Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2012; 47(3): 133-134
DOI: 10.1055/s-0032-1307477
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Konfliktfall Organspende [ 1 ]

Hugo Van Aken
,
Gerhard Brodner
Further Information

Publication History

Publication Date:
22 March 2012 (online)

Nach einer repräsentativen Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem Jahr 2008 [2] wären zwar 67 % aller Befragten damit einverstanden, nach ihrem Tod Organe zu spenden, und fast alle Befragten (95 %) wissen, dass es einen Organspendeausweis gibt – aber nur 17 % verfügen tatsächlich über dieses Formular. Nur etwa die Hälfte der Befragten ist sehr gut oder gut über das Thema ”Organ- und Gewebespende“ informiert (49 %). Angesichts dieser Zahlen ist es ein Ziel der Bundesregierung, die Bevölkerung besser zu informieren und somit die Bereitschaft zur Organspende zu fördern.

Die Initiative, das Transplantationsgesetz zu ändern [3], hat ein breites Echo in den Medien gefunden, wobei sehr deutlich wird, dass die Entscheidung zur Organspende unter rechtlichen und ethischen Gesichtspunkten komplex ist:

  • Einerseits werden dankbare Organempfänger vorgestellt, denen mit der Transplantation ein neues Leben geschenkt wurde.

  • Andererseits kommen betroffene Angehörige zu Wort, die (entsprechend der zurzeit geltenden sog. erweiterten Zustimmungslösung) am Sterbebett eine Entscheidung treffen müssen, wenn keine Verfügung des Sterbenden vorliegt.

Durch die sog. Erklärungslösung, bei der jeder Bürger über die Organspende informiert wird und verpflichtet ist, sich zur persönlichen Organspende zu erklären, wird eine gesellschaftlich akzeptierte einheitliche Regelung angestrebt.

Unerwähnt bleibt in diesem Zusammenhang eine wichtige Problematik bei der intensivmedizinischen Behandlung potenzieller Organspender im Präfinalstadium [4]:

  • Dürfen diese Patienten im Hinblick auf eine Organprotektion anders behandelt werden als Patienten, die eine Organspende abgelehnt haben?

Grundsätzlich gilt auf der Intensivstation das Prinzip, dass alle Patienten nach ”Maßgabe ihres eigenen medizinischen Nutzens oder ihres erklärten Willens behandelt werden müssen“ [4]. Wenn diese Behandlung nicht zu einer Besserung führt, sondern in eine aussichtslose Prognose bezüglich einer Wiedererlangung des Bewusstseins mündet, besteht hierbei auch die Möglichkeit, intensivmedizinische Maßnahmen abzubrechen und den Patienten sterben zu lassen. Auf eine Hirntoddiagnostik wird in der Regel verzichtet – es sei denn, diese Diagnostik ist erforderlich, um abzuklären, ob eine Therapiefortführung erforderlich ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine entsprechende Patientenverfügung vorliegt.

Bei Patienten, die in eine Organspende eingewilligt haben, kann dieses patientenzentrierte Behandlungskonzept allerdings von einer spenderzentrierten Behandlung abgelöst werden:

  • Wenn der Verdacht auf einen drohenden oder eingetretenen Hirntod besteht, so müsste die intensivmedizinische Behandlung doch fortgeführt werden, um Organe für eine mögliche Transplantation zu erhalten.

Potenzielle Organspender ”müssen also auch verstehen, in was sie einwilligen und was sie unterbinden wollen“ [4]. Die Beschäftigung mit dem eigenen Tod ist daher eine wichtige Voraussetzung für die Erklärung zur persönlichen Organspende.

Information und Aufklärung über die spenderzentrierte Intensivtherapie sind unverzichtbar. Besonders deutlich wird der Stellenwert dessen bei den Hauptargumenten, die gegen einen Organspendeausweis vorgebracht werden [2]:

  • die Angst vor Missbrauch durch Organhandel (55 %)

  • der Wunsch, sich jetzt noch nicht entscheiden zu wollen (58 %)

  • die Befürchtung, dass von Ärzten nicht mehr alles zur Erhaltung des Lebens getan wird (35 %)

Die Autoren weisen daher eindrücklich daraufhin, dass ein Organspenderausweis und eine Patientenverfügung im Hinblick auf die Maßnahmen zur spenderzentrierten Intensivbehandlung (z. B. Herz-Druck-Massage) präzisiert und abgestimmt sein müssen.

