Der Nuklearmediziner 2010; 33(2): 63-65
DOI: 10.1055/s-0030-1253353
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Myokardszintigrafie 2010

Myocardial Perfusion Scintigraphy 2010W. Burchert1
  • 1Institut für Radiologie, Nuklearmedizin und Molekulare Bildgeburg Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum
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Publication Date:
31 May 2010 (online)

Die koronare Herzkrankheit (KHK) ist mit ihren akuten Manifestationen die häufigste Todesursache in Deutschland [19]. Trotz der medizinischen Erfolge der vergangen Jahrzehnte in der Vorbeugung und Behandlung der KHK stellt sie weiterhin in Europa ein erhebliches gesundheitliches Problem dar [20].

Der Beitrag der nuklearmedizinischen Verfahren zum erfolgreichen Management dieser Krankheitsentität blickt bereits auf eine lange Historie zurück. Ausgehend von der planaren Tl-201-Myokardszintigrafie und der Herzbinnenraumszintigrafie in den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts fand eine kontinuierliche methodische Fortentwicklung im Bereich der Gammakameratechnik, der Datenanalyse, der Radiopharmakologie, der Belastungsverfahren und der Untersuchungsprotokolle statt. Im Mittelpunkt des Interesses stand dabei für die klinische Anwendung die Messung der Myokardperfusion, des Myokardstoffwechsels und der funktionelle Aspekte des Herzens [10].

Die Hauptzielrichtung der Entwicklung war immer eine verbesserte Genauigkeit der Erfassung und Abschätzung des Stenosegrades des jeweiligen Koronargefäßes. Referenzstandard war die Koronarangiografie. Die klinische Anwendung fokussierte sich im Wesentlichen auf zwei Fragen: Liegt erstens überhaupt eine stenosierende KHK vor? – und zweitens, ist eine angiografisch nachgewiesene Stenose funktionell relevant und – wenn mehrere vorliegen – welche? Getrieben durch eine Fülle von Fortschritten wie Tc-markierten Perfusionstracern, neuen pharmakologischen Belastungsverfahren, simultaner Erfassung der Herzfunktion durch Gated-SPECT, die Anwendung der Schwächungskorrektur und Verbesserungen der Kameratechnik erfuhr die Myokardperfusionsszintigrafie eine massive Zunahme in der klinischen Anwendung und stellt heute neben der Echokardiografie das mit Abstand am häufigsten verwendete nicht-invasive bildgebende Verfahren in der KHK-Diagnostik dar [11].

Mit der Publikation von Hachamovitch 1998 [7] wurde ein neues Paradigma für die Interpretation der Myokardszintigrafie neben der nicht-invasiven Bewertung der Koronarstenosen eingeführt: Die Risikostratifizierung. Es wurde Mitte der 90er-Jahre immer deutlicher, dass die plötzliche Okklusion der Koronargefäße und damit die konsekutiven Myokardinfarkte nur zu einem geringeren Anteil aus Gefäßabschnitten mit hochgradigen Stenosierungen der Koronarien herrührten und dass damit der Stenosegrad eines Gefäßes als alleiniger Faktor nicht Prognose bestimmend ist [4].

Das erkrankte Koronargefäß mit seinem vulnerablen Plaque, welcher oft nur eine geringe Obstruktion in den Koronarien hervorruft, wurde zum zentralen Risikoprädiktor [13]. Hachamovitch fand in seiner grundlegenden Arbeit, dass die Rate der Myokardinfarkte und die des Herztodes determiniert wird durch die Ausdehnung und den Ausprägungsgrad der myokardialen Perfusionsstörung, welche ein Spiegelbild der Gefäßpathologie des Koronargefäßes ist [7].

Eine große Metaanalyse bei über 60 000 Patienten konnte nachweisen, dass das Risiko eines myokardialen Ereignisses (Herzinfarkt, Herztod) bei unauffälliger Myokardszintigrafie in den folgenden 2 Jahren sehr klein ist [18]. Es ist besonders bemerkenswert, dass diese Aussage bei unterschiedlichen Ausprägungsgraden der KHK – vom Verdacht auf eine KHK mit mittlerer Vor-Testwahrscheinlichkeit bis hin zu manifesten Mehrgefäßerkrankungen – gilt.

In den letzten Jahren wuchs die Bedeutung der Myokardszintigrafie insbesondere aufgrund ihrer Fähigkeit, Patientengruppen für unterschiedliche Therapiestrategien differenzieren zu können. Es konnte gezeigt werden, dass Patienten mit chronischer KHK mit geringen Myokardischämien (< 10–15% des Myokards) unter einer medikamentösen Therapie eine bessere Prognose haben, verglichen mit denen, die revaskularisiert wurden. Umgekehrt ist für Patienten eine Revaskularisation essenziell, wenn ausgedehnte Perfusionsstörungen (>20% des Myokards) vorliegen [8].

