Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2009; 41(2): 82-83
DOI: 10.1055/s-0029-1213541
Praxis
Das Interview
© Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Brustkrebs

„Inzwischen gibt es neue Diagnoseverfahren, um abzuschätzen, inwieweit eine Chemotherapie sinnvoll ist”
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Publication Date:
29 June 2009 (online)

Unsere Gesprächspartnerin:
Prof. Dr. med. Marion Brigitta Kiechle

Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe mit Zusatzbezeichnung „Medizinische Genetik”, 1995 Habilitation vor der medizinischen Fakultät der Universität Freiburg, 1996–2000 Oberärztin der Universitäts-Frauenklinik Kiel, seit Oktober 2000 Direktorin (C4 Professorin) der Frauenklinik rechts der Isar der Technischen Universität München, seit Juli 2002 stellvertretende Vorsitzende der Zentralen Ethikkommission für Stammzellforschung, seit Juli 2007 Senatorin der Technischen Universität München, Oktober 2007 Verleihung des Bundesverdienstkreuzes, Schwerpunktgebiete: Operative Gynäkologie, minimalinvasive Operationstechniken, Krebserkrankungen der Frau, familiäre Krebserkrankungen, bioethische Themen.

DZO: Sie wurden als jüngste Frau auf einen deutschen Lehrstuhl für Frauenheilkunde berufen. Was begeistert Sie besonders am Fach Gynäkologie?

Prof. Kiechle: In erster Linie die enorme Bandbreite dieser Fachrichtung. Es werden Kinder zur Welt gebracht, große Operationen durchgeführt und man beschäftigt sich auch mit endokrinologischen Fragestellungen.

DZO: Was, meinen Sie, wird sich zukünftig in der Diagnostik und Therapie des Brustkrebses noch verändern?

Prof. Kiechle: Ich gehe davon aus, dass die Therapie von Brustkrebspatientinnen zukünftig eine individualisierte und risikoadaptierte sein wird. Außerdem werden zielgerichtete Therapien mit z. B. Herceptin, Lapatinib, Bevacizumab und Therapien mit „Biologicals” (z. B. mTOR-Inhibitoren, Sutinib) zunehmend an Bedeutung gewinnen. Und die operative Morbidität wird durch minimalinvasive Maßnahmen wie z. B. der SLNB deutlich abnehmen. Außerdem wird man meiner Meinung nach künftig durch eine individuelle Risikoeinschätzung bei einem großen Teil der nodalnegativen Patientinnen ganz auf eine Lymphkotenausräumung verzichten können.

DZO: Ist eine Chemotherapie Ihrer Meinung nach bei jeder Patientin sinnvoll?

Prof. Kiechle: Nein, nicht alle Patientinnen benötigen eine Chemotherapie. Eine Chemotherapie ist allerdings dann notwendig, wenn ein inflammatorisches Mammakarzinom bzw. ein Lymphknotenbefalll vorliegt oder bei jungen Patientinnen (unter 35 Jahren) und bei Patientinnen mit hohen Risikofaktoren, wie z. B. 3-facher HER-2-Ausprägung, G3-Tumoren und Gefäß- und Lymphgefäßinvasion.

DZO: Was halten Sie von neuen Diagnoseverfahren, um abzuschätzen, inwieweit eine Chemotherapie insbesondere bei nodalnegativen Tumoren notwendig ist? Sind diese Tests, wie der sogenannte uPA/PAI-1-Test oder der MammaPrint-Test, bereits praxistauglich?

Prof. Kiechle: Zur Abschätzung, ob eine Brustkrebspatientin von einer Chemotherapie profitiert, ist uPA und PAI neben dem Grading bei nodalnegativen Patientinnen sehr gut geeignet, in prospektiven Studien validiert und daher auch in den ASCO-Leitlinien aufgenommen worden und zu empfehlen. Nachteil ist, dass die Testung an Frischgewebe erfolgen muss. Alternativen sind bei uns in Entwicklung.

Der MammaPrint-Test ist von der FDA seit 2007 zugelassen zur Bestimmung der Wahrscheinlichkeit, ob sich ein Rezidiv bzw. eine Fernmetastasierung entwickelt. Es ist ein Microarray-Test, welcher diverse Genaktivitäten des Tumors misst. Bei Patientinnen mit 1–3 positiven Lymphknoten lässt sich hiermit eine Gruppe von Patientinnen mit geringem Rezidivrisiko und mit einer sehr guten Überlebensrate identifizieren. Bei nodalnegativen Patientinnen ist dieser Test bisher in Studien jedoch nicht validiert worden.

DZO: Welche Verfahren der Komplementärmedizin sind aus Ihrer Sicht empfehlenswert? Was raten Sie Patientinnen während der Chemotherapie und danach an zusätzlichen unterstützenden Maßnahmen?

Prof. Kiechle: Ich bin hier nicht die Fachfrau und verweise an ausgebildete Komplementärmediziner. Ich empfehle den Patienten, sich diesbezüglich von Spezialisten beraten zu lassen, damit sie keinen Schaden davon tragen, wie z. B. hochdosiertes Vitamin C nicht unter Chemotherapie mit Anthrazyklinen einzusetzen. Grundsätzlich befürworte ich alle Maßnahmen, die zum Wohlbefinden der Patientinnen beitragen, z. B. Entspannungstechniken, Akupunktur, komplementäre naturheilkundliche Maßnahmen und sportliche Aktivitäten.

DZO: Was raten Sie Patientinnen, die eine antihormonelle Therapie z. B. aufgrund von Wechseljahrsbeschwerden sehr schlecht vertragen? Gibt es aus Ihrer Sicht Alternativen?

Prof. Kiechle: Grundsätzlich kommt es auf die Art der Beschwerden an. Eine systemische Hormongabe inklusive Tibolon ist nicht zu empfehlen. Lokale Östrogengabe halte ich für eine sinnvolle Maßnahme zur Linderung der urogenitalen Atrophiebeschwerden. Ansonsten empfehle ich bei Hitzewallungen und Schlafstörungen zunächst Lebensstiländerungen (wie Alkohol, Kaffee und scharfe Gewürze meiden sowie körperliche Aktivität). Bezüglich der Gruppe der Phytoöstrogene (Sojabohnen, Linsen, Rotklee) und der Traubensilberkerze gibt es widersprüchliche Daten. So werden bei Phytoöstrogenen proliferative Effekte auf die Brustdrüse und eine Interaktion mit Tamoxifen diskutiert. Ich rate daher meinen Patientinnen, diese als hochdosierte Präparate nicht zusätzlich einzunehmen.

Gegen Wechseljahrsbeschwerden eingesetzte Psychopharmaka (sog. SSRI’s wie Venlafaxin, Fluoxetin und Paroxetin) können zwar deutlich die Beschwerden lindern, haben aber auch ihre Nebenwirkungen, wie z. B. Mundtrockenheit, Übelkeit und Obstipation. Außerdem reduzieren SSRI’s die Umwandlung von Tamoxifen in seinen aktiven Metaboliten Endoxifen um bis zu 60 %. Vor allem Paroxetin zeigt diese Blockade, weniger Venlafaxin. Daher sind diese Substanzen eher bei Patientinnen, die Aromataseinhibitoren einnehmen, zu empfehlen.

DZO: Welche innovativen neuen Verfahren werden an der Technischen Universitätsklinik in München bereits erprobt?

Prof. Kiechle: Das sind zum einen die Testung zielgerichteter Therapien (Lapatinib in der Adjuvanz, Sutinib beim metastasierten Mammakarzinom, mTOR-Inhibitoren beim fortgeschrittenen Mammakarzinom, Multi-Tyrosinkinase-Inhibitoren, uPA-Inhibitoren beim metastastasierten Mammakarzinom) und zum anderen Untersuchungen zu Risikofaktoren (z. B. Gen-Varianten, Lebensstilfaktoren, Vitamin-D-Mangel).

DZO: Wie schätzen Sie den Stellenwert der strahlungsfreien Kernspintomographie und des Ultraschalls in der Brustkrebsdiagnose ein? Welche Frauen profitieren von diesen Untersuchungen?

Prof. Kiechle: Diese sind vor allem ergänzende Untersuchungen bei Auffälligkeiten in der Mammographie oder der klinischen Untersuchung bei unauffälliger Mammographie oder nach brusterhaltender Therapie in der Nachsorge. Als Screeningmethoden halte ich diese außerdem für sinnvoll beim familiären Mammakarzinom (BRCA1 oder 2 positiv oder Hochrisiko mit Lebenszeitrisiko größer 30 %).

DZO: Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Was tun Sie für sich, um gesund zu bleiben?

Prof. Kiechle: Nicht Rauchen, Alkohol in Maßen, regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen, Normalgewicht halten, eine ausgewogene Ernährung und 2-mal pro Woche Sport (Joggen und Radfahren).

DZO: Frau Prof. Kiechle, vielen Dank für das Gespräch.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Marion Brigitta Kiechle

Frauenklinik Rechts der Isar
der Technischen Universität München

Ismaningerstraße 22

81675 München

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