Nervenheilkunde 2022; 41(07/08): 511
DOI: 10.1055/a-1772-0193
Gesellschaftsnachrichten
Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Neurologie e. V.

Im Interview: Günther Jonitz

Tom Bschor

Dr. med. Günther Jonitz war von 1999–2021 Präsident der Ärztekammer (ÄK) Berlin. Zur 150 Jahr-Feier der BGPN sprach er bewegende Grußworte. Nun trafen wir ihn zum Interview.

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Dr. med. Günther Jonitz bei der 150 Jahr-Feier der BGPN. Quelle: Dr. Sabrina Thiel

Was waren besondere Momente in Ihrer Zeit als Ärztekammerpräsident?

Jonitz: Ich habe mich gefreut, dass ich über Jahre hinweg auch von Koalitionspartnern getragen und mehrfach zum Ärztekammerpräsidenten gewählt wurde, obwohl der Marburger Bund über lange Zeit nur die drittgrößte Fraktion in der Delegiertenversammlung war. Am wichtigsten waren mir 2 Dinge: Es ist gelungen, die ÄK von einer Behörde weg zu entwickeln, hin zu einer Einrichtung, die sich als Dienstleister gegenüber den Mitgliedern versteht. Und wir haben es geschafft, das Tabuthema ‚Patientensicherheit‘ zu enttabuisieren, positiv zu besetzen und eine Netzwerkorganisation zu gründen. Mit unserem lösungsorientierten Ansatz gelang es, international Einfluss zu nehmen. Die WHO hat ihren Umgang mit diesem zentral die ärztliche Ethik berührenden Thema geändert.

Was lag Ihnen besonders am Herzen?

Jonitz: Inspiriert vom British Medical Journal konnte ich mit Herrn Jachertz, damals Chefredakteur des Deutschen Ärzteblattes, eine Serie auflegen, in der wir die Leserschaft des Ärzteblattes gebeten haben, uns ihre Geschichten aus der Patientenversorgung, die für sie wegweisend waren, zu schicken. Da sind überaus eindrucksvolle und berührende dabei. Zu finden sind sie noch, wenn man auf www.aerzteblatt.de nach dem Stichwort ‚Arztgeschichten‘ sucht.

Was war die größte Herausforderung während der Zeit?

Jonitz: Durchzuhalten. Mein erster Aufschlag zum Thema Patientensicherheit war gleich nach Beginn des Amtsantritts als Vizepräsident der ÄK Berlin. Zwischen der erstmaligen Thematisierung und der erfolgreichen Umsetzung sind allein 10 Jahre vergangen.

Wie blicken Sie mit etwas Abstand auf Ihr Ausscheiden aus dem Amt zurück?

Jonitz: Das ist etwas tricky. Die Unterstützung in den eigenen Reihen hatte schon länger gelitten. Aus dem Ergebnis der Kammerwahl 2018 konnte ich keinen Wählerauftrag ableiten. Es war immer mein Bestreben, dass die ÄK in die Politik kommt. Dies ist gelungen, allerdings mit dem unangenehmen Nebeneffekt, dass die klassischen Mechanismen der Politik wie Intrigenwirtschaft und machtpolitische Aktivitäten zu tragen kamen. Aber ich bin gerne aus der Standespolitik ausgestiegen. Die Inhalte, Prioritäten und Werte, die jetzt in der ÄKB vertreten werden, haben mit meinen Inhalten – Entschuldigung – nichts mehr zu tun. Wandel ist auch in der Politik normal.

Was machen Sie jetzt?

Jonitz: Jetzt bin ich als Berater und in der Lehre tätig. Beraten werden über eine eigene und eine britische Firma internationale Unternehmen und Regierungen zu Themen, bei denen ich mir treu bleibe. Das Gleiche gilt für meinen Lehrauftrag an der Medical School Berlin, wo ich die Themen Qualitätsmanagement, Patientensicherheit, evidenzbasierte Medizin und valuebased healthcare an angehende Psychologen vermittle. Die Private Donau-Universität in Krems hat mich zum Honorar-Professor berufen. Lehre hat mir immer Freude gemacht und politisch aktiv bin ich weiterhin.

Hatten Sie je das Bedürfnis, wieder in die direkte Patientenversorgung zu gehen?

Jonitz: Also, hier hätte ich ein technisches Problem – z. B. habe ich aus dem Amt heraus nicht unbedingt alle meine Strahlenschutzkurse besucht. So bleibt’s bei „Medizin im Großen“.

Was glauben Sie als Chirurg – was können die Fächer Chirurgie und Psychiatrie bzw. Neurologie voneinander lernen?

Jonitz: Die Chirurgie ist ein sehr handlungsorientiertes Fach. Gleichwohl ist es kein Fehler, sich an einigen Stellen genauer mit den Differenzialdiagnosen zu beschäftigen und über das eigene Handeln zu reflektieren. Das ist – neben der Arbeit im therapeutischen Team – eine Sache, die in der Psychiatrie und Neurologie sicher stärker ausgeprägt ist.

Das Interview führte Dr. Anja Bauer, Berlin



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Article published online:
28 July 2022

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