Dtsch Med Wochenschr 1948; 73(5/08): 68-74
DOI: 10.1055/s-0028-1118054
Klinik und Forschung

© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Über Ernährungsschäden vom Standpunkt der zentralen Regulationen (Schluß)

Ferdinand Bertram
  • Med. Klinik des Allg. Krankenhauses Langenhorn in Hamburg (Chefarzt: Prof. Dr. F. Bertram)
Further Information

Publication History

Publication Date:
02 June 2009 (online)

Über Ernährungsschäden vom Standpunkt der zentralen Regulationen

Zusammenfassung

In dieser Arbeit ist der Versuch unternommen worden, das Problem der Ernährungsschäden vom Standpunkte der zentralen Regulationen zu betrachten. Die Ergebnisse unserer Auffassungen sind in der folgenden Skizze zusammengefaßt. Die Beschriftung der rechten Seite enthält die direkten Folgen einer Fehlsteuerung der Neurohypophyse, die untere die indirekten, die über andere endokrine Drüsen zustandekommen. Es gelingt auf diese Weise, die Symptomatologie der beiden großen Krankheitsgruppen, der Zivilisationskrankheiten und der Antizivilisationskrankheiten, als die wir die Hungerkrankheit bezeichnen möchten, abzuleiten.

1. Unter einer in guten Zeiten bei allen Völkern mit zunehmendem Wohlstand geübten Abwendung von der bodenständigen Ernährung (bei uns zu reichlich Fett und tierisches Eiweiß, zu wenig K.H. und damit ungenügende Zufuhr von Regelungsstoffen) kommt es zu Regulationsstörungen des Zw.H.-H.V.L.-Systems im Sinne einer Dysfunktion. Sie bedingt im Organismus eine Krankheitsbereitschaft. Nur wenn diese vorhanden ist, kann es infolge endogener oder exogener krankmachender Einwirkungen zum Auftreten von Krankheiten kommen. Die Zivilisationskrankheiten sind im einzelnen kurz besprochen worden.

2. Unter dem Hunger kommt es zu einer Beseitigung der Dysfunktion des Zw.H.-H.V.L.-Systems und damit zu einem Absinken der Krankheitsbereitschaft. Die Folge davon ist eine Abnahme der Zivilisationskrankheiten sowie auch der Anfälligkeit für andere Krankheiten.

Erst beim extremen Hunger, vor allem im Sinne eines Eiweißmangels, treten schwere Schädigungen des Organismus auf, die sich nach außen hin zunächst nicht in manifesten Krankheiten äußern, sondern in einer Abnahme der Arbeitsfähigkeit, in schweren psychischen Veränderungen im Sinne einer Demoralisation und endlich in einer verminderten Abwehrkaft des Oganismus bei ausgebrochenen Krankheiten. Es wird der Versuch unternommen, auch die gesamte Symptomatologie der Hungerschäden als Ausdruck dieser Regulationsstörungen zu deuten. Es sei dabei besonders festgestellt, daß es uns fern liegt, die Regulationsstörung als Ursache der einzelnen Symptome zu betrachten. Hier verhält es sich genau so wie bei den Zivilisationskrankheiten, daß erst durch die funktionell bedingten Fehlsteuerungen der hormonalen und vegetativen Impulse die verschiedenen Auswirkungen endogener und exogener Faktoren auf den Organismus zu manifestem Kranksein führen. Uns erscheint die hier durchgeführte Betrachtungsweise besonders fruchtbringend, weil sie uns einmal manche pathogenetischen Unklarheiten aufzudecken, zum anderen therapeutische Hinweise zu geben vermag. Wir sind weit davon entfernt, bei all diesem Krankheitsgeschehen von einer Diencephalose zu sprechen.

    >