die von ihm erstmals angestoßene starke Einbeziehung von Betroffenen. Jeder, der an diesem mit mehr als 2000 Teilnehmern förmlich aus den Nähten platzenden Ereignis teilnehmen konnte, wird sich mit großer Freude daran erinnern.

Wenig bekannt ist, dass Reinhardt Rüdel die Neuromuskulären Zentren der DGM zusammen mit E. Kuhn aus Heidelberg nach englischem Vorbild initiiert hat, eine bis heute äußerst erfolgreiche Entwicklung, die später von D. Pongratz weitergetrieben wurde. Ferner hat er den Deutschen ALS-Verein in die DGM eingegliedert, heute eines ihrer wesentlichen Standbeine, und war ein wesentlicher Motor für die Einführung der assistierten Beatmung bei Polio- und SMA-Patienten in Deutschland. Während seiner Tätigkeit im Vorstand der DGM war es Reinhardt Rüdel ein ganz besonderes Anliegen, den Graben zwischen Wissenschaft und Patientenversorgung, insbesondere auch betreffend die Genetik, zu überbrücken und das synergistische Potenzial zu entwickeln. Sein besonderer Einsatz für die Belange der Patienten wurde sicherlich auch noch dadurch verstärkt, dass er in den Jahren nach 1980 selbst eine Behinderung entwickelte, die ihn zwar schließlich in den Rollstuhl zwang, seine Schaffenskraft und Begeisterungsfähigkeit jedoch keineswegs beeinträchtigte.

Reinhardt Rüdel war auch ein hervorragender Lehrer. Ich selbst durfte das während meiner Postdoc-Zeit am Physiologischen Institut der TU München erfahren, wo ich von ihm das Handwerkszeug des wissenschaftlichen Arbeitens erlernen konnte. Aus seiner Schule stammt F. Lehmann-Horn, der als habilitierter Neurologe Direktor des Institutes für Angewandte Physiologie der Universität Ulm wurde. Aus Rüdels Institut für Allgemeine Physiologie wurden der Lehrstuhl für Molekular-/und Zellphysiologie an der Medizinischen Hochschule Hannover mit B. Brenner und auf dem Umweg über Aachen der Lehrstuhl für Neurophysiologie mit C. Fahlke besetzt. Sein Doktorand B. Fakler übernahm später den Lehrstuhl für Herzphysiologie in Freiburg. Reinhardt Rüdel war auch ein gesuchter und angenehmer wissenschaftlicher Partner, wobei die überaus erfolgreiche und beispielhafte Zusammenarbeit eines Theoretikers und eines Klinikers, nämlich die Kooperation mit K. Ricker aus Würzburg, besonders hervorzuheben ist.

In der für ihn typischen Weise nimmt er auch heute noch intensiv an den Entwicklungen der Muskelforschung teil und ist weiterhin der DGM eng verbunden. Die Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke ist Reinhardt Rüdel für seine wissenschaftlichen Leistungen im Bereich der Muskelkrankheiten und für sein Engagement für die muskelkranken Patienten in hohem Maße dankbar und ist glücklich darüber, ihn weiterhin als Ehrenmitglied und als eine nicht versiegende Stimme voller Ideen und Anregungen zu haben. Trotz seiner körperlichen Behinderung schafft er in erstaunlicher Weise große Reisen und geht zusammen mit seiner Frau kulturellen Neigungen jenseits seiner akademischen Interessen nach. Wir hoffen sehr, dass wir weiterhin auf ihn als Ratgeber rechnen dürfen und wünschen ihm für die kommenden Jahre alles Gute.·

Reinhard Dengler, Hannover

*

* Nachdruck aus Muskelreport 2/2012.