Krankenhaushygiene up2date 2009; 4(4): 321-334
DOI: 10.1055/s-0029-1243853
Nosokomiale Infektionen

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Frühe postoperative Wundinfektionen in Orthopädie und Unfallchirurgie

Miriam  Kalbitz, Heike  von Baum
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Publication Date:
22 January 2010 (online)

Einleitung

Postoperative Wundinfektionen tragen erheblich zur Morbidität und Mortalität chirurgischer Patienten bei und stellen eine schwerwiegende Komplikation nach Verletzungen und traumatologisch-orthopädischen Eingriffen dar. Neben Virulenz und Konzentration der verursachenden Mikroorganismen sind der Immunstatus des Patienten und (implantierte) Fremdmaterialien für Art und Ausmaß der Wundinfektion entscheidend.

Die frühe postoperative Wundinfektion lässt sich einteilen in:

Haut- und Weichteilinfektionen ohne Knochenbeteiligung, Haut- und Weichteilinfektionen mit und ohne Implantat, Osteitis posttraumatisch/postoperativ, Infekt nach Fremdkörperimplantation.

Definition

Die frühe postoperative Wundinfektion ist Folge einer intra- oder perioperativen oder verletzungsbedingten Gewebeinvasion durch pathogene Mikroorganismen, deren zunächst lokale Vermehrung und die daraus resultierende Gewebedestruktion. Ein weiterer Infektionsweg ist die hämatogene Streuung über einen wundfernen Infektionsort, wie etwa nach Zahnbehandlungen oder Eingriffen am Gastrointestinaltrakt.

Willenegger u. Roth klassifizierten 1986 postoperative Infektionen aufgrund klinischer Erfahrungen in:

  • frühe (innerhalb der ersten 2 Wochen),

  • verzögerte (nach den ersten 2 Wochen),

  • späte (nach den ersten 10 Wochen) Infektionen.

Für die Infektion von Gelenkprothesen gelten erweiterte Zeitintervalle. Hier spricht man von einer Frühinfektion bei Infekten in den ersten 3 Monaten nach Implantation.

Epidemiologie

Postoperative Wundinfektionen stellen nach Harnwegsinfekten die zweithäufigste Ursache nosokomialer Infektionen dar [4]. Schätzungsweise 2 – 5 % aller Patienten entwickeln einen postoperativen Wundinfekt abhängig von individuellen Faktoren, der Art des Eingriffs und den jeweiligen Umgebungsbedingungen der durchführenden operativen Einrichtung.

Ein wesentlicher Risikofaktor ist das Ausmaß der Kontamination des Operationsgebietes. Hier erfolgt eine Unterteilung in die Kategorien:

  • 1: sauber,

  • 2: sauber-kontaminiert,

  • 3: kontaminiert,

  • 4: infiziert.

Je nach Art des Eingriffes liegen die Infektionsraten für Primäreingriffe bei < 1 % (nach Hüft-TEP) bis ca. 7 % (kontaminiertes Gewebe); bei Revisionseingriffen steigen die Komplikationsraten erheblich an. Seit 2003 werden Wundinfektionsraten standardisiert im Modul OP-KISS des deutschen Krankenhaus-Infektions-Surveillance-Systems (KISS) erfasst (www.nrz-hygiene.de).

Die Falldefinitionen beruhen auf der CDC-Klassifikation postoperativer Wundinfektionen (Tab. [1]). Die Wundinfektionsraten werden unterteilt nach Risikokategorien 0 – 3 (je 1 Punkt für verlängerte OP-Dauer, Wundklassifikation > 2 und ASA-Score > 2) sowie Infektionsarten A1 – A3 (oberflächlich/tief/Organinfiltration) für mehrere Indikatoroperationen jedes Fachgebietes und ermöglichen den Vergleich eigener Wundinfektionsraten mit einem nationalen Standard.

Tabelle 1  Ausgewählte KISS-Indikatoroperationen in der Traumatologie/Orthopädie. Eingriff Wundinfektionsrate(75 % Quantil-Risikokategorie 0 – 3*) arthroskopische Eingriffe am Kniegelenk 0,59 Hüftendoprothese bei Fraktur 4,35 Hüftendoprothese bei Arthrose 1,89 Knieendoprothese 1,42 * bei 75 % der Abteilungen, die diese Indikator-OP erfassen, liegt die Wundinfektionsrate unter dem angegebenen Wert.

Ätiologie

Bei Infektionen wird zwischen endogenen (ca. 90 %) und exogenen (ca. 10 %) Infektionsquellen unterschieden. Exogene Infektionsquellen spielen insbesondere bei „sauberen” Eingriffen und hier bei der Implantation von Fremdkörpern eine wichtige Rolle (Abb. [1]).

