Endoskopie heute 2009; 22(4): 240-242
DOI: 10.1055/s-0029-1224738
Wissenschaftliche Kurzmitteilung

© Georg Thieme Verlag Stuttgart ˙ New York

Prozessmodellierung und modellbasierte Interventionen: auch in der Viszeralmedizin?

A. Schneider, C. Leuxner, B. Spanfelner, W. Sitou, M. Kranzfelder, M. Broy, H. Feußner
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Publication Date:
04 January 2010 (online)

In vielen Lebensbereichen, insbesondere auch in der Industrie, ist die modellbasierte Beschreibung von Arbeitsprozessen mittels Workflows heute bereits Standard, da auf diese Weise wichtige Faktoren wie Effizienz, Sicherheit und Planbarkeit der Arbeitsprozesse formal erfasst und analysiert werden können. Im Bereich der Gesundheitsversorgung und speziell auch für den Sektor der interventionellen Therapie spielen derartige Ansätze aber bisher kaum eine Rolle. Nur einige wenige Arbeitsgruppen beschäftigen sich derzeit überhaupt mit Workflow-Fragestellungen. Dabei wird z. B. der Weg des Patienten durch die Klinik, die Organisation einzelner Stationen oder die generelle logistische Organisation von Eingriffsabläufen untersucht. 

Neuerdings wird jedoch in der Neurochirurgie und in der Chirurgie des Binde- und Stützgewebes zumindest im Ansatz versucht, durch kontextabhängig gefilterte Informationsdarstellungen und automatisch eingeleitete Unterstützungsmaßnahmen den Operationsablauf zu unterstützen und dadurch auch eine Entlastung des OP-Teams zu erreichen. Es ist nicht überraschend, dass die ersten Ansätze in diesen Disziplinen erprobt werden, da das ­Arbeiten an rigiden Strukturen mit einem hohen Anteil an prä­ope­rativer Therapieplanung ein modellbasiertes Vorgehen erleichtert. 

Bei Interventionen in der Viszeralmedizin – sei es ein endo­luminal-endoskopischer Eingriff wie eine Papillotomie oder eine ­Mukosadissektion oder aber z. B. eine laparoskopische Opera­tion – sind derartige Versuche sehr viel schwieriger. 

Natürlich wäre es wünschenswert, den Ablauf einer viszeral­medizinischen Intervention mit einem intelligenten System zu hinterlegen, das den Ablauf erfasst und dokumentiert, eventuelle Abweichungen vom Regelverlauf erkennt und ggf. Warnhinweise gibt bzw. Entscheidungshilfen liefert, oder gar direkt unterstützt. Diese „Hintergrund-Intelligenz“ wäre in etwa mit dem Auto­piloten aus der Luftfahrttechnik zu vergleichen, der heute jede Crew in erheblichem Maße entlastet und auch ganz wesentlich zur ­Erhöhung des Sicherheitsniveaus beigetragen hat. Allerdings ­besteht im chirurgischen Umfeld der große Unterschied, dass bei einem OP-Assistenzsystem die aktive und autonome Durchführung einer operativen Aktion, vergleichbar dem Fliegen durch den Autopiloten, nicht vorgesehen ist. 

Theoretisch wären Assistenzsysteme auch für die Viszeralmedizin denkbar. Das System müsste dazu in der Lage sein, mithilfe formaler Ablaufbeschreibung des chirurgischen Eingriffs unterschied­liche Situationen im OP verlässlich zu bewerten und in ­gewissen Umfang Vorhersagen zum weiteren OP-Verlauf zu treffen. Dafür müssen aber zahlreiche Voraussetzungen vorhanden sein. 

Der Eingriff muss hochgradig standardisiert sein, d. h. die Menge möglicher intraoperativer Ablaufänderungen und auftretender Komplikationen sollte sehr eingeschränkt sein. Der chirurgische Eingriff muss mithilfe einer formalen Workflow-Beschreibung abgebildet werden, welche unter anderem die zeitlich kausalen Abhängigkeiten sowie die charakteristischen Kontextdaten jedes Arbeitsschritts beschreibt. Mögliche Varianten im OP-Ablauf müssen vollständig beschrieben werden, um dem System überhaupt eine verlässliche Situationserkennung zu ermöglichen. Die Bereitstellung einer ausreichenden Messdatenbasis in Echtzeit, denn nur anhand der Sensordaten ist das System in der Lage, die aktuelle Situation richtig zu interpretieren und letztlich angemessen darauf zu reagieren. Im Allgemeinen ist die Zuordnung von aktuell gemessenen Sensordaten und Arbeitsschritten nicht eindeutig, d. h. es lassen sich mehrere Arbeitsschritte finden, deren charakteristische Kontextdaten mit der aktuell gemessenen Datenkonstellation übereinstimmen. Eine Ausweitung der Datenerfassung kann diese Mehrdeutigkeiten prinzipiell verringern, jedoch nicht völlig ausschließen.

Literatur

  • 1 Billinghurst M, Savage J, Oppenheimer P et al. The expert surgical assistant. An intelligent virtual environment with multimodal input.  Stud Health Technol Inform. 1996;  29 590-607
  • 2 Kranzfelder M, Schneider A, Blahusch G et al. Feasibility of opto-elec­tronic surgical instrument identification.  Minim Invasive Ther Allied Technol. 2009;  1 1-6
  • 3 Feußner H, Wilhelm D, Meining A et al. NOTES technical aspects – hype or hope?.  Surg Technol Int. 2009;  18 26-35
  • 4 Kuhn K A, Knoll A, Mewes H W et al. Informatics and medicine – from molecules to populations.  Methods Inf Med. 2008;  47 283-295

Prof. Dr. med. H. Feußner

Klinikum rechts der Isar · Chirurgische Klinik und Poliklinik · Technische Universität München

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