Die große Effektivität einer modernen medikamentösen Therapie der chronischen KHK konnte in der COURAGE-Trial demonstriert werden. Hier zeigte sich bei Patienten mit chronischer KHK kein additiver Vorteil einer Revaskularisation gegenüber der medikamentösen Therapie bei vorliegendem Ischämienachweis hinsichtlich der Prognose der Patienten [3]. Eine Subgruppenanalyse dieser Studie, die aufgrund methodischer Limitationen vorläufig nur als Hypothesen-generierend bewertet werden darf, fand aber auch in diesem Kollektiv bestätigt, dass eine Subpopulation des Patientenkollektivs mit großen Perfusionsstörungen von einer Revaskularisation profitierten [17]. In jüngster Zeit konnte demonstriert werden, dass nicht nur die Prädiktion des richtigen Therapieansatzes, sondern vor allem auch die Effektivität der Therapie und die erreichte Risikoreduktion ein bedeutsames Einsatzgebiet der Myokardszintigrafie wird [1]. Aufgrund dieser besonderen Bedeutung ist dem Thema Risikostratifizierung auch vor dem Hintergrund der Bedeutung für die Therapieauswahl der CME-Teil in diesem Heft gewidmet.

In jüngerer Zeit hat sich nicht nur die Myokardszintigrafie fortentwickelt, sondern insbesondere auch die CT-Angiografie der Koronarien. Erste klinische Anwendungen sind hinsichtlich der Fragestellung des Ausschlusses einer KHK zu erwarten. Die Einbettung in eine diagnostische Strategie und die wirtschaftliche Effektivität befindet sich gerade in der wissenschaftlichen Evaluation [2] [12]. Durch die derzeit noch fehlende angemessene Kostenerstattung durch die gesetzliche Krankenversorgung fehlen Daten aus der breiten klinischen Anwendung.

Durch die Entwicklung von Hybridgeräten SPECT/CT und PET/CT mit jeweils für die Koronardiagnostik geeigneten CT-Anteilen findet eine weitere substanzielle Fortentwicklung der Bildgebung statt. Die Zusammenschau der myokardialen Perfusion mit der nicht-invasiven morphologischen Darstellung der Koronarien durch die CT erleichtert die Identifikation von Patienten, die von einer Revaskularisation besonders profitieren [9] [6].

Als weiteres Verfahren in der nicht-invasiven Diagnostik der KHK ist die MRT hinzugekommen. Diese liefert durch weitere technische Entwicklungen hervorragende Ergebnisse in der Beurteilung der Morphologie und der Funktionsdiagnostik sowie einen empfindlichen Nachweis von nur kleinen Myokardvernarbungen [15]. Die Ergebnisse hinsichtlich des indirekten Nachweises einer Koronarstenose durch eine Perfusionsuntersuchung oder eine Dobutamin-Belastungs-MRT sind ähnlich gut wie in der SPECT [14]. Die Komplexität der Untersuchung und der Nachauswertung sind noch hoch, was – ebenso wie die fehlende Kostenerstattung durch die gesetzlichen Krankenversorgung – den breiten klinischen Einsatz bisher begrenzt.

Im Vergleich der unterschiedlichen Verfahren zeichnet sich die Myokardszintigrafie in der klinischen Anwendung besonders durch kommerziell erhältliche, weitgehend automatisierte Auswertungsverfahren und eine hervorragende klinische Evidenzlage aus. Methodisch ist sie insbesondere auch dadurch sehr robust, dass die Belastung vom eigentlichen Teil der Bildgebung abgekoppelt ist. Sie ist in Deutschland flächendeckend verfügbar und wird von der gesetzlichen Krankenversicherung erstattet.

Im Vergleich mit der MRT wird häufig als Nachteil die erforderliche Strahlenexposition angeführt. Die Strahlenexposition in der nicht-invasiven Bildgebung war in den letzten Jahren auch in den USA verstärkt ein Thema der Diskussion [5]. In dieser Diskussion ist aber zu beachten, dass in Deutschland anders als in den USA schon länger diagnostische Referenzwerte gelten, um die Strahlenexposition auf ein sinnvolles Maß zu begrenzen. Durch Verbesserung in der Gerätetechnik und den Rekonstruktionsalgorithmen kann die Myokardszintigrafie heute mit moderner Gammakameratechnik auch schon im Bereich von 2 mSv durchgeführt werden. Neueste technische Entwicklungen lassen in diesem Bereich auch noch weitere Fortschritte erwarten.

Die Motivation, ein Themenheft mit dem Schwerpunkt Myokardszintigrafie herauszugeben, liefert eine aktuelle Erhebung aus Deutschland. Gated-SPECT wird nur bei 47% der Ruhe- und 42% der Stressuntersuchungen eingesetzt. Noch ungünstiger ist die Situation im Bereich der Prognosebeurteilung und der Risikostratifizierung: 62% der Befragten geben an, überhaupt keine Perfusionscores zu erstellen [11]. Diese beiden Tatsachen zeigen, dass in der alltäglichen Praxis der Myokardszintigrafie noch erhebliche Verbesserungspotenziale vorhanden sind. Diese zu heben, würde das Verfahren in dem zunehmend kompetetiven Umfeld der nicht-invasiven KHK-Diagnostik erheblich stärken. Ich hoffe, dass dieses Heft hilft, gute klinische Standards in der Anwendung der Myokardszintigrafie zum Wohle der Patienten weiter zu etablieren.

References

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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Wolfgang Burchert

Institut für Radiologie,

Nuklearmedizin und Molekulare Bildgebung

Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen

Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum

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Phone: +49/5731 97-1308

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