DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2011; 9(02): 7-8
DOI: 10.1055/s-0030-1270784
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Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG Stuttgart

Im Gespräch mit Mark Wilson

Christiane Hähn-Jakobs
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Publication Date:
07 April 2011 (online)

Mark Wilson ist seit 1989 als Osteopath (BSO) und seit 1997 als beratender Osteopath der Foundation for Paediatric Osteopathy tätig sowie für das Betreuungsprojekt der Säuglingsintensivstation des Barnet General Hospital in London zuständig. Zudem gründete er ein osteopathisches Projekt in der dortigen ambulanten Kinderstation. Seit Dezember 2007 leitet er ein ähnliches Programm im Londoner North Middlesex Hospital. Mark Wilson hat beim Osteopathiekongress 2010 des VOD in Hamburg einen berührenden Vortrag über seine Arbeit mit Frühgeborenen gehalten.

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Abb. 1 Mark Wilson berichtete beim VOD-Kongress über seine Erfahrungen bei der Behandlung von Frühgeborenen. Voraussetzung bei der Behandlung von Frühgeborenen und Babys, die unter schweren Komplikationen geboren wurden, ist eine besonders behutsame und respektvolle osteopathische Annäherung. Foto: © Bridget Wilson

Mark, es kommt selten vor, dass Osteopathen und Ärzte in einem Krankenhaus zusammenarbeiten, insbesondere auf einer Intensivstation. Wie kam es dazu?

Diese Zusammenarbeit hat sich spontan ergeben – unter der Voraussetzung der räumlichen Nähe zwischen dem Osteopathic Centre for Children (OCC) und dem Great Ormond Street Hospital for Children (GOSH): Das OCC war in seinen Anfangsjahren im Hintergebäude des GOSH untergebracht, genauer: in der Physiotherapie-Abteilung des Royal Homoeopathic Hospital. Diese räumliche Nähe brachte es mit sich, dass das OCC 1991, kurz nach seiner Gründung, Patientenbesuche im Kinderkrankenhaus GOSH organisierte. Nach unserem normalen Praxistag besuchten wir dort schwer kranke Kinder. Diese Besuche waren nicht das Ergebnis von Vereinbarungen zwischen irgendwelchen Krankenhäusern. Auslöser für unsere Besuche waren vielmehr spezifische an uns gerichtete Anfragen von Eltern, deren Kinder bereits im OCC behandelt wurden, oder von Personen, die uns weiterempfahlen. Das medizinische Personal reagierte oft sehr verhalten auf unsere Besuche, selten jedoch offen ablehnend.Kurz nachdem sich das OCC einen Namen gemacht hatte, behandelte eine Osteopathin in ihrer Londoner Praxis eine Hebamme, die auf der Intensivstation des GOSH tätig war und im Wartezimmer Informationen über die Osteopathie gelesen hatte. Die Hebamme hatte das Gefühl, dass Osteopathie für die Babys, denen sie auf die Welt verhalf, von großem Nutzen sein könnte, und sie wollte die Osteopathin für die Arbeit auf der Intensivstation gewinnen. Diese verwies die Hebamme jedoch an die Mitarbeiter des OCC – und somit war der erste Kontakt hergestellt. Ärzte und Krankenschwestern waren zunächst sehr skeptisch. Doch es dauerte nicht lange, bis sie feststellten, dass sich die osteopathisch behandelten Frühgeborenen viel ruhiger verhielten, und sie schienen zudem viel stabiler zu sein. Ich war bei einigen dieser ersten Krankenhausbesuche im OCC dabei, arbeitete jedoch ab 1997 immer häufiger auf der Frühgeborenenstation des Kinderkrankenhauses mit. Als die für die Krankenhausbesuche des OCC verantwortliche Osteopathin in Mutterschaftsurlaub ging, übernahm ich ihre Aufgabe.

Was war Deine Motivation, mit Frühgeborenen zu arbeiten?

Es fühlte sich gewissermaßen so an, als würde ich zu einer Osteopathie zurückkehren, wie sie in ihren Ursprüngen begann, indem sie gleichzeitig mit der Behandlung akuter Beschwerden eine Änderung herbeiführt, die die Entwicklung zu mehr Gesundheit ermöglicht. Einige Frühgeborene machten einen äußerst ungeschützten Eindruck, während andere selbst nach nur 23 Wochen Reifung kraftvoll und gesund wirkten. Du wusstest einfach, Du bist in der Lage etwas zu bewirken. Es war eine Ehre, daran beteiligt zu sein. Oft wurden von ärztlicher Seite notwendige lebensrettende Maßnahmen eingeleitet, die allerdings mit Nebenwirkungen einhergingen. Doch die Osteopathie konnte den Babys helfen, sich wieder neu zu organisieren und zu stabilisieren. Manchmal kommt es vor, dass lebensbedrohliche Ereignisse wie intrakranielle Blutungen auftreten. Wenn ich diesen Neuorganisationsprozess unterstützen kann, wird logischerweise der Schaden minimiert und die weitere Entwicklung und Heilung verstärkt.

