Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2010; 42(4): 180-181
DOI: 10.1055/s-0030-1257557
Das Interview
© Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

„Es geht dabei im Wesentlichen um die Förderung der Selbstheilungskräfte”

Naturheilverfahren und Mind-Body Medizin bei Krebs
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Publication Date:
11 January 2011 (online)

Unser Gesprächspartner: Prof. Dr. med. Gustav Dobos

Studium der Humanmedizin und Facharztausbildung in Innerer Medizin an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg; nach der Habilitation 1995 Tätigkeit als Oberarzt der Inneren Medizin, Nephrologie und spezielle internistische Intensivmedizin an der Universitätsklinik in Freiburg; 1997 bis 1999 Ernennung zum Chefarzt der naturheilkundlichen Modellklinik der DAK in Bad Elster; seit 1999 Direktor der Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin der Kliniken Essen-Mitte; 2004 Berufung auf die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftungsprofessur für Naturheilkunde an der Universität Duisburg-Essen.

DZO: Können Sie bitte unseren Lesern erklären, was genau die sog. Mind-Body Medizin (MBM) beinhaltet? Was ist neu daran? Beinhaltet dieses Konzept nicht im Wesentlichen klassische Naturheilverfahren?

Prof. Dobos:

Das Mind-Body-Konzept deckt sich inhaltlich in weiten Teilen mit der naturheilkundlichen Ordnungstherapie. Es geht dabei im Wesentlichen um die Aktivierung von selbstregulativen Prozessen im Organismus und damit um die Förderung seiner Selbstheilungskräfte. Auf der Verhaltensebene geschieht dies durch die Befähigung der Person, ihr Leben, wir sprechen auch vom Lebensstil, so zu gestalten, dass ihre Gesundheitsressourcen gestärkt und potenzielle Gesundheitsrisiken reduziert werden. Neben Ernährung, Bewegung und naturheilkundlichen Selbsthilfestrategien betrifft dies vor allem auch die Themen Stressbewältigung und Entspannung. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der wissenschaftlichen Evaluierung der Interventionen und dem Verständnis der Wirkprinzipien auf der Grundlage wissenschaftlicher Modelle. Deutlich wird das zum Beispiel beim Thema Stress. Hier wissen wir inzwischen um viele der endokrinen, immunologischen und psychologischen Zusammenhänge zwischen chronischer Belastung und Gesundheit.

In Ermangelung europäischer Studienergebnisse haben wir bei der Etablierung unserer Klinik auf amerikanische Erfahrungen und Erkenntnisse zurückgegriffen. Auf einer wissenschaftlichen Basis werden die MBM-Therapien auf der Metaebene überprüfbar und verstehbar. Mit der Mind-Body Medizin ist damit der Anschluss der naturheilkundlichen Ordnungstherapie an die wissenschaftlich überprüfte Medizin möglich. Und durch Standardisierung und Manualisierung von Therapien, soweit das möglich ist, wird deren Anwendung zudem auch reproduzierbar und lehrbar.

Wichtig für die Mind-Body Medizin, wie wir sie versuchen zu praktizieren, ist außerdem die Ein- und Ausübung einer Haltung, die Achtsamkeit genannt wird. Dies betrifft sowohl die Unterstützung von Patienten, achtsamer mit sich und anderen umzugehen, als auch die Haltung des Arztes oder Therapeuten dem Patienten gegenüber. Dabei geht es im Kern darum, das Gegenüber und auch sich selbst im gegenwärtigen Moment möglichst unabhängig von vorgefassten Meinungen und Vorurteilen wahrzunehmen. Das ist leichter gesagt als getan. Wenn es gelingt, können wir dadurch uns selbst und unserem Gegenüber weitaus gerechter werden.

DZO: Welchen Stellenwert hat Ihrer Meinung nach die Mind-Body Medizin bei der Behandlung von Krebserkrankungen?

Prof. Dobos:

Ein großer und zunehmender Teil der an Krebs Erkrankten möchte in den Prozess der Behandlung einbezogen werden. Die Menschen wollen wissen, was sie tun können oder lassen sollten, um ihren Zustand positiv zu beeinflussen. Und sie möchten verstehen, was dabei im Einzelnen vor sich geht. Sie möchten ihre Fragen, Ängste, Zweifel und Hoffnungen mitteilen können und Gehör finden. Eine rein behandelnde Medizin, die die fühlende, denkende und handelnde Persönlichkeit der Patienten ausblendet, wird von vielen Menschen als nicht angemessen erlebt. Die Mind-Body Medizin mit ihrem patientenorientierten und patientenaktivierenden Ansatz geht auf diese Bedürfnisse ein, erschließt die individuellen Gesundheitsressourcen und lässt sich mit vorhandenen onkologischen Behandlungskonzepten kombinieren. Wir sprechen in diesem Zusammenhang auch von integrativer Onkologie.

DZO: Welche Rolle spielen Sport und Ernährung in diesem Behandlungskonzept?

Prof. Dobos:

Die gesundheitsfördernde Wirkung von Bewegung für Krebspatienten ist unumstritten. Wir bringen daher unseren Patienten mehrere Bewegungsformen nahe mit der Absicht, dass sie für sich eine Form finden, die sie dauerhaft selbstständig ausüben, weil sie Freude daran haben und positive Effekte spüren. Dazu gehören sowohl sportliche Angebote wie Walking, Nordic Walking, Fahrradfahren und Laufen, aber auch meditativere Formen wie Yoga und Qigong. Wir vermitteln auch eine Form der achtsamen Bewegung, bei der systematisch alle Gelenke in einer bewussten, spielerisch-tänzerischen Qualität bewegt werden.

