Nervenheilkunde 2025; 44(09): 622-623
DOI: 10.1055/a-2582-4707
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Kopfschmerz News der DMKG

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CGRP-Antikörper bei episodischem und chronischem Clusterkopfschmerz: Zwei hochwertige, aber negative RCTs hinterfragen einen therapeutischen Hoffnungsträger

Hintergrund

Clusterkopfschmerzen sind selten, aber extrem belastend mit bis zu mehrmals täglichen Attacken stärkster Intensität und autonomen Symptomen wie Tränenfluss, Nasenlaufen oder motorischer Unruhe. Die Erkrankung beeinträchtigt Betroffene massiv in Beruf, Alltag und Psyche. Man unterscheidet einen episodischen Verlauf (mindestens drei Monate Attackenfreiheit, eCH) und einen chronischen Verlauf (nahezu kontinuierliche Attacken, cCH). Diese Verlaufsformen unterscheiden sich möglicherweise in ihrer Pathophysiologie, weshalb sie in Studien häufig getrennt untersucht werden. Bestehende Prophylaxen wirken teils unzureichend oder sind in notwendigen Dosierungen nicht verträglich. Da Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) während Attacken freigesetzt und durch Triptane gesenkt wird, gilt dieser Signalweg als vielversprechendes Therapieziel. Zwei aktuelle randomisierte kontrollierte Studien prüfen die Wirksamkeit von CGRP-Antikörpern bei eCH und cCH, jeweils gegen den Liganden beziehungsweise den Rezeptor gerichtet.


Zusammenfassung

Die ALLEVIATE-Studie untersuchte Eptinezumab, einen intravenös verabreichten monoklonalen Antikörper gegen CGRP, bei Patientinnen und Patienten mit episodischem Clusterkopfschmerz (eCH). In 64 Zentren weltweit wurden 231 Teilnehmende in der aktiven Bout-Phase 1:1 randomisiert (400 mg Eptinezumab i. v. vs. Placebo). Der primäre Endpunkt, die mittlere Veränderung der wöchentlichen Attackenzahl in Woche 1–2, wurde nicht erreicht (−4,0 vs. −4,6 Attacken/Woche; p = 0,50). Explorative Analysen zeigten jedoch signifikant höhere Responderraten zugunsten von Eptinezumab ab Woche 2 (z. B. in Woche 4: 67 % vs. 51 % mit ≥ 50 % Reduktion der Attackenzahl; p = 0,009). Der Wirkeintritt verzögerte sich also möglicherweise über die kritischsten Bout-Tage hinaus. Eptinezumab war gut verträglich; die Rate an Nebenwirkungen war gering und gleichverteilt.

Die CHERUB01-Studie prüfte Erenumab, einen subkutan verabreichten monoklonalen Antikörper gegen den CGRP-Rezeptor, bei chronischem Clusterkopfschmerz (cCH). 81 Betroffene mit hoher Attackenfrequenz (im Mittel 21,5/Woche) erhielten über 12 Wochen randomisiert 280 mg plus 140 mg Erenumab s. c. oder Placebo. Auch hier wurde der primäre Endpunkt, die Reduktion der wöchentlichen Attackenzahl in Woche 5–6, nicht erreicht (−7,3 vs. −5,9 Attacken/Woche; mittlere Differenz −1,5; 95 %-KI: −5,7 bis 2,8). Sekundäre Endpunkte wie die ≥ 50 %-Responderrate, subjektive Besserung (PGI-I) oder Attackenschwere zeigten keine signifikanten Gruppenunterschiede. Die Therapie war sicher; unter Erenumab traten mehr milde/moderate Nebenwirkungen auf, schwerwiegende Ereignisse waren in beiden Gruppen selten.


Kommentar

Die fehlende Wirksamkeit von CGRP-Antikörpern in zwei randomisierten Studien zum episodischen und chronischen Clusterkopfschmerz unterstreicht die Komplexität dieser Erkrankung und wirft Fragen zur therapeutischen Relevanz des CGRP-Signalwegs auf. Obwohl CGRP während Clusterattacken nachweislich erhöht ist und eine Rolle in der trigeminalen Nozizeption spielt, scheint seine funktionelle Bedeutung für die Unterhaltung der Attacken insbesondere im Verlauf begrenzt oder variabel zu sein.

Ein möglicher Grund für das negative Ergebnis liegt in der zeitlichen Dynamik der Attacken. Die Initiierung der CGRP-basieren Therapie nach Beginn eines Bouts könnte zu spät erfolgen, um zentrale Sensibilisierungsmechanismen oder hypothalamisch vermittelte Rhythmusgeneratoren noch effektiv zu modulieren. Diese Pathomechanismen sind möglicherweise bereits stabil etabliert, bevor eine pharmakologische Intervention greifen kann. Im episodischen Verlauf könnte zudem die spontane Remission einzelner Bouts zu einer statistischen Verwässerung führen, insbesondere wenn der eigentliche Wirkeintritt der Antikörper mit Verzögerung erfolgt.

Darüber hinaus fehlt bislang eine stratifizierende Biomarkerstrategie, um Patientinnen und Patienten mit CGRP-abhängiger Krankheitsaktivität zu identifizieren. Die interindividuelle Heterogenität in der CGRP-Expression oder -modulation könnte erklären, warum in der klinischen Praxis Einzelfälle von relevantem Ansprechen beobachtet werden, die sich in Studien jedoch nicht aggregieren lassen.

Die Daten zeigen klar, dass der CGRP-Signalweg kein universelles therapeutisches Ziel beim Clusterkopfschmerz darstellt. Sie begründen aber nicht dessen vollständige Verwerfung. Zukünftige Studien sollten stärker auf pathophysiologisch definierte Subgruppen fokussieren, frühere Therapiebeginne abbilden und biomarkerbasierte Einschlusskriterien prüfen. Nur über eine präzisere Phänotypisierung und ein verbessertes Verständnis der zugrunde liegenden Mechanismen lassen sich zielgerichtete und reproduzierbare Therapieeffekte erzielen.

Robert Fleischmann, Greifswald

INFORMATION

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Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete Übersicht bietet

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Gute experimentelle oder klinische Studie

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Gute Studie mit allerdings etwas geringerem Innovationscharakter

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Studie von geringerem klinischen oder experimentellen Interesse und leichteren methodischen Mängeln

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Studie oder Übersicht mit deutlichen methodischen oder inhaltlichen Mängeln

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Studie oder Übersicht mit deutlichen methodischen oder inhaltlichen Mängeln

Die Kopfschmerz-News werden betreut von der Jungen DMKG, vertreten durch Priv.-Doz. Dr. Robert Fleischmann, Greifswald, Dr. Katharina Kamm, München (Bereich Trigemino-autonomer Kopfschmerz & Clusterkopfschmerz), Dr. Laura Zaranek, Dresden (Bereich Kopfschmerz bei Kindern und Jugendlichen) und Dr. Thomas Dresler, Tübingen (Bereich Psychologie und Kopfschmerz).

Ansprechpartner ist Priv.-Doz. Dr. Robert Fleischmann, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Unimedizin Greifswald, Ferdinand-Sauerbruch-Str. 1, 17475 Greifswald,
Tel. 03834/86–6815,
robert.fleischmann@uni-greifswald.de

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Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
12. September 2025

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