Klin Monbl Augenheilkd 2010; 227(6): 451-452
DOI: 10.1055/s-0029-1245477
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Fortschritte in der Hornhautchirurgie und „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern!”

Advances in Corneal Surgery and ”Who Cares What I Said Yesterday!”G. Geerling, G. I. W. Duncker
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Publication Date:
17 June 2010 (online)

Man scheint sich einig zu sein. „Der Fortschritt beschleunigt sich selbst” [1]. Zunächst hat sich die Entwicklung des Lebens selber vom Einzeller bis zum in komplexen Sozialstrukturen lebenden Menschen beschleunigt. Dieser hat selbstständig eine technische Entwicklung angestoßen, die ebenfalls selbstbeschleunigend verläuft. Dank besserer technischer Ausstattung gelingt es immer früher, weitere Fortschritte zu erzielen. So verdoppelt sich beispielhaft alle 2 Jahre die Leistungsfähigkeit von Rechnern. Diese haben wiederum die Entwicklung des Internets ermöglicht, welches durch allzugängliches Wissen eine weitere Stufe der Rakete Fortschritt gezündet hat. Aber auch für die Fortschrittsphilosophen ist noch unklar, ob diese Entwicklung unbegrenzt weiterläuft.

Derartig grundlegende Überlegungen sind auch auf die Augenheilkunde übertragbar. Immer schneller, ergo immer häufiger, werden neue technische Errungenschaften für Diagnostik und Therapie vorgestellt, alte Zöpfe abgeschnitten und überlieferte Erfahrungen zu „überholten Meinungen” abgewertet. War die perforierende Keratoplastik bislang der simple, aber goldene Standard der therapeutischen Hornhautchirurgie, so hat das letzte Jahrzehnt mit der Repopularisierung der lamellären Keratoplastik die Möglichkeiten des Hornhautchirurgen vervielfacht. Nun ist mit dem Femtosekundenlaser hier ein weiteres, kostspieliges Werkzeug entwickelt worden, dessen Möglichkeiten aktuell untersucht werden [2]. Die Hornhauttransplantation ist damit wieder interessant, aber auch durchaus komplizierter, sowohl in der Indikationsstellung, der Durchführung als auch in der Nachbetreuung geworden.

Seitdem wir im Jahr 2005 versuchten, das kreative Chaos der lamellären Keratoplastik in einer vereinfachten Klassifikation und Terminologie zu erfassen, wurden weitere bahnbrechende OP-technische Neuerungen beschrieben (Maier et al. [3]). Es zeichnet sich ab, dass die posteriore lamelläre Keratoplastik mittelfristig wohl in 2 unterschiedlichen Vorgehensweisen – der DS(A)EK und der DMEK – etabliert werden wird ([Abb. 1]). Bei beiden Verfahren wird empfängerseitig lediglich die Descemet-Endothellamelle ersetzt und das Transplantat nahtfrei mit einer Luftblase fixiert. Im Falle einer DS(A)EK verfügt das manuell oder Mikrokeratom-assistiert präparierte Transplantat noch über eine Eigensteifigkeit durch anteilig mittransplantiertes Spenderstroma (Weller et al. [4]). Bei einer DMEK besteht das Transplantat jedoch rein aus einer Descemet-Endothellamelle. Von diesem – wieder einmal – von Melles und Mitarbeitern in Rotterdam entwickelten Verfahren haben wir gelernt, dass sich eine solche isolierte Descemet-Endothellamelle aufrollt. Wir haben ebenfalls von dieser Gruppe gelernt, dass das Endothel dabei auf der Außenseite der Rolle zu liegen kommt und dennoch erfolgreich mit einem Katarakt-Shooter in die Vorderkammer eingebracht, dort ausgebreitet und fixiert werden kann (Droutsas et al. [5]).

Spätestens an dieser Stelle darf spekuliert werden, ob die zahlreichen, manchmal kurzlebigen technischen Neuerungen langfristig nicht auch mit neuen Komplikationsmöglichkeiten und letztendlich einem verkürzten Transplantatüberleben verknüpft sind (Heindl et al. [6]). In der Fortschrittsdebatte finden sich dazu bereits die nächsten Überlegungen skizziert [1]:

„Das Gleichgewicht von Mensch und Technik ist labil (Heindl et al. 6).” „Der technische Fortschritt ist „egoistisch” und fordert letztendlich die Entwicklung weiterer Neuerungen heraus (Droutsas et al. 5).” „Dafür geben wir Maschinen immer mehr Kontrolle (Maier et al. 3).” „Wir verstehen die Welt immer weniger”, aber „Wir haben die Wahl... ob wir jeder Neuerung hinterherlaufen.”

In diesem Sinne sei dem Leser eine kritische Bewertung aller Neuentwicklungen auch in der Augenheilkunde empfohlen. In der Abwägung der Vor- und Nachteile von tradierten, etablierten Behandlungsmethoden einerseits und innovativen Ansätzen andererseits kann in der Medizin nur dies die Maxime sein. Unverrückbares Beharren auf sogenannten Goldstandards einerseits und unkritischer Fortschrittsglaube andererseits können sonst nur mit dem bekannten Adenauer Zitat des Titels quittiert werden.

In diesem Sinne hoffen und denken wir, dass den Autoren der Beiträge zum Schwerpunktthema „Hornhaut” eine ausgewogene Bewertung ihrer Themen gelungen ist.

Abb. 1 Vereinfachte Klassifikation und Terminologie der Keratoplastik-Techniken, modifiziert nach Geerling und Seitz [2]. DS(A)EK = Deep stripping (automated) endothelial keratoplasty.

Literatur

Prof. Dr. G. Geerling

Augenklinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Würzburg

Josef-Schneider-Str. 11

97080 Würzburg

Phone: ++ 49/9 31/20 12 06 12

Fax: ++ 49/9 31/20 12 04 90

Email: G.Geerling@augenklinik.uni-wuerzburg.de

Prof. Dr. G. I. W. Duncker

Universitätsklinik und Poliklinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum Halle

Ernst-Grube-Str. 40

06120 Halle (Saale).

Phone: ++ 49/345/5571878

Email: gernot.duncker@medizin.uni-halle.de

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