Laryngorhinootologie 2010; 89(7): 430-431
DOI: 10.1055/s-0030-1249023
Der interessante Fall

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Diagnostik eines unklaren Tumors des Foramen jugulare

Diagnostic of an Unclear Jugular Foramen MassM. Stenner, E. Spüntrup, D. Beutner
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Publication Date:
23 March 2010 (online)

Eine 57-jährige Patientin stellte sich mit einem seit 3 Monaten bestehenden intermittierenden Druckgefühl des rechten Ohres mit begleitender Hörminderung und Tinnitus in unserer Klink vor. In der Otoskopie präsentierte sich ein im hinteren unteren Quadranten teilweise vorgewölbtes rechtes Trommelfell von weiß-bläulicher Farbe ([Abb. 1]). Es zeigte sich zum Untersuchungszeitpunkt weder ein begleitender Paukenerguss noch eine Pulsation des Trommelfells.

Abb. 1 Rechtsseitige Otoskopie. Das Trommelfell ist im hinteren unteren Quadranten teilweise vorgewölbt und von weiß-bläulicher Farbe (←). Es zeigt sich weder ein Erguss noch eine Pulsation.

Zunächst wurde eine hochauflösende Computertomografie (CT) der Felsenbeine durchgeführt ([Abb. 2]), um die Lokalisation und Ausdehnung der Pathologie sowie die Beschaffenheit der umgebenden knöchernen Strukturen zu erfassen. Hierbei zeigte sich ein infiltrierend wachsender Tumor im Bereich der rechten Schädelbasis mit einer ca. 1,8 cm messenden Auftreibung des rechten Foramen jugulare, einer Destruktion der Felsenbeinspitze und einer Ummauerung und Arrosion des Canalis caroticus. Die weichteildichte Raumforderung reichte bis ins Cavum tympani und die Tuba eustachii. Der Labyrinthblock zeigte keine pathologischen Auffälligkeiten. Unter der Verdachtsdiagnose eines Glomus jugulare-Tumors wurde zur weiteren Abklärung eine Magnetresonanztomografie (MRT) der Schädelbasis angefertigt ([Abb. 3]). In Korrelation zur CT erkannte man an der unteren medialen Begrenzung des rechten Felsenbeins eine ca. 2,7×2,4×1,6 cm messende, glatt konturierte, Kontrastmittel aufnehmende Weichteilraumforderung. Der Tumor reichte nach ventral bis an die A. carotis interna heran, nach dorsal bis an die V. jugularis interna und den Sinus sigmoideus, nach medial bis an den Clivus und nach lateral bis ins Cavum tympani. Aufgrund der Klinik, der Lokalisation der Raumforderung und der radiologischen Charakteristika erhärtete sich die Verdachtsdiagnose eines Glomus jugulare-Tumors.

Abb. 2 Native CT in axialer Schnittführung. Es zeigt sich ein homogener, weichteildichter Tumor im Bereich des Cavum tympani, des Canalis caroticus und des äußeren Gehörganges mit Erweiterung des rechten Foramen jugulare und Ausdünnung der Pars petrosa durch Arrosion der benachbarten knöchernen Strukturen.

Abb. 3 T2-gewichtete native MRT (turbo field echo-Sequenz) in koronarer Schnittführung. Die maximale Ausdehnung des Tumors wird deutlich. Die intermediäre Signalintensität erscheint ähnlich der des Gehirns und des Muskels. Der Tumor zeigt eine enge Nachbarschaft zur Cochlea. Linksseitig kann das normale Erscheinungsbild der V. jugularis interna gesehen werden.

Eine Operation wurde geplant und eine präoperative Angiografie zum Zwecke der Diagnosesicherung und prätherapeutischen Embolisation terminiert ([Abb. 4]). Nach selektiver Darstellung der rechtsseitigen Aa. carotes externa, interna und communis ließ sich weder ein Tumor blush erkennen noch zeigten sich Gefäßanomalien. Somit konnte kein juguläres Paragangliom gesichert werden. Während der Operation über einen transmastoidalen Zugang wurde ein derber, knollenartiger, nicht stark blutender, weißlicher Tumor im rechten Hypotympanon freigelegt. Dieser reichte bis in den hinteren Anteil des Foramen jugulare und lag der Dura mater sowie der A. carotis interna eng an. Die intraoperative histopathologische Untersuchung ergab den Verdacht auf ein Schwannom ohne Anhalt für Malignität. Der Tumor wurde nicht vollständig reseziert, da bei einer in sano Resektion die Gefahr erheblicher Funktionseinschränkungen bestanden hätte. Nach regelrechtem Verlauf konnte die Patientin die Klinik am 5. postoperativen Tag ohne bleibende Beschwerden verlassen. Insbesondere die klinische Untersuchung der Hirnnervenfunktionen zeigte keine Auffälligkeiten. Die abschließende histopathologische Untersuchung einschließlich umfangreicher immunhistochemischer Analysen bestätigte schließlich die Diagnose eines Schwannoms.

