Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2010; 15(1): 27-32
DOI: 10.1055/s-0028-1109519
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Effekte und Nachhaltigkeit pharmakotherapeutischer Beratung – Ergebnisse einer systematischen Evaluation

Effects of Pharmacotherapeutic Counselling – a Systematic EvaluationC. Kampmann1 , V. Liessem1 , L. Chekenda1 , A. Großmann1 , T. Staffeldt1
  • 1BKK Bundesverband, Abteilung Vertragsanalyse in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftlichen Beirat der Betrieblichen Krankenversicherung, Essen
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Publication Date:
17 February 2010 (online)

Zusammenfassung

Zielsetzung: Es wird eine pharmakotherapeutische Beratung durch arztindividuelle Einzelgespräche mit 279 Ärzten (Allgemeinärzte und Internisten) evaluiert. Ziel der Evaluation ist es, die Effekte der Pharmakotherapieberatung auf die Verordnungspraxis der beratenen Ärzte und ihre Auswirkungen auf Qualität und Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung zu messen. Methode: Die Wirkungen der Pharmakotherapieberatung werden mithilfe eines kombinierten Vorher-Nachher-Vergleichs mit Kontrollgruppe überprüft. Die Kontrollgruppe wurde durch ein Matching-Verfahren gebildet. Ergebnisse: Die pharmakologisch beratenen Ärzte zeigen nach der Beratung bessere Ergebnisse in den Untersuchungskennwerten auf als die Ärzte der Kontrollgruppe. Die Ergebnisse sind bei den meisten Parametern hochsignifikant (99 % Signifikanzniveau). Die Wirkung der Pharmakotherapieberatung scheint allerdings zeitlich begrenzt zu sein. Trotzdem können Einsparpotenziale realisiert werden. Schlussfolgerungen: Die arztindividuelle pharmakotherapeutische Beratung ist ein sinnvolles Mittel, um Wirtschaftlichkeitspotenziale im Arzneimittelbereich zu mobilisieren. Um langfristig wirksam zu sein, sollte sie auf regelmäßiger Basis angeboten werden.

Abstract

Objective: We evaluate pharmacotherapeutic counselling of 279 general practitioners and internists. The aim of the evaluation is to assess the effects of the pharmacotherapeutic counselling on the prescription habits of the doctors in terms of quality and reduction of drug costs. Methods: We use a combined before-after-comparison with control groups. The control group was built with a matching procedure. Results: Compared to the control group the prescription habits of the advised doctors improve in almost all evaluated variables in the short run (level of significance: 99 %). However the effects tend to decrease over time. Conclusions: Pharmacotherapeutic counselling is an effective method to improve prescription habits of doctors. To be effective in the long run it should be reiterated in certain intervals.

Literatur

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1 Quelle: Bundesgesundheitsministerium, Tab. KF06Bund, Stand 1.3.2007.

2 Die rechtliche Grundlage der Beratung der Ärzte findet sich in § 305a SGB V. Danach haben die Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen die Aufgabe, in erforderlichen Fällen die Vertragsärzte auf der Grundlage von Übersichten über die von ihnen verordneten oder veranlassten Leistungen über Fragen der Wirtschaftlichkeit auch gemäß § 106 Abs. 2a SGB V i. V. m. § 73 Abs. 8 SGB V zu beraten. Neben Informationen zu Preisen und Entgelten gehören hierzu auch Auskünfte über die generelle Verordnungsfähigkeit von bestimmten Arzneimittelgruppen sowie Hinweise zu Indikation und therapeutischem Nutzen.

3 Siehe dazu auch [1] [2] [3] [4] [5].

4 Siehe hierzu auch [7].

5 Als Arzneimittelpatienten werden alle Versicherten bezeichnet, die in einem Quartal mindestens eine Arzneimittelverordnung erhalten haben.

6 Bei „me-too-Präparaten” (synonym: Schrittinnovationen, Pseudoinnovationen oder Analogpräparate) handelt es sich in der Regel um Fertigarzneimittel mit chemisch gegenüber bereits eingeführten Arzneimitteln („Leitsubstanz”) nur geringfügig modifizierten Wirkstoffen. Aufgrund ihrer vergleichbaren chemischen Struktur im Vergleich zu bereits etablierten Wirksubstanzen erzielen diese Arzneistoffe in den meisten Fällen nur pharmakologisch ähnliche oder gleichwertige Wirkungen ohne besondere Vorteile. Im Gegensatz zu der Leitsubstanz haben sie aber noch Patentschutz durch ihre spätere Markteinführung.

7 Hier stand kein vollständiges Quartal mit einer Mindestanzahl von Arzneimittelverordnungen zur Verfügung.

8 Zum Aufbau des Arzneimittelbulletins siehe [1].

9 Wirtschaftlichkeit wird hier im Sinne einer kostengünstigeren Arzneimittelverschreibung bei gleichem Therapieerfolg definiert (z. B. durch Generika, größere Packungen für Chroniker etc.).

10 Dem Ziel einer überschaubaren Sortimentsbreite liegt folgender Gedanke zugrunde: Eine große Anzahl unterschiedlicher Arzneimittel erschwert dem Patienten den Umgang mit diesen Arzneimitteln; die Bereitschaft des Patienten zur Mitarbeit im Rahmen des therapeutischen und diagnostischen Vorgehens vermindert sich, infolgedessen leiden u. U. der Therapieerfolg und die -qualität. In der Pharmakotherapieberatung wird daher den Ärzten empfohlen, ein überschaubares Sortiment der ihnen vertrautesten Arzneimittel zusammenzustellen, in dem auch die Kosten berücksichtigt sind.

