Gesundheitswesen 2011; 73(7): e111-e118
DOI: 10.1055/s-0030-1254174
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Auslandszahnersatz und Dentaltourismus – Zahlungsbereitschaft und Einflussfaktoren auf die Nachfrage nach ausländischem Zahnersatz in Deutschland

Foreign Dentures and Dental Tourism – Willingness-to-Pay and Factors Influencing the Demand for Foreign Dental Prosthesis in GermanyJ. Köberlein1 , D. Klingenberger2
  • 1Institut für Empirische Gesundheitsökonomie, Burscheid
  • 2Institut der Deutschen Zahnärzte, Köln
Further Information

Publication History

Publication Date:
22 June 2010 (online)

Zusammenfassung

Im Rahmen der Realisierung des europäischen Binnenmarktes sind die grenzüberschreitenden Gesundheitsdienstleistungen in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt. Zahnersatz wird mehr und mehr aus dem Ausland nach Deutschland importiert. Zudem werden die Patienten selbst mobiler und lassen sich im Ausland mit Zahnersatz versorgen. Ziel der vorliegenden Evaluation war es, die individuellen Präferenzen der Nachfrager nach Auslandszahnersatz sowie das jeweils angestrebte Kosteneinsparungspotenzial mithilfe eines fachspezifischen Fragebogens zu ermitteln. Hierfür wurden 1 368 Personen im Alter von 30–75 Jahren im Rahmen einer repräsentativen Mehrthemenumfrage befragt. Die Ermittlung der individuellen Zahlungsbereitschaften baut auf4 Versorgungsszenarien auf, die von den Befragten im Rahmen von Bidding Games bewertet wurden. Zur Beurteilung standen ein „Kronenszenario” sowie ein „Implantatszenario”. In beiden Szenarien wurde zudem zwischen den Versorgungsoptionen „Auslandszahnersatz” und „Dentaltourismus” unterschieden. Im direkten Vergleich wurde die Option „Auslandszahnersatz” gegenüber der Alternative „Dentaltourismus” bevorzugt. Im Kronenszenario lag die durchschnittliche Zahlungsbereitschaft für die Dentaltourismus-Variante im Vergleich zu Auslandszahnersatz um 80 Euro, im Implantatszenario um etwa 280 Euro niedriger. Die Wechselbereitschaft zu einem günstigeren Zahnarzt zeigte sich als eine wichtige Einflussgröße auf die Varianz der Zahlungsbereitschaft. Zudem wurden Qualitätsaspekte von den Befragten wesentlich häufiger (92,4%) als Entscheidungskriterium für oder gegen den Auslandszahnersatz genannt als die Preisgünstigkeit des Zahnersatzes (31,1%). Alles in allem verdeutlicht die Analyse, dass die Entscheidung für oder gegen ausländischen Zahnersatz sowie die Höhe der Zahlungsbereitschaft von multiplen Faktoren geprägt wird, von denen der „Preis” letztlich nur ein Kriterium darstellt.

Abstract

With the progressive realisation of the single European market, public interest has been directed towards cross-border healthcare services to an increasing extent. More and more dentures are being imported into Germany from foreign countries. Furthermore, patients are becoming ever more mobile, travelling to other countries to receive prosthetic treatment from dentists. The objective of this evaluation was to determine by means of a dedicated questionnaire the patients’ individual preferences for foreign dentures and the potential savings. 1 368 individuals between the ages of 30 and 75 years were interviewed within a representative omnibus survey. The evaluation of the individual willingness-to-pay included 4 treatment scenarios, which were assessed by the participants in a “bidding game”. Participants could choose between a “crown scenario” and an “implant scenario”, both with the subcategories “foreign dentures” and “dental tourism”. The direct comparison revealed a preference for the “foreign dentures” option over “dental tourism”. Average willingness-to-pay for the dental tourism option in the crown scenario was calculated as 80 Euro, and in the implant scenario as 280 Euro less in comparison with the willingness-to-pay for the foreign dentures option. The willingness to switch to a less expensive dentist was one of the main determinants in the causal explanation for the variance in willingness-to-pay. Quality proved to be the decisive criterion and was indicated by 92.4% participants. A lower price for dentures played a subordinate role and was only stated as the decisive factor by 31.1% participants. In conclusion, the results clearly indicate that the decision for or against foreign dentures and the extent of willingness-to-pay depends on a range of criteria, of which “price” is only one and not the decisive factor.

