Gesundheitswesen 2011; 73(11): 761-766
DOI: 10.1055/s-0031-1291257
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

ÖGDG und PsychKG als Arbeitsgrundlage der Sozialpsychiatrischen Dienste in Deutschland

The Legal Basis for the Work of the Sociopsychiatric Services in Germany
M. Albers
1   Gesundheitsamt Kreis Mettmann, Sozialpsychiatrischer Dienst
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Publication History

Publication Date:
16 November 2011 (online)

Zusammenfassung

Ausgangslage:

Die Sozialpsychiatrischen Dienste (SpDi) in der Bundesrepublik Deutschland arbeiten auf der rechtlichen Grundlage von Landesgesetzen, den Gesetzen über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKGe) und den Gesetzen über den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGDGe). Ganz überwiegend sind die SpDi als organisatorischer Bestandteil des Gesundheitsamtes organisiert. Die Gesetzeslage in den 16 Bundesländern unterscheidet sich zum Teil deutlich. Die wenigen bisherigen Untersuchungen zu PsychKGen beziehen sich auf die landesgesetzlichen Vorschriften über die zwangsweise Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus, die vorliegende Arbeit ist die erste, die die PsychKGe als Arbeitsgrundlage der SpDi untersucht und auch die ÖGDGe berücksichtigt.

Methode:

Die einschlägigen Gesetze der 16 Bundesländer wurden zum Stand vom 28.2.2011 in einer internetbasierten Literaturrecherche gesammelt und dann systematisch ausgewertet und verglichen.

Ergebnisse:

15/16 Ländern haben ein ÖGDG, 12/16 ein PsychKG, 13/16 eine gesetzliche Regelung über den SpDi. Wo ÖGDGe sozialkompensatorische Gesundheitshilfen kennen, gibt es auch ein Gesetz über den SpDi. SpDi befinden sich in allen Bundesländern überwiegend in öffentlicher Trägerschaft, außer in 3 der Länder ohne PsychKG. Wo der SpDi gesetzlich geregelt ist, erfüllt er die 5 Kernaufgaben Beratung und Begleitung, Krisenintervention, Begutachtung, Koordination sowie Fachaufsicht.

Schlussfolgerung:

Die praktische Arbeit der SpDi wird stärker von den „Empfehlungen der Expertenkommission“ von 1988 bestimmt als vom jeweiligen Gesetzestext. Wo es aber kein entsprechendes Gesetz gibt, wurden diese Empfehlungen wesentlich geringer umgesetzt. Da PsychKGe und ÖGDGe keine Leistungsgesetze sind, werden Leistungsstandards, wie die in Schleswig-Holstein erarbeiteten, benötigt. Die Forderung der UN-Behindertenrechtskonvention nach verbesserten Assistenzleistungen kann ein Anreiz für die Weiterentwicklung der Landesgesetze und der auf ihnen basierenden Hilfen durch den SpDi sein.

Abstract

Introduction:

The legal basic principles of community mental health services or sociopsychiatric services (SpDi) in the Federal Republic of Germany are state, not federal laws, namely laws on help and protective measures for mentally disordered people (PsychKG) and laws on Public Health Services (ÖGDG) as SpDi are all integral parts of Community Public Health Authorities in most places. State laws of the 16 German states differ considerably. Earlier research on PsychKG focussed exclusively on involuntary hospitalisation, this work is the first to address PsychKG as related to the work of SpDi and to consider ÖGDG as well.

Methods:

Based on an internet-based literature review the expedient laws of the 16 German states were systematically reviewed and compared.

Results:

There is an ÖGDG in 15/16 states, a PsychKG in 12/16 and some laws concerning SpDi in 13/16. Where ÖGDG has health support to socially disadvantaged people, there is also a law on SpDi. SpDi are mainly part of the municipal or county health authorities except for 3 states without PsychKG. Where there is a legal basis, SpDi fulfills the 5 core tasks of counselling and support, crisis intervention, psychiatric expertise, coordination of mental health services and controlling of mental health institutions.

Conclusion:

In every day practice, the “Recommendations of the Board of Experts” of 1988 are more relevant than the actual state laws. However, where no such law has been passed, the impact of the “Recommendations” was much weaker. As PsychKG and ÖGDG do not warrant individual claims, but give only general indications of action, precise standards of practice are needed, as they were recently formulated in the state of Schleswig-Holstein. The UN Convention on the rights of disabled persons with its claim to more assistance may be facilitating the process of further development of state laws and to the work of the community mental health services based on them.

 
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