Deine Arbeit bringt Dich mit den Grenzen von Leben und Tod in Berührung. Wie gehst Du damit um?

Solch verletzliche Menschen zu behandeln, lehrt Dich etwas über wirklichen Respekt und darüber, wie Du weitaus respektvoller sein kannst. Oftmals ist der Zustand der Frühgeborenen so kritisch, dass besorgte Mediziner davon abraten, dieses oder jenes Kind zu behandeln. Die Erfahrung zeigt, dass es trotzdem sinnvoll ist, eine Viertelstunde lang osteopathisch zu arbeiten, ohne dass Zeichen eines Sauerstoffmangels vorliegen oder bradykarde Phasen bestehen: Denn das Baby weiß, dass wir mit ihm und für es arbeiten. Dennoch ist die Frage umstritten: Wann behandle ich und wann nicht? Wenn Ärzte und Eltern die Entscheidung getroffen haben, Leben zu erhalten und ich eingeladen werde, daran teilzuhaben, sehe ich es als meine Aufgabe an, das Heilungspotenzial zu maximieren. Ich muss damit klarkommen, dass manchmal die Frühgeborenen sterben oder schwer geschädigt überleben. Ich versuche es so anzunehmen, wie es ist, und wer weiß – vielleicht tanzen sie mit den Engeln.

Worin besteht für Dich der größte Unterschied bei der Behandlung von Erwachsenen und Kindern?

Der größte Unterschied liegt für mich darin, dass die Beschwerden bei Erwachsenen v. a. auf den muskuloskelettalen Bereich und hier auf Schmerzen in der LWS und HWS begrenzt sind, während Kinder vielfältige Behandlungsanlässe bieten: z. B. vom Gesundheitscheck nach der Geburt über atopische Erkrankungen bis hin zu Haltungsproblemen, Entwicklungsbeschwerden, Verhaltensauffälligkeiten und Enuresis. Und oft sind wir Osteopathen die letzte Hoffnung der Eltern. Wir müssen Eltern und Patienten allerdings immer wieder darauf hinweisen, dass wir nicht die Symptome behandeln. Die Osteopathie bleibt nicht in der Symptombehandlung stehen. Stattdessen können wir sehr tief greifend die Krankheit und den Krankheitsverlauf beeinflussen und ebenso darauf Einfluss nehmen, dass sich bei jedem Menschen ein Mehr an Gesundheit manifestiert.Ein weiterer Unterschied zwischen Erwachsenen und Kindern liegt für mich in der Ehrlichkeit der Kinder. Kinder haben keine Hintergedanken und selten haben sie das Bedürfnis zu lügen. Du weißt, woran Du bei ihnen bist. Viele Osteopathen mögen diese Art von kindlicher Offenherzigkeit und Ehrlichkeit nicht. Erwachsene verhalten sich vergleichsweise angepasst während der osteopathischen Behandlung. Sie neigen dazu, stillzuliegen und gehen nicht auf die Toilette oder beginnen sich zu übergeben. Doch auch hier gibt es gelegentlich Ausnahmen.

Du unterrichtest am Sutherland Cranial College und bist verantwortlich für die Behandlung von Frühgeborenen. Was liegt Dir besonders am Herzen, wenn Du angehende Osteopathen ausbildest?

Für mich ist der Respekt vor dem anderen und vor dem Patienten der Schlüssel für eine osteopathische Behandlung. Beginne niemals mit der Behandlung, ohne dass Du dazu eingeladen wurdest. Und selbst dann, sei umsichtig und zurückhaltend! Es kann passieren, dass v. a. in der 1. Sitzung der Eindruck entsteht, dass ich zu wenig behandle. Doch ein Zuviel an Energie kann einerseits eine heilsame Änderung herbeiführen und andererseits eine Krise verursachen: Und eine Krise könnte bei einem Frühchen oder stark vorgeschädigten Kind oder Erwachsenen katastrophale Auswirkungen haben.

Du lebst mit Deiner Familie und Deinen Töchtern in Dorchester, im Süden Englands. Es scheint, als wäre Humor für Dich lebenswichtig. Was bringt Dich zum Lachen und was macht Dich glücklich?

Alles! Das Leben sollte Spaß und Freude machen. Wir werden in unseren kleinen Welten so sehr eingespannt. Jeder fühlt sich besser, wenn Du lachst.

In diesem Sinne: Hab weiterhin eine gute Zeit, Mark!