Aktuelle Neurologie 2010; 37(5): 205
DOI: 10.1055/s-0030-1248549
Editorial

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MS-Therapie – quo vadis?

Therapy in Multiple Sclerosis – quo vadis?R.  Gold1
  • 1Neurologische Klinik, St.-Josef-Hospital, Ruhr-Universität Bochum
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Publication Date:
28 July 2010 (online)

Prof. Dr. med. Ralf Gold

Ab Herbst des Jahres wird mit der Zulassung der ersten beiden oralen MS-Therapeutika moderner Generation gerechnet, die sowohl in Europa als auch in USA bei den zuständigen Behörden zur Zulassung angemeldet wurden: das bereits bei der Therapie der Haarzellleukämie verwendete Cladribin (Hersteller: Merck Serono) sowie das aus der Transplantationsmedizin bekannte Fingolimod (Hersteller: Novartis).

Für Fingolimod, auch unter der Abkürzung FTY 720 bekannt, hat die amerikanische Medikamentenbehörde FDA bereits ein positives Empfehlungsvotum abgegeben, und ihre Empfehlung erstaunlicherweise mit dem Zusatz „als Basistherapie” gekennzeichnet. Damit wird sich für die universitären Zentren sowie MS-Schwerpunktpraxen in Zukunft die Problematik ergeben, diese neuen Medikamente im bereits bestehenden Schema der Immuntherapeutika einzuordnen.

Bekanntlich stellen die Interferone sowie das Glatiramerazetat Basistherapeutika der ersten Wahl dar, bei schweren schubförmigen Verläufen mit hoher Krankheitsaktivität wird auf Natalizumab bzw. Mitoxantron eskaliert; Natalizumab ist auch bei unbehandelten Patienten mit hoher Krankheitsaktivität zur Primärtherapie zugelassen. Ein direkter Vergleich der vorhandenen Medikamente mit den beiden neuen Therapeutika liegt nur für ein Interferon-Beta-Präparat (Avonex) und Fingolimod vor. Diese 1-Jahres-Studie zeigte eine deutliche Überlegenheit von Fingolimod gegenüber Avonex. Aus dem indirekten Vergleich gegenüber den Placebo-Armen für die Fingolimod Studie „FREEDOMS” sowie für die Cladribinstudie „CLARITY” kann man durchaus ähnliche klinische Wirksamkeit für diese beiden Medikamente erwarten. Damit könnte man diese Therapeutika z. B. in der Wirksamkeitsskala etwas unterhalb von Natalizumab positionieren, wenngleich ein korrekter wissenschaftlicher Vergleich eine direkte Testung gegeneinander erfordert.

Für die Patienten stellt dies eine interessante neue Option dar, die leider wie auch alle anderen neuen MS-Therapeutika mit potenziell schweren Nebenwirkungen gekoppelt sind. Dazu gehören Tod durch Herpesenzephalitiden oder Zostersepsis, Häufung von tumorartigen Erkrankungen in den Verumgruppen sowie regelmäßige dermatologische und ophthalmologische Kontrolluntersuchungen. All dies zeigt, dass wir zukünftig die „Qual der Wahl” haben werden, vorausgesetzt, dass die Zulassungsbehörden ein positives Votum erteilen und dies nicht a priori mit signifikanten Einschränkungen verbinden.

Aus Sicht des Autors wird den Berufsverbänden sowie den mit den Leitlinienerstellung beauftragten Gruppierungen eine besondere Verantwortung zukommen, hier a priori erste empirisch basierte Empfehlungen für die Anwendung der Therapeutika beim MS-Patienten zu geben. Sinnvoll wären hier analog wie in anderen europäischen Ländern, obligate Register zur Dokumentation von Nebenwirkungen zu installieren, die z. B. idealerweise an neu gegründete Institutionen wie das Klinische Kompetenznetzwerk Multiple Sklerose gekoppelt werden können. Wir werden sehen, wie sich diese neuen Therapeutika in Zukunft bezüglich Wirkstärke und Compliance beim Patienten bewähren.

Prof. Dr. med. Ralf Gold

Neurologische Klinik
St.-Josef-Hospital
Ruhr-Universität Bochum

Gudrunstr. 56

44791 Bochum

Email: Ralf.Gold@ruhr-uni-bochum.de

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