Ein zentrales Problem hierbei ist es, dass Maßnahmen zur spenderzentrierten Lebensverlängerung in seltenen Fällen zur Ausbildung eines apallischen Syndroms führen können. Dabei kann der Patient erneut atmen und schlucken, ohne Aussicht je sein Bewusstsein zurückzuerlangen.

In dieser Situation, in der eine Organspende nicht mehr infrage kommt, wird die spenderzentrierte Therapie wieder von einem patientenorientierten Behandlungskonzept abgelöst. Die Frage, wie in einer solchen Situation unnötiges Leid vermieden und ein würdiges Sterben ermöglicht werden kann, beschäftigt viele Menschen [5].

  • Es gilt weiter, den Patientenwillen zu respektieren und intensivmedizinische Maßnahmen nach diesem mutmaßlichen Willen des Patienten auszurichten.

  • Dies beinhaltet auch die Entscheidung, einen Patienten jetzt sterben zu lassen, falls dies in einer differenzierten Patientenverfügung so vorgegeben ist.

Eine wichtige Hilfestellung für Ärzte und betreuende Personen bietet in diesem Zusammenhang die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 25.06.2010 (2 STR 454/10). Der Jurist Professor Ulsenheimer fasst die in diesem BGH-Urteil formulierten Leitkriterien zusammen [6]:

  • Direkte aktive Sterbehilfe ist strafbar.

  • Medizinisch indizierte palliative Maßnahmen zur Schmerzlinderung (die möglicherweise als unbeabsichtigte, aber in Kauf genommene Nebenfolge den Todeseintritt beschleunigen) sind straflos.

  • Sterbehilfe durch Behandlungsunterlassung, -begrenzung oder -abbruch ist möglich.

Die Entscheidung zur organerhaltenden Therapie steht nicht im Widerspruch zu einer späteren Entscheidung zum Sterbenlassen.

  • Für die Ärzte auf der Intensivstation sind sowohl der Organspendeausweis als auch die Patientenverfügung verbindlich.

Das heißt, wenn spenderzentrierte intensivmedizinische Maßnahmen in ein apallisches Syndrom münden, ist der Arzt verpflichtet, die Therapie abzubrechen, wenn dies in einer Patientenverfügung so vorgesehen ist.

Herzliche Grüße

Univ.-Prof. Dr. med. Dr. h. c. Hugo Van Aken

Prof. Dr. med. Dr. phil. Gerhard Brodner

Herausgeber

T. Hachenberg, Magdeburg

W. Koppert, Hannover

C. Krier, Stuttgart

G. Marx, Aachen

N. Roewer, Würzburg

J. Scholz, Kiel

C. Spies, Berlin

H. Van Aken, Münster

H. Wulf, Marburg

K. Zacharowski, Frankfurt/Main

Experten-Panel

B. Bein, Kiel

E. Biermann, Nürnberg

J. Biscoping, Karlsruhe

B. Böttiger, Köln

H. Bürkle, Freiburg

B. Dirks, Ulm

V. von Dossow, München

L. Eberhart, Marburg

U. Ebmeyer, Magdeburg

M. Fischer, Göppingen

G. Geldner, Ludwigsburg

W. Gogarten, München

J. Graf, Frankfurt/Main

S. Grond, Detmold

U. Kaisers, Leipzig

C. Kill, Marburg

U. Klein, Nordhausen

S. Kozek-Langenecker, Wien

P. Kranke, Würzburg

L. Lampl, Ulm

J. Martin, Göppingen

A. Meißner, Soest

J. Pfeff erkorn, Stuttgart

M. Schäfer, Berlin

T. Schnider, St. Gallen

T. Schürholz, Aachen

U. Schwemmer, Neumarkt

T. Standl, Solingen

F. Stüber, Bern

R. Sümpelmann, Hannover

M. Tramèr, Genf

K. Ulsenheimer, München

T. Volk, Homburg/Saar

A. Walther, Stuttgart

F. Wappler, Köln

E. Weis, Nürnberg

Organschaften

Deutsche Gesellschaft

für Anästhesiologie und Intensiv medizin

Österreichische Gesellschaft für

Anaesthesiologie, Reanimation und

Intensivmedizin

AINS indexiert in

Medline, Embase, Scopus

Science Citation Index Expanded

Beitrag online zu finden unter http://www.dx.doi.org/10.1055/s-0032-1307477

Ergänzendes Material