Aktuelle Neurologie 2010; 37(9): 437
DOI: 10.1055/s-0030-1265970
Editorial

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Leitlinien: wer bestellt bezahlt

Treatment Guidelines: Who Orders Pays the BillH.-C.  Diener1
  • 1Neurologischen Universitätsklinik, Universität Duisburg-Essen
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Publication Date:
21 December 2010 (online)

Prof. Dr. H.-C. Diener

Rationale Medizin begründet sich auf Evidenz aus prospektiven am besten randomisierten und placebokontrollierten Studien. Diese Philosophie hat Eingang in die Entwicklung von Leitlinien gefunden. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie ist hier sehr weit vorangekommen und ist eine der wenigen Fachgesellschaften, die für fast alle Krankheitsbilder Leitlinien entwickelt hat. In den nächsten Jahren wird es allerdings eine grundsätzliche Änderung bei der Entwicklung von Leitlinien geben. Paradigmatisch hierfür steht die Entwicklung der Leitlinie „Demenz”, die die DGN zusammen mit der DGPPN entwickelt hat. Diese neu entwickelten Leitlinien müssen festgelegten formalen Kriterien entsprechen und sind außerordentlich aufwendig. Voraussetzung für die Neuerstellung von Leitlinien sind umfangreiche Literaturrecherchen und die Extraktion von Daten aus klinischen Studien in Tabellen. Richtigerweise müssen auch alle Partner im entsprechenden Therapiegefüge eingebunden werden wie beispielsweise die umliegenden Fachgebiete, nicht ärztliche Assistenzberufe und Patientenvertreter. Bei einigen Leitlinien sind auch die Versorger, d. h. Ärztekammern und Krankenkassen gefragt. Naturgemäß führt dies zu hohen Kosten und diese wurden im Falle der Leitlinie Demenz von der DGN und der DGPPN gemeinschaftlich getragen. Im Endeffekt bedeutet das, dass die Mitglieder der beiden Fachgesellschaften die Entwicklung der Leitlinie bezahlt haben. Nutznießer der Leitlinienentwicklung ist allerdings das Gesundheitssystem als Ganzes inkl. des Instituts für Qualitätssicherung in der Medizin und die Krankenkassen. Auf Dauer kann es allerdings nicht so weitergehen, dass die Fachgesellschaften über ihre Mitgliedsbeiträge umfangreiche und gute Leitlinien finanzieren. Hier besteht die Forderung an die Politik, entsprechende Mittel für die Entwicklung von industrieunabhängigen wissenschaftlich hochwertigen Leitlinien zur Verfügung zu stellen. Nur so ist eine Entwicklung und Fortentwicklung mit Akutalisierung von Leitlinien für die wichtigen Krankheitsbilder im Bereich der Neurologie wie Schlaganfall, Migräne, Epilepsie, Parkinson und Multiple Sklerose möglich.

Prof. Dr. H.-C. Diener

Direktor der Neurologischen Klinik und Poliklinik, Universität Duisburg-Essen

Hufelandstr. 55

45147 Essen

Email: Hans.diener@uni-due.de

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