Abb. 4 3D-DSA in seitlicher Ansicht. Anatomisch normaler Verlauf der Aa. carotes interna, externa und communis. Für einen Glomustumor typische Vaskularisationsmuster kommen nicht zur Darstellung.

Schwannome sind langsam wachsende, gutartige Neubildungen der peripheren Nerven, welche von den Schwannzellen ausgehen. Sie sind selten, treten in der Regel solitär auf und zeichnen sich durch eine klar abgrenzbare Kapsel aus. In 25% der Fälle treten sie in der Kopf- und Halsregion auf und können mit einem M. Recklinghausen assoziiert sein. In einer Studie unter 21 Patienten mit einem Schwannom im Kopf- und Halsbereich fanden sich u. a. der Plexus brachialis, der Plexus cervicalis, der N. vagus, der sympathische Granzstrang, der N. lingualis und der N. recurrens als betroffene Nerven (Langner et al., Sao Paulo Med J 2007; 125 (4): 220–222). Kopf- und Hals-Schwannome des Foramen jugulare sind ein noch selteneres Ereignis und machen nur ca. 2–4% aller intrakraniellen Schwannome aus (Kadri et al., Neurosurg Focus 2004; 17 (2): E9). In der Regel fehlen klinische Symptome, und aufgrund ihres langsamen Wachstums werden sie nur zufällig entdeckt. Am häufigsten gehen sie vom N. vagus oder N. glossopharyngeus aus (Eldevik et al., AJNR Am J Neuroradiol 2000; 21 (6): 1139–1144). In seltenen Fällen können auch beide Nerven betroffen sein. Die wichtigste Differenzialdiagnose ist ein Glomus jugulare-Tumor. CT und MRT sowie eine zusätzliche dreidimensionale digitale Subtraktionsangiografie (3D-DSA) stellen die grundlegenden bildgebenden Verfahren zur Diagnose dieser Tumoren dar.

In Korrelation zu den radiologischen und intraoperativen Befunden entstammte der Tumor in unserem Fall am ehesten dem N. vagus. Die Mehrzahl der N. vagus-Schwannome finden sich intrakraniell oder entspringen aus dem N. laryngealis superior im Mediastinum (Moukarbel et al., Curr Opin Otolaryngol Head Neck Surg 2005; 13 (2): 117–122). Es existieren nur sehr wenige Berichte über Foramen jugulare-Schwannome des N. vagus, welche typischerweise im dorsalen Anteil des Foramen jugulare zu finden sind (Koscielny et al., Laryngorhinootologie 2008; 87 (9): 647–650; 128 (1–2): 109–115, Kadri et al., Neurosurg Focus 2004; 17 (2): E9). In einer Arbeit über Befunde in der radiologischen Bildgebung werden Schwannome des Foramen jugulare als charakteristischerweise scharf demarkierte, Kontrastmittel aufnehmende Tumoren beschrieben, welche typischerweise in einem erweiterten Foramen jugulare mit streng abgerundeten Knochenkanten und sklerotischem Randsaum zu finden sind. Ein intraossäres Wachstum kann auftreten (Eldevik et al., AJNR Am J Neuroradiol 2000; 21 (6): 1139–1144). Eine CT und MRT mit und ohne Kontrastmittel sind grundlegende diagnostische Verfahren. Die 3D-DSA liefert wichtige zusätzliche Informationen und kann so zwischen einem Glomustumor als Differenzialdiagnose unterscheiden. Nach Möglichkeit sollte die Behandlung chirurgisch erfolgen. Eine alleinige Größenreduktion des Tumors erscheint angemessen, wenn der Tumor langsam wächst und – wie in unserem Fall – ein Opfern der involvierten Nerven vermieden werden soll oder wenn die Gefahr, die A. carotis interna zu verletzen zu groß ist. Nach totaler Resektion eines Foramen jugulare-Schwannoms traten am häufigsten Funktionsstörungen des N. vagus und des N. glossopharyngeus auf, gefolgt von Einschränkungen des N. hypoglossus und des N. accessorius (Kadri et al., Neurosurg Focus 2004; 17 (2): E9). Die Radiochirurgie, u. a. mit dem Gammaknife, stellt neben einer „wait and scan”-Strategie bislang die einzige Alternative zur Chirurgie dar.

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