Notfallmedizin up2date 2011; 6(1): 1
DOI: 10.1055/s-0030-1270909
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Hauptsache heftige Herzmassage“

Wir können 100 000 Menschen pro Jahr in Europa retten[1] B. W. Böttiger
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Publication Date:
21 March 2011 (online)

Jedes Jahr sterben in Europa 350 000 Menschen nach einem Kreislaufstillstand, obwohl Wiederbelebungsmaßnahmen eingeleitet wurden. Das sind 1000 Menschen pro Tag. Was würde passieren, wenn in Europa – das ganze Jahr über – jeden Tag 2 Jumbojets abstürzen würden und es keine Überlebenden gäbe? Würden wir nicht alles – finanziell, forschungsmäßig und politisch – geben, um ein solches Problem sofort anzugehen und zu lösen? Warum ist dies beim Kreislaufstillstand anders?

Ein anderer Vergleich macht mich ebenfalls betrübt – und gleichzeitig sehr hoffnungsvoll: In den vergangenen 30 Jahren wurde – maßgeblich auch aufgrund zahlreicher Studienergebnisse – für den in einer Klinik eintreffenden Patienten mit Myokardinfarkt eine Abnahme der Letalität um den Faktor 10 erreicht. Unsere amerikanischen Kollegen haben analysiert, wie viele Studien für unterschiedliche Krankheitsbilder gefördert wurden [[1]]: Beim Myokardinfarkt wurden 439 Studien pro 10 000 Todesfälle gefördert, für den Kreislaufstillstand und die Reanimation waren es dagegen nur 8 (Tab. [1]). Um eine signifikante Verbesserung des Überlebens beim Kreislaufstillstand zu erzielen, müssen auch in diesem Bereich wesentlich mehr klinische Studien gefördert werden.

Tabelle 1 Anzahl geförderter Studien, Anzahl der Todesfälle pro Jahr und Anzahl der geförderten Studien pro 10 000 Todesfälle und Jahr in den USA für verschiedene Erkrankungen [1]. Suchbegriff Geförderte Studien Todesfälle pro Jahr Geförderte Studien pro 10 000 Todesfälle und Jahr Myocardial infarction 6886 157 000 439 Stroke 4403 150 000 294 Heart failure 9919 284 000 349 Heart arrest and resuscitation 257 310 000 8

Das, was an Studienergebnissen verfügbar ist, wird regelmäßig im Rahmen des International Liaison Committee on Resuscitation (ILCOR, www.ilcor.org) umfassend evaluiert und bewertet. Nach einem mehrjährigen Prozess, im Rahmen dessen fast 300 eigenständige wissenschaftliche Fragestellungen intensiv bearbeitet wurden, hat das European Resuscitation Council (ERC, www.erc.edu) am 18. Oktober 2010 die neuen Leitlinien zur kardiopulmonalen Reanimation veröffentlicht [[2]].

Die zentralen Aussagen der neuen Reanimationsleitlinien sind ganz klar:

noch fester und schneller drücken, möglichst ohne Pausen, also „Hauptsache heftige Herzmassage“, beatmen, auch durch Laien, immer wenn sie dies können und wollen, „Telefon-Reanimation“, also telefonische Anleitung von Laien zu Thoraxkompressionen durch die Leitstelle, frühe und ggf. automatische Defibrillation, Lyse während der Reanimation bei Lungenembolie, „Lipid Resuscitation“ bei Kreislaufstillstand nach Lokalanästhetikaintoxikation, nicht zu viel Sauerstoff nach Wiederherstellung des Kreislaufs, therapeutische Hypothermie für Erwachsene, Kinder und asphyktische Neugeborene, und bei Erwachsenen immer auch an die hier sehr häufige koronare Ursache des Kreislaufstillstands denken und diese ggf. im Herzkatheterlabor therapieren.

Die neuen ERC‐Leitlinien 2010 setzen ganz konsequent die Richtung fort, die 2005 – sehr erfolgreich im Hinblick auf das Überleben [[3]] – eingeschlagen wurde.

Ich bin ganz sicher: Bei konsequenter Anwendung der neuen ERC‐Leitlinien werden wir 100 000 Menschenleben pro Jahr in Europa mehr retten. Wir – die Profis – und die Laien müssen das Neue nur konsequent und umfassend umsetzen. Wir müssen die Botschaft weit verbreiten und verankern – auch die Botschaft, dass wir hier in Zukunft viel mehr in Forschung investieren müssen.

Prof. Dr. med. Bernd W. Böttiger, Köln

1 Dieses Editorial wurde in modifizierter Form auch in der Zeitschrift Intensivmedizin up2date veröffentlicht.

  • 1 Ornato J P, Becker L B, Weisfeldt M L, Wright B A. Cardiac arrest and resuscitation: an opportunity to align research prioritization and public health need.  Circulation. 2010;  122 1876-1879
  • 2 Nolan J P, Soar J, Zideman D A et al. European Resuscitation Council Guidelines for Resuscitation 2010 Section 1. Executive summary.  Resuscitation. 2010;  81 1219-1276
  • 3 Steinmetz J, Barnung S, Nielsen S L et al. Improved survival after an out-of-hospital cardiac arrest using new guidelines.  Acta Anaesthesiol Scand. 2008;  52 908-913

1 Dieses Editorial wurde in modifizierter Form auch in der Zeitschrift Intensivmedizin up2date veröffentlicht.

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