physioscience 2012; 8(3): 128-129
DOI: 10.1055/s-0032-1313104
Veranstaltungsberichte
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7. Weltkongress Neurorehabilitation in Melbourne

B. Elsner
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Publication Date:
17 August 2012 (online)

In Australien ist alles anders: (1) Dort ist im Mai Herbst, (2) dort ist bereits Tag, wenn bei uns noch Nacht ist, und (3) viele australische Therapeuten forschen auf international höchstem Niveau.

Der Titel des 7. Weltkongresses Neurorehabilitation (World Congress for Neurorehabilitation, WCNR) 2012 lautete Innovations in Neurorehabilitation. Vom 16.–19. Mai trafen sich im Melbourne Convention und Exhibition Centre ([Abb. 1]) über 1.000 Delegierte aus Australien und 800 weitere aus aller Welt ([Abb. 2]). In mehr als 80 Vorträgen und auf über 400 Postern wurden Innovationen aus dem Bereich der Neuroreha vorgestellt.

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Abb. 1 Melbourne Convention and Exhibition Centre.
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Abb. 2 Kongressbesucher.

Die Eröffnungsveranstaltung am Mittwochabend war landestypisch von Didgeridoo- und Trommelklängen umrahmt. International führende Wissenschaftlicher auf dem Gebiet der Neurowissenschaften bzw. Neurorehabilitation wie Randolph Nudo oder Michael Selzer stellten aktuelle Ergebnisse der neurobiologischen Grundlagenforschung über neuronale Plastizität und neuronales Wachstum vor. Demnach unterscheidet sich das Wachstum der Nervenfasern nach einer Verletzung von dem beim Embryo.

Weiterhin fanden Symposien zur Neurorehabilitation in der Neurochirurgie und Neurotraumatologie sowie zu Lokomotionstraining nach Querschnittlähmung statt. Dorothy Kozlowski und DeAnna Atkins aus den USA präsentierten ihre Forschungsergebnisse zur Rehabilitation von Schädel-Hirn-Traumata am Tiermodell. Ihre Forschungsarbeit wurde vom US-Verteidigungsministerium finanziert und wird dringend für die Rehabilitation der zahlreichen US-amerikanischen Soldaten mit Explosionstraumata benötigt. Die Autorinnen kamen unter anderem zu dem Schluss, dass nicht jede Art der Neuroplastizität gut für das Ergebnis der Rehabilitation ist.

Auch zum Thema Schlaganfall gab es zahlreiche Beiträge, wie z. B. ein aktuelles Review für die renommierte Cochrane Collaboration zum Management von sturzgefährdeten Menschen nach Schlaganfall, das keine überlegenen Maßnahmen zur Sturzprävention ausmachen konnte. Außerdem wurden erste Ergebnisse zweier weiterer Cochrane Reviews zur Hirnstimulation mittels transkranieller Galvanisation (tDCS) nach Schlaganfall vorgestellt, und zwar zur Verbesserung sowohl der Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) und der Motorik sowie zur Verbesserung der Aphasie. Deren Ergebnissen zufolge kann tDCS die Funktion der oberen Extremität und das korrekte Benennen von Wörtern verbessern.

Zum Thema Kognition und psychologisches Management nach Schlaganfall, die auf Platz 1 bzw. 9 auf der Liste der Top-10-Prioritäten für die Forschung nach Schlaganfall stehen ([Tab. 1]; [1]), gab es ebenfalls eigene Vortragsreihen. Außerdem wurde der Einsatz der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) in der Neuroreha näher beleuchtet.

Tab. 1

Top-10-Forschungsprioritäten nach Schlaganfall [1].

1

Welche sind die besten Möglichkeiten, die Kognition nach Schlaganfall zu verbessern?

2

Wie kann man Menschen nach Schlaganfall bestmöglich helfen, mit den langfristigen Folgen des Schlaganfalls zurechtzukommen?

3

Wie kann man Menschen nach Schlaganfall am besten helfen, deren Aphasie zu verbessern?

4

Welche sind die besten Behandlungsstrategien für die Wiederherstellung der Armfunktion (eingeschlossen visuelles Feedback, virtuelle Realität, bilaterales Training, repetitives Aufgabentraining, Bewegungsvorstellung oder mentales Üben, Schienen, elektromechanisches und roboterassistiertes Armtraining sowie Botulinumtoxin)?

5

Wie behandelt man am besten visuelle Probleme nach Schlaganfall?

6

Wie kann man Erschöpfungszustände am besten vorbeugen bzw. behandeln?

7

Welche sind die besten Behandlungsstrategien zur Verbesserung der Balance, des Ganges und der Mobilität (eingeschlossen Physiotherapie, Gangrehabilitation, visuelles und auditorisches Feedback, elektrische Stimulation, verschiedene Arten von Fußorthesen sowie elektromechanisch assistiertes Gangtraining)

8

Wie kann man Menschen nach Schlaganfall und deren Angehörigen helfen, mit Sprachproblemen fertig zu werden?

9

Wie kann man die Selbstwirksamkeit nach Schlaganfall verbessern (eingeschlossen Selbsthilfegruppen, Beratungsangebote und Re-Skilling)?

10

Sind Übungs- und Fitnessprogramme nach Schlaganfall günstig für die Verbesserung der Funktion und der Lebensqualität sowie der Vermeidung von Re-Infarkten?

Insgesamt war es ein gut organisierter und gut gelungener Kongress, auf dem sich Therapeuten und Ärzte aus aller Welt trafen und ganz unkompliziert miteinander ins Gespräch kommen konnten. Bemerkenswert war das fachlich-wissenschaftliche Niveau der Forschungsarbeiten der internationalen Therapiewissenschaftler. Immerhin wurde aus insgesamt 423 eingereichten Postern auch 1 Poster von deutschen Physiotherapeuten unter die besten 12 Poster des Kongresses gewählt.

Für alle, die nicht dabei waren oder die Strapazen einer solch langen Reise scheuten: Kein Problem! Der nächste Weltkongress Neuroreha findet vom 27. April bis 01. Mai 2014 in Istanbul statt.

 
  • Literatur

  • 1 Mehrholz J, Elsner B. Top-10-Forschungsprioritäten nach Schlaganfall. Melbourne: tDCS Symposium, WCNR. 2012 . Adaptiert nach Pollock A, George B, Fenton M, Firkins L. Top ten research priorities relating to life after stroke. Lancet Neurol 2012; 11: 209