Abb. 1 Infektionsquellen für postoperative Wundinfektionen nach Widmer.

Risikofaktoren

Neben der Virulenz der jeweiligen Erreger beeinflusst eine Vielzahl von patienteneigenen Risikofaktoren das Auftreten einer postoperativen Wundinfektion

Zu den endogenen Risikofaktoren zählen [11]:

  • hohes Lebensalter,

  • schlechter Ernährungszustand,

  • Diabetes mellitus,

  • periphere arterielle Verschlusskrankheit,

  • Immunsuppression,

  • Adipositas,

  • konsumierende Erkrankungen.

Als exogene patientenassoziierte Risikofaktoren wurden u. a.identifiziert:

  • Alkoholismus,

  • Nikotinabusus,

  • Kortikosteroid-Einnahme,

  • Länge des präoperativen stationären Aufenthaltes.

Davon zu unterscheiden sind die interventionsassoziierten Risikofaktoren. Hierzu gehören beispielsweise:

  • Länge des operativen Eingriffs,

  • Durchführung und der Zeitpunkt einer Rasur der Inzisionsstelle,

  • Operationstechnik,

  • perioperative Hypothermie,

  • Verwendung und Liegedauer von Drainagen,

  • Anzahl der notwendigen Revisionen.

Die Rolle der perioperativ transfundierten Erythrozytenkonzentrate wird in der Literatur kontrovers diskutiert.

Das Auftreten einer postoperativen Infektion nach Frakturen wird maßgeblich vom Frakturtyp und von der Schwere des vorliegenden Weichteilschadens beeinflusst. Ein direktes Trauma kann zu Nekrosen in Weichteilen und Knochen führen und so die Kontamination mit pathogenen Organismen begünstigen. Das Risiko für eine postoperative Wundinfektion liegt bei offenen Frakturen bei 6,2 % und bei III ° offenen Frakturen sogar bei über 10 %, wohingegen bei geschlossenen Frakturen nur in 1,9 % der Fälle mit einer Infektion zu rechnen ist.

Pathogenese

Durch eine posttraumatisch auftretende Gewebeschwellung und damit Erhöhung des Gewebedruckes wird die Mikrozirkulation herabgesetzt. Es kommt zu einem reduzierten Sauerstoffangebot und pH-Wert im Gewebe. Physiologische Reparaturmechanismen wie Angiogenese, Kollagenproliferation und Resorption avitalen Gewebes oder Knochens sowie die Migration von Leukozyten durch das Gefäßendothel werden gestört. Ein Circulus vitiosus beginnt.

Die „kritische Keimmasse”, d. h. die zur Auslösung einer Infektion notwendige Erregermenge, ist von individuellen Faktoren wie dem Zustand des Wundgebietes, der Immunlage des Wirtes und der Art und Virulenz des Erregers abhängig. So reichen bei kritischen Umgebungsbedingungen, wie z. B. offene Frakturen mit einliegendem Implantat, schon wenige Bakterien für den Übergang von einer Kontamination zu einer Infektion aus.

Bei Gelenkinfektionen kommt es zur Reduktion des pH-Wertes im Gelenk, Schädigung des Knorpels und später zur bakteriellen Durchwanderung in die subchondrale Region und Befall des Knochens. Parallel dazu kommt es zu einer vermehrten Flüssigkeitsproduktion durch die Synovialmembran. Der intraartikuläre Druck steigt konsekutiv an und führt weiter zu einer verminderten Durchblutung der Synovialmembran und damit zu einer weiteren Schwächung der Barriere.

Die Anwesenheit von Implantaten erhöht die lokale Infektanfälligkeit [9]. Viele Bakterien sind zur Adhärenz auf alloplastischen Materialien fähig. Manche sind in der Lage, durch kolonieartige Zusammenlagerung und eine selbst produzierte extrazelluläre Matrix einen sog. Biofilm auszubilden (Abb. [2]). Auf diese Weise können sie sich der physiologischen Infektabwehr des Wirtes und der Wirkung von Antibiotika entziehen [2].

Abb. 2 Elektronenmikroskopische Darstellung eines Biofilms.

Die Biofilmbildung ist von sog. „Quorum-sensing” Molekülen abhängig, welche unter anderem die bakterielle Populationsdichte und die Anpassung an unterschiedliche Umgebungsbedingungen auf humoraler und molekulargenetischer Ebene regulieren. „Quorum-sensing” Systeme regulieren sowohl in grampositiven als auch in gramnegativen Bakterien die Expression von Adhäsionsmolekülen und Virulenzfaktoren.

