Klin Padiatr 2009; 221(7): 407-408
DOI: 10.1055/s-0029-1243178
Gastkommentar

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Morbus Wilson – hepatische Manifestation

Morbus Wilson – Hepatic ManifestationG. Dockter1
  • 1Pädiatrische Gastroenterologie Klinik für Allegemeine Pädiatrie und Neonatologie Universität des Saarlandes Homburg-Saar
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Publication Date:
10 December 2009 (online)

Die Wilson'sche Erkrankung wird im Kindesalter immer noch erst dann diagnostiziert, wenn bereits deutliche Zeichen einer ernsthaften Lebererkrankung vorliegen. Auch dann wird der Fokus der Abklärung eher in Richtung Hepatitis oder nicht alkoholische Hepatosteatosis (NAFLD) konzentriert. Dies hängt vordergründig mit der Seltenheit der Erkrankung an sich zusammen, mehr aber noch mit der Tatsache, dass man bei Morbus Wilson eher an das neurologisch-psychiatrische oder hämatologische Krankheitsbild als an eine bereits im frühen Kindesalter möglicherweise lebensbedrohliche Leberstoffwechselkrankheit denkt.

In der vorliegenden Ausgabe der Klinischen Pädiatrie beschreibt eine tschechische Arbeitsgruppe aus Brno eindringlich die Fallstricke, die mit der Diagnose der Wilson'schen Erkrankung im Kindesalter verbunden sind (siehe S. 419–424). Sie nutzten Krankengeschichten und Daten der wegen Morbus Wilson lebertransplantierten Patienten ihrer Klinik und analysierten retrospektiv die Verläufe von 21 Patienten und von 14 ihrer Verwandten. Sie hatten Gelegenheit, klinisch, biochemisch und mutationsanalytisch homo- und heterozygote Mitglieder aus diesen Wilson-Familien zu detektieren sowie deren Krankheitsverläufe zu vergleichen. Resultat der Untersuchung war, dass der klinischen Symptomatik einer Lebererkrankung und der Bestimmung des Coeruloplasmins sowie der 24-Stunden-Kupferausscheidung im Urin weiterhin die höchste diagnostische Bedeutung zukommt. Die Verdachtsdiagnose eines Morbus Wilson muss letztendlich aber immer noch durch quantitative Bestimmung des Leberkupfers konfirmiert werden.

1912 beschrieb Samuel Alexander Kinnier Wilson ein Krankheitsbild mit Dysarthrie, Ataxie, begleitet von extrapyramidalen Bewegungsstörungen sowie Symptomen der fortschreitenden Leberfunktionsstörung [10]. Der bereits 10 Jahre vorher von den deutschen Augenärzten Kayser und Fleischer beschriebene Kornealring konnte der Erkrankung später zugeordnet werden, gilt auch heute immer noch bei Erwachsenen als „diagnostischer Leuchtturm” des Morbus Wilson, ist aber im Kindesalter, selbst mit der Spaltlampe, nur selten zu erkennen [3] [5] [7]. Pathogenetisch ist der Morbus Wilson als eine Kupferstoffwechselkrankheit charakterisiert, die durch eine verzögerte biliäre Kupferausscheidung und den fehlerhaften Einbau des Metalls in sein Transportprotein Coeruloplasmin geprägt ist und deren Erbgang autosomal rezessiv ist. 1993 wurde das „Wilson-Gen” ATP7B, das für eine membrangebundene kupfertranportierende ATPase kodiert, kloniert. Über 300 Mutationen sind bereits bekannt, einige Hot-spot-Mutationen, so die in Europa dominierende Missense-Mutation H1069Q, korrelieren am engsten mit dem original beschriebenen Krankheitsgeschehen. Gleichwohl sind auch Veränderungen des ATP7B-Gens ohne bekannte klinische Phänotypien beschrieben [1] [5] [6].