11 Jeweils eine Rezeptzeile.

12 Die DDD wird für Arzneistoffe auf Basis der durchschnittlichen Erhaltungsdosis für einen Erwachsenen im Hauptindikationsgebiet angegeben und ermöglicht eine Ermittlung des Arzneimittelverbrauchs unter Beachtung der Wirkstärke eines Medikaments und unabhängig von Packungsgrößen. Die DDD wird von der WHO festgelegt und vom WIdO für den deutschen Markt angepasst. Der hier verwendete Wert „Umsatz je DDD” gibt die Kosten je definierter Tagesdosis an.

13 Arzneimittel mit Abhängigkeitspotenzial: Diese Auswertungen gehen auf eine Liste von Wirkstoffen mit Abhängigkeitspotenzial zurück, die bereits 1987 von der Deutschen Hauptstelle gegen die Suchtgefahren erstellt wurde und von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft herausgegeben wird (1989).

14 Als umstrittene Arzneimittel werden in [6] Wirkstoffe oder Fertigarzneimittel bewertet, deren therapeutische Wirksamkeit nicht oder nicht in ausreichendem Maße durch kontrollierte, klinische Studien nachgewiesen worden ist bzw. eine andere, wirtschaftlichere, Behandlungsmöglichkeit (auch nicht medikamentöser Art) mit vergleichbarem therapeutischen Nutzen verfügbar ist.

15 4 – 5 % aller verordneten Arzneimittel haben Abhängigkeitspotenzial, darunter vor allem die Schlaf- und Beruhigungsmittel aus der Familie der Benzodiazepine. Hier wird vermutet, dass in einigen Fällen Arzneimittel mit Abhängigkeitspotenzial verordnet werden, ohne zuvor die Therapiealternativen vollständig ausgeschöpft zu haben (siehe dazu auch [10]).

16 Zuvor wurde die Normalverteilung der Residuen geprüft.

17 Es besteht die theoretische Möglichkeit, dass sowohl Kontrollärzte als auch beratene Ärzte eine Pharmakotherapieberatung eines anderen Anbieters erhalten haben.

18 In der Regel wurde eine Übereinstimmung angenommen, wenn die Abweichung der Zahl der Arzneimittelpatienten ± 50 Patienten und die Abweichung der Untersuchungskennwerte „Umsatz je EVO” sowie „EVO je AMP” ± 5 Prozentpunkte nicht überschreitet. In einigen wenigen Fällen wurden die Grenzen schrittweise auf bis zu ± 150 Arzneimittelpatienten und ± 10 Prozentpunkte erweitert.

19 Damit ist sichergestellt, dass in der Untersuchungsgruppe und in der Kontrollgruppe die gleiche Anzahl von Merkmalswerten vorhanden ist, was statistische Analysen erleichtert.

20 Als Welle werden alle in einem Quartal durchgeführten Beratungsgespräche bezeichnet. Mit Beginn der Beratungen im 2. Quartal 2002 und dem Ende der Maßnahme im 4. Quartal 2003 lassen sich somit insgesamt 7 Wellen unterscheiden.

21 Mit einem * gekennzeichnete p-Werte der Tab. 1 sind auf 95 %-igem Niveau signifikant, mit ** gekennzeichnete Werte sind auf 99 %-igem Niveau signifikant.

22 Hierbei geht jeder Arzt mit demselben Gewicht in die Mittlung ein. Auf die prinzipiell ebenfalls mögliche Gewichtung mit Arzneimittelpatientenzahlen des Arztes wird verzichtet, da die Auswirkungen der Pharmakotherapieberatung auf das Verordnungsverhalten des einzelnen Arztes gemessen werden sollen.

23 Die Interpretation bezieht sich jeweils auf den Unterschied zum Fachgruppendurchschnitt der KV und nicht auf absolute Werte.

24 Die Packungsgrößeninformationen lagen in dem konkreten Datensatz nicht vor.

25 Zum Zeitpunkt der Evaluation waren noch nicht für alle Ärzte die Arzneimittelverordnungsdaten aller 6 Folgequartale vorhanden. Deswegen nimmt die Anzahl der Ärzte, deren Verordnungsdaten zur Auswertung zur Verfügung standen, mit den evaluierten Folgequartalen ab. Für den Zeitraum „6 Quartale nach der Beratung” waren noch Daten für 74 Ärzte vorhanden. Auf den Vergleich mit der Kontrollgruppe wird in diesem Abschnitt verzichtet.

26 Bezugszeitpunkt 4. Quartal 2002.

27 Die in die Berechung eingegangenen Kosten setzen sich zusammen aus: 70 € für die Bulletinerstellung, 125 € durchschnittliche Beratungskosten für einen Apotheker (Vertreter der Krankenkassen), ebenfalls 125 € für eine Beratungsperson, die von der KV gestellt wird, sowie Kosten für administrativen Aufwand, Bewirtung und Raumnutzung in Höhe von 40 €. Pro Beratungsgespräch addieren sich die Kosten somit auf 360 €.

Christian Kampmann

BKK-Landesverband Rheinland-Pfalz und Saarland

Essenheimer Straße 126

55128 Mainz-Bretzenheim

Email: ckampmann@bkk-rps.de

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