ZWR - Das Deutsche Zahnärzteblatt 2009; 118(7/08): 343
DOI: 10.1055/s-0029-1237744
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

1 Haarschnitt und 2 Stockzähne

Cornelia Gins
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Publication Date:
07 August 2009 (online)

Es ist noch Ferienstimmung in der Stadt, so erlaube ich mir, den tierischen Ernst in diesem Editorial ein wenig außen vor zu lassen.

Es bahnt sich in Berlin eine soziale Katastrophe an. Der Friseur verliert seine soziale Funktion. „Cut and Go” ist der neue Trend. Wird er den traditionellen Frisiersalon bedrohen? Dass man inzwischen fast alles auf der Strasse erledigen kann, daran hat man sich gewöhnt. Mit „Coffee–to–go” (man beachte die grammatikalische Finnesse) Ende der 90er–Jahre des letzten Jahrhunderts fing alles an. Essen und Telefonieren sind inzwischen dem Trend gefolgt, alles natürlich im Stehen oder im Laufschritt. Nun also auch der Expressfriseur. Eine Anmeldung ist nicht mehr notwendig. Man stürmt den Laden, zieht eine Nummer wie bei der Passverlängerung, verweilt entweder einen Augenblick oder kann noch etwas Dringendes erledigen. Dann, kaum dass man den Sitz berührt hat, ist ratz–fatz der Schnitt erledigt, geföhnt wird entweder gar nicht oder man macht es selber. Keine Zeit für einen Schwatz. Herrlich die Zeiten, in denen der Friseur Vertrauter in Tragödien, seelischer Mülleimer und Berater sein konnte, und das, wie noch in den 70er–Jahren, einmal in der Woche. Fühlte sich Frau nicht so gut, ging sie nicht einfach nur zum Haare schneiden, nein, sie nahm sich einen Wellness–Tag. Der Friseur war gewissermaßen der Wegbereiter für den aktuellen Wellness–Hype. Was einmal Luxus und Genuss war, hat der Schnelllebigkeit des modernen Lebens Platz gemacht.

Der geneigte Leser wird nun verzweifelt eine Parallele zur Zahnheilkunde suchen. Wer meine Editorials kennt, weiß, dass ich meistens doch die „Kurve” bekomme. In diesem Fall: früher, allerdings ganz früher, hatte der Friseur auch die Zahnprobleme gelöst. Die Bader betrieben neben dem Badewesen und der Körperpflege auch Teilgebiete der Chirurgie und die Zahnheilkunde. Der Barbier übernahm zusätzlich noch die Haarpflege. So liegt der Gedanke (unter dem Sonnenschirm) doch nah, sich auch einmal Gedanken über die Zukunft der sozialen Funktion der Zahnarztpraxis zu machen, ob dort eventuell ähnliche Veränderungen zu erwarten sind. „Drill–Fill and Go” im Expressbohrturm, das wär's doch! Nun, so ärgern kann uns Frau Schmidt nicht, dass wir, Gebührenordnung hin oder her, unser wichtigstes Instrument, das Patientengespräch, wegrationalisieren. Hin und wieder übernehme ich auch ganz gern die Funktion eines Friseurs und höre mir die Geschichte meiner Patienten an.

Ändern sich wirtschaftliche oder gesellschaftliche Rahmenbedingungen, ändern sich auch die Berufsbilder. Nicht zuletzt begrüßen unsere Patienten die zwischenzeitliche Trennung zwischen Barbier und Zahnarzt. Der Friseur kann zwar nun nie mehr Zahnarzt sein, wir aber können immer noch ein bisschen Friseur bleiben.

Cornelia Gins

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