MSK – Muskuloskelettale Physiotherapie 2022; 26(01): 9-10
DOI: 10.1055/a-1719-5285
Forum

Antwort auf Leserbrief von Jochen Schomacher zu: Horre T. Ziel: Motorradfahren trotz axialer Spondyloarthritis – ein Fallbeispiel. MSK 2021; 25: 175–181

Thomas Horre

Mit anfänglichem Interesse und späterer Verwunderung habe ich den Leserbrief von Jochen Schomacher zu dem Fallbeispiel gelesen. Es scheint mir, dass die für den Patienten reale, brutale Situation nicht deutlich genug in meiner Beschreibung zum Ausdruck gekommen ist.

Vorab möchte ich eine generelle Anmerkung zu Fallbeispielen machen: Als Mentor in der OMPT Ausbildung des DVMT erlebe ich es gelegentlich, dass es zu Missverständnissen zwischen den behandelnden Therapeuten und mir als Mentor kommt. Selbst wenn ich als Mentor „live“ bei dem „Setting“ dabei bin, fehlen mir am Ende oft einige Informationen, die die behandelnden Therapeuten jedoch offensichtlich bekommen haben. In einem aufgeschriebenen Fallbeispiel ist der Verlust an Informationen natürlich ungleich größer. Nur vor diesem Hintergrund kann ich mir Jochens Kritik erklären.

Natürlich ist auch mir klar, dass eine Beweglichkeitsverbesserung, basierend auf strukturellen Veränderungen, weder mit passiven Mobilisationen noch durch kurzzeitige Automobilisationen zu erreichen ist. Leider scheidet jedoch eine Vielzahl an Übungen aus, da es für den beschriebenen Patienten aufgrund der starken Schmerzen eine Illusion ist, lange in maximal aufrechter Position zu sitzen, zu stehen oder zu liegen.

Der gut gemeinte Tipp von Jochen, den „Entzündungsschmerz“ sowie den „Nichtgebrauch“ als 2 separate Ursachen für die abnehmende Beweglichkeit zu sehen und folglich auch separat zu therapieren, würde m. E. bei meinem Patienten in einem Desaster enden. Die 2 wesentlichen Parameter einer passiven Bewegung, Schmerz und Widerstand, wurden von G. D. Maitland schon Ende der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts im Kontext gesehen. Als erklärendes Beispiel: Ein Patient hat in beiden Hüftgelenken eine Bewegungseinschränkung in Flexion. Bei der Flexion im linken Hüftgelenk spürt der Patient einen starken Schmerz. Das rechte Gelenk ist hingegen nur steif. Es ist klar, dass die rechte Hüfte viel effektiver/intensiver mobilisiert werden kann als dies bei der linken Hüfte möglich wäre.

Die täglich auftretenden Schmerzen verhindern ein Verharren am Ende des Bewegungsausmaßes für einen längeren Zeitraum, wie von Jochen gefordert. Das Aufrichten im Sitzen allein ist ja schon schmerzhaft. Auch der Mobilisationskeil (ich nutze dieses Hilfsmittel ab und an sehr gern) als Mittel zum Zweck, von Jochen als wesentlich intensiver beschrieben, hatte bei meinem Patienten keine Chance, ich hatte es probiert. Ich kann einem Patienten, der seit knapp 30 Jahren fast täglich auf Schmerzmittel angewiesen ist, nicht einfach sagen, er muss jetzt noch mehr Schmerzen ertragen, selbst wenn es die einzige Möglichkeit ist, seine Kontrakturen strukturell zu verändern. Ich bin sicher, sollte Jochen Patienten behandeln, würde auch er mit denjenigen, die unter starken Schmerzen leiden, respektvoll umgehen.

Ich bin froh über jede neue Evidenz. Was an Therapie wissenschaftlich untermauert ist, sollte Vorrang vor persönlichen Einzelerfahrungen haben. Jedoch muss jede Intervention individuell auf die Patienten abgestimmt werden. Die beste Leitlinie läuft fehl, wenn der Patient oder die Patientin eine Ausnahme darstellt. Der Titel meines Fallbeispiels ist: „Ziel: Motorradfahren trotz axialer Spondyloarthritis“. Auf Nachfrage beim Patienten: Ja, Motorradfahren im Sommer 2021 war möglich wie 2020. Im Februar 2022 starten wir weitere 6 Termine. Gern berichte ich im Frühjahr über den weiteren Verlauf.

Thomas Horre



Publication History

Article published online:
14 February 2022

© 2022. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany