Dtsch Med Wochenschr 1975; 100(16): 865-872
DOI: 10.1055/s-0028-1106307
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Schwangerschaftsunterbrechung aus psychiatrischer Indikation

Termination of pregnancy on psychiatric groundsK. Böhme, G. Marr
  • Psychiatrische und Neurologische Klinik der Medizinischen Hochschule Lübeck (Direktor: Prof. Dr. G. Schmidt)
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Publication Date:
07 April 2009 (online)

Zusammenfassung

Zwischen 1947 und 1969 wurden 303 Gutachten in Interruptioverfahren erstattet. 45,2% der Anträge wurden befürwortet, 53,4% abgelehnt. Neurologische Leiden lagen in 10% der Fälle vor. 79% der Frauen boten psychische Störungen, unter denen wiederum mit 89% reaktive Depressionen bei weitem überwogen. Endogene Psychosen stellten nur eine Randgruppe dar. Bei den reaktiv depressiven Frauen ließen sich jüngere Ledige in der ersten Schwangerschaft mit Umweltkonflikten und höherer Bereitschaft, Suizidabsichten zu äußern, von älteren Verheirateten mit einem oder mehreren Kindern, dem Gefühl drohender Leistungsinsuffizienz entspringender Zukunftsangst und Zurückhaltung in der Formulierung von Selbstmordgedanken als zwei typische Gruppen abgrenzen. Die Häufigkeit vorangegangener Suizidversuche und der Anteil abnormer Persönlichkeitsstrukturen waren in beiden Gruppen gleich hoch. Die untersuchte Gruppe stellt sich eindeutig als suizidgefährdete Risikogruppe dar. Beim Zusammentreffen abnormer Persönlichkeitszüge, früherer Selbstmordversuche und familiärer wie sozialer Konflikte mit aktuellen Suizidimpulsen und einer vitalisierten Depressivität muß vom Gutachter auch die reaktive Depression als wesentliches Kriterium einer befürwortenden Entscheidung gewertet werden. Es kann nicht Aufgabe des psychiatrischen Gutachters sein, dort Pseudobegründungen zu finden, wo die Indikationskataloge somatischer Fächer nicht ausreichen, um auf diese Weise verkappte eugenische oder soziale Indikationen wirksam werden zu lassen.

Summary

303 psychiatric opinions were given between 1947 and 1969 regarding the termination of pregnancy. 45,2% of the applications were supported, 53,4% were rejected. In 10% of the cases neurological disorders were present. 79% of the women had psychiatric disorders among which reactive depressions had a definite majority of 89%. Endogenous psychoses only represented a marginal group. Among the reactive depressive group young unmarried women in their first pregnancy with environmental conflicts and an increased readiness to express suicidal tendencies could be separated from a second group of older married women with one or more children, with fear of the future resulting from the feeling of an imminent inability to cope, and restraint in the formulation of suicidal thoughts. The frequency of preceding suicidal attempts and the percentage of abnormal personalities were equally high in both groups. The investigated group must clearly be considered to be a suicide-endangered high risk group. If abnormal personality traits, preceding suicide attempts, family and social conflicts with existing suicidal tendencies, and a reactivated state of depression occur together a reactive depression must also be considered an important criterium for a supportive attitude.

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