Nicht zuletzt hängt das Risiko für eine postoperative Wundinfektion nach Frakturversorgung von dem gewählten Osteosyntheseverfahren ab. Bei Stabilisierung der Faktur durch einen Fixateur externe besteht über die perkutan eingebrachten Schanz-Schrauben oder Steinmann-Nägel die Gefahr der Keimmigration. Entstehen bei dem Einbringen der Schrauben durch zu starke Hitzeentwicklung ringförmige Knochennekrosen, kann dadurch eine Keimmigration begünstigt werden.

Bei plattenosteosynthetischer Frakturversorgung kann es selbst bei korrektem operativem Vorgehen zu Devaskularisation und konsekutiv zu umschriebenen Knochennekrosen im Bereich des Plattenlagers kommen. Kommt es hierbei zu einer Infektion, kann sich diese entlang des Plattenlagers ausbreiten.

Vor allem bei der unachtsamen aufgebohrten Marknagelung infolge einer zu raschen, forcierten oder exzessiven Bohrung bzw. bei Einsatz eines stumpfen Bohrers kommt es durch Hitzeentwicklung, Verschluss der Haver-Kanäle und Devaskularisation in unterschiedlichem Maße zu Knochennekrosen im Bereich der inneren Kortikalis und damit zu einer Begünstigung der Keimmigration entlang des Implantates.

Postoperativ müssen eine verzögerte Wundheilung, ischämische Nekrosen der Wundränder und ausgedehnte Hämatome von einer Infektion abgegrenzt werden, gleichzeitig sind diese Lokalbedingungen maßgeblich an der Entstehung von postoperativen Infektionen beteiligt.

Literatur

  • 1 Chau C L, Griffith J F. Musculoskeletal infections: ultrasound appearances.  Clin Radiol. 2005;  60 149-159
  • 2 Costerton J W, Montanaro L, Arciola C. Bacterial communications in implant infection: a target for an intelligence war.  Int J Artif Organs. 2007;  30 757-763
  • 3 El-Maghraby T A, Moustafa H M, Pauwels E K. Nuclear medicine methods for evaluation of skeletal infection among other diagnostic modalities.  Q J Nucl Med Mol Imaging. 2006;  50 167-192
  • 4 Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert Koch-Institut . Prävention postoperativer Infektionen im Operationsgebiet.  Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz. 2007;  50 377-393
  • 5 Gelbe Liste Ulm 2006: Antiinfektiva. Leitlinien für die Therapie und Prophylaxe. 9. Auflage. Arzneimittelkommission des Universitätsklinikums Ulm, Hrsg November 2006
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  • 9 Wagner C, Hänsch G M, Wentzensen A, Heppert V. Implant-associated post-traumatic osteomyelitis. Bacterial biofilms and the immune defence as protagonists of the local inflammatory process.  Unfallchirurg. 2006;  109 761-769
  • 10 Walker R C, Jones-Jackson L B, Martin W. et al . New imaging tools for the diagnosis of infection.  Future Microbiol. 2007;  2 527-554
  • 11 Widmer A F, Francioli F. Postoperative Wundinfektionen: eine Übersicht.  Swiss-Noso. 1996;  3 1-12
  • 12 Willenegger H, Roth B. Treatment tactics and late results in early infection following osteosynthesis.  Unfallchirurgie. 1986;  12 241-246
  • 13 De Winter F, van de Wiele C, Vogelaers D. et al . Fluorine-18 fluorodeoxyglucose – position emission tomography: a highly accurate imaging modality for the diagnosis of chronic musculoskeletal infection.  J Bone Joint Surg Am. 2001;  83 651-660
  • 14 Zimmerli W, Trampuz A, Ochsner P E. Prosthetic-joint infections.  N Engl J Med. 2004;  351 1645-1654

Weiterführende Literatur

  • 15 Herrmann M, Becker K, von Eiff C. et al .Mikrobiologisch-infektiologische Qualitätsstandards (MiQ)18: Infektionen der Knochen und des Knorpels. München; Urban und Fischer 2004
  • 16 Hofmann G O. Infektionen der Knochen und Gelenke in Orthopädie und Unfallchirurgie. 1. Aufl. München; Urban & Fischer 2004: 15-221f

Dr. Miriam Kalbitz

Universitätsklinikum Ulm, Zentrum für Chirurgie
Klinik für Unfallchirurgie,
Hand-, Plastische und Wiederherstellungschirurgie

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