Die Diagnosestellung im Kindesalter ist schwer und erfolgt häufig zu spät, da die typischen extrapyramidalen Krankheitszeichen nur diskret in Erscheinung treten oder ganz fehlen. Der Krankheitsnachweis beruht letztlich auf der richtigen Zuordnung einiger, für Leberentzündungen typischer Symptome und Laborwerte, die dann im Rahmen einer Ausschlussdiagnostik Anlass für eine Bestimmung der Urinkupferausscheidung unter D-Penicillinbelastung und eine Bestimmung des Leberkupfers sind. Kein biochemischer Parameter allein beweist einen Morbus Wilson oder schließt ihn aus. Die Mutationsanalytik erfasst auch bei Totalsequenzierung nicht das gesamte Gen, selbst die Leberkupferbestimmung hinterlässt Zweifel bei mittelhohen Werten zwischen 50 μg und 250 μg/g Lebertrockengewicht. So ist es nachvollziehbar, dass die American Association for the Study of Liver Disease (AASLD) in Ihren Leitlinien mit hohem Evidenzanspruch fordert, bei allen Kindern mit Verdacht auf eine Autoimmunhepatitis oder nichtalkoholische Fettleber (NAFLD) einen Morbus Wilson auszuschließen. Kinder unter 5 Jahren mit sonografisch erkennbarer Fettleber und jeder Form „akut” aufgetretenen Leberversagens sind verdächtig auf Morbus Wilson [6].

Die Behandlung der Erkrankung erfolgt bei rechtzeitiger Diagnose mit Chelatbildnern; als Mittel der ersten Wahl gilt D-Penicillamin-Hydrochlorid [5] [6]. Bei akutem Leberversagen bzw. fortgeschrittenem Leberumbau und -funktionsstörung bleibt eine Lebertransplantation als letzte therapeutische Lösung [2].

Die European Society for Pediatric Gastroenterology, Hepatology and Nutrition (ESPGHAN) kooperiert in einem europäischen Konsortium mit dem Ziel, prospektive Studien bei Morbus Wilson zu initiieren. Integriert in das von der EU finanzierte Projekt „EuroWilson” soll evaluiert werden, wie viele Neuerkrankungen bzw. -diagnosen im Kindesalter jährlich auftreten und welche diagnostischen Hürden speziell beim Kind überwunden werden müssen. In Planung und am Laufen sind methodisch einwandfreie, prospektive kontrollierte Behandlungsstudien, die mit Langzeitbeobachtungen verknüpft werden sollten [4] [8] [9]. Gute Information auch für Betroffene und Kontakt über www.eurowilson.org. Ähnliche Ziele verfolgt GeNeMove als „Deutsches Netzwerk für erbliche Bewegungsstörungen” (www.genemove.de).

Interessenkonflikt: Die Autoren erklären hiermit, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Literatur

  • 1 Bull PC. et al . The Wilson disease gene is a putative copper transporting P-type ATPase similar to the Menkes gene.  Nat Genet. 1993;  5 327-337
  • 2 Burdelski M. et al . Liver transplantation in children: long-term outcome and quality of life.  Eur J Pediatr. 1999;  158 ((Suppl 2)) S34-S42
  • 3 Fleischer B. Über eine der Pseudosklerose nahestehende bisher unbekannte Krankheit.  Deutsch Z Nerven Heilk. 1912;  44 179-201
  • 4 Huber J. et al . Long term survival in two children with rhabdomyosarcoma of the biliary tract.  Klin Padiatr. 2008;  220 378-379
  • 5 Merle U. et al . Clinical presentation, diagnosis and long-term outcome of Wilson's disease: A cohort study.  Gut. 2007;  56 115-120
  • 6 Roberts EA, Schilsky ML. Diagnosis and treatment of Wilson disease: an update.  Hepatology. 2008;  47 2089-2111
  • 7 Sanchez-Albisua I. et al . A high index of suspicion: the key to an early diagnosis of Wilson's disease in childhood.  J Pediatr Gastroenterol Nutr. 1999;  28 186-190
  • 8 Strassburg HM. et al . Long-term prognosis of former very and extremely preterm babies in adulthood in Germany.  Klin Padiatr. 2008;  220 61-65
  • 9 Weyhreter H. et al . Additional treatment supporting standard care for children and adolescents with diabetes mellitus type I – indication, acceptance and outcome: Results from a multi-centre observational study.  Klin Padiatr. 2008;  220 70-76
  • 10 Wilson S. Progressive lenticular degeneration: a familial nervous disease associated with cirrhosis of the liver.  Brain. 1912;  34 295-307

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Gerd Dockter

Pädiatrische Gastroenterologie

Klinik für Allgemeine Pädiatrie und Neonatologie

Universität des Saarlandes

66424 Homburg-Saar

Email: gerd.dockter@uks.eu

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