Die Wirkungen einer vegetarischen Vollwerternährung erleben unsere Patienten täglich, da sich unsere Küche ganz auf diese Ernährungsform eingestellt hat. In Informationsveranstaltungen zum Thema Ernährung bei Krebserkrankung, durch praktische Lehrküchen, individuelle Ernährungsberatung und die Bereitstellung von Rezeptsammlungen erhalten die Patienten theoretische und praktische Anleitungen, wie sie durch gesunde Ernährung ihre Ressourcen stärken können.

DZO: Welche ordnungstherapeutischen und naturheilkundlichen Maßnahmen wenden Sie in Ihrer Klinik konkret an?

Prof. Dobos:

Neben den genannten Bereichen Bewegung und Ernährung schulen wir unsere Patienten in naturheilkundlichen Selbstanwendungen wie Wickel, Auflagen, Wasser- und Wärmeanwendungen, Akupressur und Tees. Dazu kommt die ausführliche Beschäftigung mit dem Thema Stressbewältigung, wobei sowohl kognitive Verfahren als auch achtsamkeitsbasierte Ansätze zum Tragen kommen. Außerdem werden Entspannungsmethoden vermittelt wie Progressive Muskelentspannung, atemzentrierte Meditation, der Body Scan und imaginative Verfahren wie die Visualisierung eines Orts der Ruhe und Kraft. Diese Interventionen finden im Rahmen eines 11-wöchigen tagesklinischen Gruppenprogramms statt. Dieser integrative Ansatz ermöglicht eine optimale Begleitung bei der Veränderung einzelner Lebensstilaspekte unter Beachtung ihrer gegenseitigen Wechselwirkungen.

DZO: Wie können Patienten motiviert werden, diese Maßnahmen erfolgreich im häuslichen Umfeld fortzuführen?

Prof. Dobos:

Die Studienergebnisse zeigen, dass vor allem bei chronischen Krankheiten gezielte und auf die Person zugeschnittene Anregungen zur Lebensstilveränderung angezeigt sind. Damit die Lebensstilveränderung bestmöglich motivierend unterstützt wird, hat es sich als sinnvoll erwiesen, entsprechend der von Prochaska und DiClemente identifizierten Motivationsphasen zu intervenieren. Es macht z. B. keinen Sinn, einer Patientin, die sich in Bezug auf das Thema Bewegung in der Phase der Absichtslosigkeit befindet, ein konkretes Trainingsprogramm anzubieten. Dies entspräche offensichtlich nicht ihren Bedürfnissen. Hier wäre es sinnvoll herauszufinden, ob sie offen für Informationen zu diesem Thema ist und in welchem Lebensstilbereich sie eher zu Veränderungen bereit ist bzw. wo sie schon selbst Erwägungen anstellt. Auch das bedeutet Achtsamkeit: wissen und gemeinsam mit den Patienten herausfinden, wem wann welches Angebot wirklich weiter hilft.

DZO: Welche Herausforderungen sehen Sie für die Zukunft, um die Behandlung von Krebserkrankungen zu optimieren?

Prof. Dobos:

Nachdem die Wirksamkeit von ordnungstherapeutischen und Mind-Body-medizinischen Interventionen im Kontext einer integrativen Onkologie zweifelsfrei nachgewiesen ist, gilt es jetzt, diese Form der integrativen Versorgung allen betroffenen Patienten zur Verfügung zu stellen. Dazu ist es notwendig, den onkologisch arbeitenden Medizinern, Therapeuten und Pflegekräften die entsprechenden Kenntnisse und Fähigkeiten vertieft zu vermitteln. Informationen zu unseren Weiterbildungsangeboten sind zu finden unter www.uni-due.de/naturheilkunde/de/. Zugleich wird es darum gehen, regionale Behandlungsnetzwerke zwischen Onkologen, Naturheilkundlern und Mind-Body-Therapeuten zu stärken bzw. neu zu knüpfen. Internationale Kooperationen können dabei unterstützen und inspirieren. So arbeiten wir mit den integrativen Onkologen am Memorial Sloan-Kettering Cancer Center in New York City zusammen.

DZO: Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Was tun Sie für sich, um gesund zu bleiben?

Prof. Dobos:

Die Beschäftigung mit einer Lebensstilmedizin führt unweigerlich dazu, dass man sich mit dem Gesundheits- und Krankheitsverhalten beschäftigt. Sicherlich ist es so, dass unsere Mitarbeiter in der Klinik, die für sich selbst Mind-Body-medizinische Methoden praktizieren, z. B. Yoga, Entspannungstechniken oder Meditation im Umgang mit dem Patienten leichter verordnen und besser mit dem Patienten die Motivation, die Inhalte und die auftretenden Erfahrungen und Fragen besprechen können. Ich selbst ernähre mich weitestgehend vegetarisch und praktiziere regelmäßig Yoga.

DZO: Herr Prof. Dobos, vielen Dank für das Gespräch.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Gustav Dobos

Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftungsprofessur für Naturheilkunde an der Universität Duisburg-Essen

Direktor der Klinik Innere Medizin V, Naturheilkunde und Integrative Medizin

Kliniken Essen-Mitte

Knappschafts-Krankenhaus

Am Deimelsberg 34 a

45276 Essen

Email: gustav.dobos@uni-duisburg-essen.de

URL: http://www.uni-duisburg-essen.de/naturheilkunde

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