Literatur

  • 1 European Healthcare Panel (EHP) .Unveröffentlichte Daten. München Sommer; 2007
  • 2 Barmenia Krankenversicherung, FAZ-InstitutKundenkompass Zahngesundheit. Wuppertal: Juli; 2008
  • 3 Berg W. Gesundheitstourismus und Wellnesstourismus. München: Oldenbourg-Verlag; 2008
  • 4 Blumenstein KMJ. Relationship between quality of life instruments, health state utilities and willingness-to-pay in patients with asthma.  Ann Allergy Asthma Immunol. 1998;  80 189-194
  • 5 Rychlik R. Gesundheitsökonomie. Grundlagen und Praxis. Stuttgart: Thieme-Verlag; 1999
  • 6 Drummond MF, Sculpher MJ, Torrance GW. et al .Methods for the economic evaluation of health care programmes. New York: Oxford University Press; 2005
  • 7 Breyer F, Zweifel P, Kifmann M. Gesundheitsökonomik. Berlin: Springer-Verlag; 2005
  • 8 Schöffski O. Nutzentheoretische Lebensqualitätsmessung. In:, Schöffski O, Graf VD, Schulenburg J-M eds Gesundheitsökonomische Evaluation. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag; 2008: 335-385
  • 9 Klingenberger D, Kiencke P, Köberlein J. et al .Dentaltourismus und Auslandszahnersatz. Empirische Zahlungsbereitschaftsanalysen auf der Grundlage repräsentativer Stichproben im Jahre 2008. Köln: Deutscher Zahnärzte Verlag DÄV; 2009
  • 10 Völckner F. Methoden zur Messung individueller Zahlungsbereitschaften: Ein Überblick zum State of the Art.  JfB. 2006;  56 (1) 33-60
  • 11 Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) . Schwere Kost für leichteres Arbeiten: Hinweise und Berechnungsbeispiele zur Einführung von Festzuschüssen für Zahnersatz ab 2005. 2. Auflage. Köln: Juli; 2006
  • 12 Bundeszahnärztekammer und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung .Hrsg Das Dentalvademekum 2009/2010. Köln: Deutscher Zahnärzte Verlag; 2009
  • 13 Klingenberger D, Micheelis W. Befundbezogene Festzuschüsse als innovatives Steuerungsinstrument in der Zahnmedizin – Systemtheoretische Einordnung und empirische Befunde. Köln Eigelvenlegi; 2005
  • 14 Micheelis W. Zur Dynamik des sozialen Gradienten in der Mundgesundheit, Befunde aus 1997 und 2005.  PrävGesundheitsf. 2009;  4 113-117
  • 15 Bayoumi AM. The measurement of contingent valuation for health economics.  Pharmacoeconomics. 2004;  22 (11) 691-700
  • 16 Oscarson N, Lindholm L, Källestal C. The value of caries preventive care among 19-year-olds using the contingent valuation method within a cost-benefit approach.  Community Dent Oral Epidemiol. 2007;  35 (2) 109-117
  • 17 Smith RD. Sensitivity to scale in contingent valuation: the importance of the budget constraint.  J Health Econ. 2005;  24 (3) 515-529
  • 18 Stalhammar NO. An empirical note on willingness-to-pay and starting-point bias.  Med Decis Making. 1996;  16 (3) 242-247

1 Das Szenario der Kronenversorgung bildet eine häufig vorkommende Versorgungssituation ab, die im Rahmen der Regelversorgung gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen abrechnungsfähig ist und einen Festzuschuss nach Befund 1.1 auslöst. Die Kosten einer etwaigen Verblendung der Kronen sind in dem gewählten Beispiel nicht enthalten, da eine Verblendung im Seitenzahnbereich über die Regelversorgung hinausgeht. Abgebildet werden sollte das Entscheidungsverhalten der Befragten in der Situation einer reinen Regelversorgung. Ein Kosteneinsparpotenzial besteht sowohl beim zahnärztlichen Honorar als auch bei den Material- und Laborkosten.

2 Für das Szenario der Implantatversorgung wurde der Fall einer zahnbegrenzten Einzelzahnlücke gewählt, der nach Nummer 36a der Festzuschuss-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses erstattungsfähig ist, sofern keine parodontale Behandlungsbedürftigkeit besteht und die Nachbarzähne kariesfrei und nicht überkronungsbedürftig bzw. überkront sind. Das Szenario beschreibt somit den Fall einer Versorgung eines Implantates mit einer sog. Suprakonstruktion (Befunde 2.1 und 2.7). Ein Kosteneinsparpotenzial besteht hier in erster Linie beim zahnärztlichen Honorar sowie bei den Material- und Laborkosten des Aufbaues, d. h. der künstlichen Verblendkrone. Zwischen den einzelnen Implantatsystemen selbst bestehen aktuell zwar deutliche Preisunterschiede, vorliegende Informationen von ausländischen Zahnkliniken deuten jedoch darauf hin, dass hier regelmäßig Implantate derjenigen Anbieter eingesetzt werden, die auch in Deutschland Verwendung finden [12]. Bei den Kosten des Implantates selbst ist daher kaum ein Einsparpotenzial zu realisieren. Die Kosten der künstlichen Zahnwurzel, d. h. des Implantates selbst, wurden bei der Berechnung des Szenarios daher nicht berücksichtigt.

3 Da der befundbezogene Festzuschuss von der Krankenkasse unabhängig von den Kosten der gewählten Versorgung sowie des Leistungs- bzw. Herstellungsortes gewährt wird, kommt jede Einsparung oberhalb des Festzuschusses zu 100% dem Patienten zugute, entsprechend hoch ist sein Preisinteresse [13].

Korrespondenzadresse

Dr. D. Klingenberger

Institut der Deutschen

Zahnärzte (IDZ)

Universitätsstraße 73

50931 Köln

Email: d.klingenberger@idz-koeln.de

    >